Als die Winzerbrüder Stephan (Weinmacher) und Georg (Marketing und Vertrieb) die Übernahme des Familien-Weinguts mehr oder weniger vollzogen hatten, musste das Elternhaus daran glauben: Abriss. Da schluckten die beiden Senioren schwer, als sich ihr Zuhause in Rauch und Trümmern auflöste. Aber so war der Plan – kein Stein auf dem anderen lassen.
Der Wahnsinn hatte durchaus Methode. Es war 2014. Im selben Jahr wurden ganz neue Etiketten auf die Flaschen geklebt. Mit Fotos aus der Gegend. Auch das gab es bis dahin selten in Deutschland, wo die meisten Etiketten noch immer den Charme einer Lohnsteuertabelle verströmen. Jahrzehntelang belieferte der Betrieb eine treue Stammkundschaft. Die Winzerleute kamen persönlich mit dem Bus, übernachteten bei der im Land weit verstreuten Verwandtschaft. Damals bauten die Schwedhelms auf 17 Hektar Rebland genau 17 verschiedene Rebsorten an. Das Durcheinander im Produktkatalog kann man sich vorstellen. Bis heute ist so etwas kein Einzelfall in der Weinwirtschaft, denn das Konsumverhalten beim Wein war anders. Man kaufte von einem Hersteller und suchte dort die Abwechslung. Heute geht der Trend zur Untreue. Die jungen Käufer sind neugierig und picken sich bei verschiedenen Produzenten raus, was ihnen gefällt. Deshalb werden die Angebote schmaler und die Geschmacksprofile der Weingüter schärfer. Vorausgesetzt ihre Betreiber hören die Uhr ticken und gehen mit der Zeit.
Vor 15 Jahren kostete der teuerste Schwedhelm-Wein 4 Euro und war in der Regel süß. Einige Fans beliefern die Schwedhelm-Senioren noch heute. Obwohl sich das Sortiment seit der Hofübernahme 2006 gewaltig verändert hat und die alteingesessene Kundschaft sicher nicht mit jedem Tropfen einverstanden ist. Ganz abgesehen vom Preis.
Die Aufnahme ins Talenteprogramm des pfälzischen VDP-Ablegers beschleunigte die Reform des Hauses erheblich. Die Herren im gut vernetzten Winzerverband (Frauen gibt es in Deutschlands Weinbau-Institutionen immer noch so gut wie keine) erkannten das Potenzial, das im Klosterhof und seinen neuen Chefs steckt. So lautete der alte Name des Betriebs. Es ist wohl auch dem Selbsterhaltungstrieb der VDPler zu verdanken, dass sie junge Leute fördern, denn in den eigenen Reihen macht sich selbstgefälliges Mittelmaß breit. Frischzellenkur tut not.
Georg, der jüngere Schwedhelm-Sohn hatte in Mannheim BWL studiert, arbeitete in einer Marketingagentur, zum Beispiel für den Kunden Audi. Schon zu Beginn meines Studiums merkte ich, dass ich wieder ins Weingut zurückkehren will.
Aber wie macht man am Rande der Weinwelt auf sich aufmerksam, wenn man keinen klingenden Namen hat? Die Lösung (ob Zufallstreffer oder von langer Hand geplant weiß der Captain nicht) wirkt bestechend einfach: Mach deine Region zum Star, dann wirst du selber berühmt. Das Zellertal im Nordwesten der Pfalz war (und ist noch immer) önologische Randlage, vielleicht eine Art Jura der Pfalz minus 20 Jahre, als noch keiner dort nach besonderen Weinen suchte. Es konnte nur besser werden. Oder so bleiben.
Um 1900 belieferten Zellertal-Winzer die feinsten Lokale Europas. Auf den Tischen des Adlon gluckerte Zellertaler Wein in die Kristallgläser der betuchten Gäste. Die Weinlage Schwarzer Herrgott (namensgebend war ein verwittertes Holzkreuz zum Beten) galt als Nonplusultra der Pfalz und entsprechend hoch lagen die Preise. Auf den Dampfschiffen der Hamburg-Amerika-Linie schaukelten Herrgotts-Flaschen bis nach New York. Von den Erlösen bauten sich die Winzer prachtvolle Villen, die heute etwas verloren in der Gegend stehen, während mächtige Windpropeller am Horizont über sie wachen. Im Schwarzen Herrgott wachsen auch die Trauben von Schwedhelms Premiumriesling für knapp 20 Euro. Der Hang liegt da und schaut genau nach Süden. Er bekommt die maximale Sonnenstrahlung verpasst. Schaut selbst, wie schön es dort ist:
Premium hin oder her – der Captain kennt die Bedürfnisse seiner Matrosen und hält stets auch nach günstigeren Weinen Ausschau. Im Mittelbau des Weinguts wurde er fündig. Dort gibt es viel Wein für´s Geld, zum Beispiel den Chardonnay Zellertal, den er jetzt öffnet und probiert: Im Glas sattes Gelb. In der Nase viel dichte Fruchtnoten nach Pfirsich, Mango, Aprikose. Herrlicher Schmelz, dass man sich fragt: wie dick ist dieser Wein im Mund? Antwort: gar nicht dick, aber ungemein körperbetont. Ich schmecke Grapefruit, junge Ananas und lebendige Säure von grünem Apfel. Dann frisch zerriebenes Minzblatt und kalten grünen Tee. Mächtige 13% Vol. Alkohol bauen diesen Wein auf wie ein Turm. Hier walten Wärme und Frische zugleich. Ein würzig-saftiger Gute-Laune-Wein.
Zellertal, diese vom Wind der Geschichte arg zerrupfte Region hat’s nicht leicht. Die quirlige Weinstraße verläuft weitab, der Weinzirkus gastiert woanders. Identität – bitte kommen! Weinpolitisch eindeutig Pfalz, geologisch fast mehr Rheinhessen als Rheinhessen selbst. Das heißt: Kalk! Teilweise zu festem Fels verdichteter Kalk und viel Ton. Dieser karge Boden fördert einen kühlen Stil. Ein Weinshop-Dichter schrieb, das Zellertal sei das Montrachet Deutschlands. Das klingt jedenfalls originell und ist nicht wirklich anfechtbar.
In den Sommernächten kühlt es richtig runter. Georg Schwedhelm: Hier herrscht cool climate total, wir sind die regenärmste Region der Pfalz und der Wind pfeift uns um die Ohren. Das ist der beste Pflanzenschutz gegen Pilzbefall. Fünf Kilometer entfernt drüben in Rheinhessen bringt Superstar Klaus Peter Keller die teuerste Kollektion Deutschlands auf die Flaschen. Seine Weine kosten zwischen 500 und 2.000 Euro. So weit wollen es die Schwedhelms gar nicht bringen, vorerst jedenfalls. Aber ein bisschen mehr Beachtung für das Zellertal wäre schon schön.