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Schönborn: das eingeschläferte Weingut

Ex-Kellermeister Florian Franke.
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Der Captain steht am Sterbebett eines großen Weinguts und trinkt edelsüßen Nobel-Riesling, der das Haus einst berühmt machte.
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Der Captain muss eine traurige Nachricht verbreiten. Es geht um das (vielleicht nur vorläufige) Ende eines großen Weinguts. Groß nicht im Sinne von Hektar, sondern an Geschichte und Bedeutung. Und groß durch seine Weine.

Es geht um das Domänenweingut Schloss Schönborn von Paul Graf von Schönborn-Wiesentheid, dessen Familie seit über 650 Jahren Weinberge im Rheingau besitzt und aus den Früchten dieser Lagen edle Weine keltert. Alles vorbei. Oder doch nicht ganz?

Gestern machte eine Meldung die Runde, dass das Weingut geschlossen ist, aber kleine Mengen Rheingau-Weine im fränkischen Stammsitz der Familie weiterhin hergestellt werden sollen. Die Schönborns machen nämlich auch in Hallburg Wein. Und in Portugal. Zur Firmengruppe des Grafen gehören außerdem noch Land- und Forstwirtschaft, ein Sägewerk und eine Fischzucht. Alle Mitarbeiter von Schloss Schönborn in Hattenheim sind freigestellt.

Sichtlich bewegt sprach der Graf gestern zu seinen Leuten, bedankte sich für die Zusammenarbeit und verkündete das Aus. Graf Paul zum Captain: Ich kann Ihnen versichern, dass mir die Entscheidung das Weingut zu schließen nicht leicht gefallen ist. Sowohl die massive Steuererhöhung der letzten US-Regierung auf deutsche Weine als auch die Corona-Krise haben negativen Einfluss auf das Weingut genommen.

Was konkret aus den Weinbergen und Weinen von Schönborn wird, kann oder will der Graf noch nicht sagen.

Genau vor einem Jahr saß der Captain mit Schönborns Kellermeister Florian Franke (das Bild oben machte der Captain bei seinem Besuch im Weinkeller) beisammen und beide probierten sich durchs Repertoire. Die Neugierde war groß, denn nach einem deftigen Weinskandal im Jahr 2013 hatte der Ruf des Hauses arg gelitten.

Die Weinkontrolle entdeckte damals falsch dekla­rier­te Wei­ne aus Fran­ken. Doch nicht nur das. Lagen­wei­ne aus dem Rüdes­hei­mer Berg Schloss­berg, dem Erba­cher Mar­co­brunn und der Hoch­hei­mer Höl­le wurden mit Wei­nen ande­rer Rheingau-Lagen ver­schnit­ten. Dann flog noch auf, dass der Alko­hol­ge­halt von Tro­cken­bee­ren­aus­le­sen mit Wein­destil­lat manipuliert worden war.

Keine schöne Sache. Aber nicht nur das Image, sondern auch die Weinberge waren in einem unwürdigen Zustand. Mit einem neuen Team gelang der restart – zumindest was die Weinqualität betrifft, denn die ist heute grandios. Was sich allerdings nicht mehr erholte, sind die Flaschenpreise. Pech für den Grafen, Glück für Weinfreunde.

Die neuen Spitzenweine von Schloss Schönborn sind allererste Sahne und von einer gebirgsbachartigen Klarheit und sensorischen Reinheit geprägt, die den Captain begeistert. Ein Jammer, dass jetzt alles vorbei sein soll.

Als Trostwein zu diesem deprimierenden Anlass wählte der Captain den leistbaren ehemaligen Flaggschiffwein des Hauses, der angeblich zur Eröffnung des Adlon eingeschenkt wurde und auch dem Kaiser als Hauswein diente. Es ist die edelsüße Erbach Marcobrunn Riesling Spätlese von Schloss Schönborn, welche die Geschmackspapillen des Captain gar zauberhaft benetzte und jedem Rieslingfan anempfohlen sei – solange das noch geht: Dieser edelsüße und langlebige Riesling ist ein Denkmal der deutschen Weinkultur. Es heißt, er wurde 1907 bei der Einweihung des Hotels Adlon in Berlin eingeschenkt und stand viele Jahre später im Fokus eines kleinen Weinskandals, der 2012 das Weingut Schönborn erschütterte. Erst mit dem Jahrgang 2018 kam er wieder auf den Markt und der Captain durfte ihn trinken. In der Nase sinnlicher Schmelz nach Pfirsich und Aprikose. Im Mund mittlere Viskosität (Öligkeit) fruchtig-opulent, sehr saftig und mit silbrig schimmernder Säure ausgestattet, die bewirkt, dass die Süße hinter eine elegante Differenziertheit im Geschmacksbild zurücktritt und sie mit zarter Frische pimpt. Ich spüre rauchige Noten getrockneter Aprikosen, Holunderblütensaft, Akazien- oder Robinienhonig, die bekanntlich beide nicht sehr süß schmecken. Am Gaumen zitrig-frisch und Butterkaramell. Würde man ihn am Körper tragen, wäre dieser Wein ein tailliert geschnittener Anzug aus leuchtend-marineblauer Schurwolle mit Nadelstreifen, die wie mit Kreide gezogen wirken.

Kellermeister Florian Franke wiederbelebte diesen Wein auf wundersame Weise, denn über Jahre war er nicht mehr im Schönborn-Programm zu finden. Bis der Jahrgang 2018 kam.

Apropos Kellermeister: Florian ist auch raus bei Schönborn. Was allerdings wenige wissen: Gemeinsam mit Lebenspartnerin Yvette Wohlfahrt, die in Geisenheim als promovierte Önologin über Biowein forscht und unterrichtet, betreibt der bärtige Weinmacher ein eigenes Mini-Weingut namens Wohlfahrt & Franke. Einer der Weine des Paares ist der irre interessante Naturwein Orange Utan Riesling trocken, den ich ebenso verkostete (siehe unten) und in ein abgefahrenes Weinpaket steckte, das du hier erwerben kannst.

Die 6,7 Hektar umfassende Rheingauer Weinlage Erbacher Marcobrunn liegt auf dem Strahlenberg zwischen Hattenheim und Erbach. Sie ist eine um 5° geneigte Südlage. Auf den tiefgründigen, kalkhaltigen und tonigen Mergelböden wird ausschließlich Riesling kultiviert, der berühmte Marcobrunner.

Die Lage ist seit dem 13. Jahrhundert urkundlich belegt. Heute teilen sich sechs Weingüter den Erbacher Marcobrunn, größter Anteilseigner ist Schloss Schönborn in Hattenheim. Der Schönbornsche Anteil ist das Filetstück des Marcobrunns mit den ältesten Rebstöcken. Er wurde 1642 durch Graf Philipp Erwein von Schönborn erworben.

 

Datum: 28.1.2021 (Update 29.1.2021)
 

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