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Es ist eine Szene, die jeder enthusiastische Weintrinker mindestens schon einmal erlebt hat. Man sitzt in großer Runde zusammen und jeder hat eine ausgesuchte Flasche mitgebracht. Es wird gegessen, viel geredet (gottlob nicht nur über Wein), viel getrunken und viel probiert. Und dann ist eine Flasche dabei, die von einer lautstarken Minderheit am Tisch augenblicklich abgelehnt wird. Es ist eine Flasche Süßwein. Und sie kommt von mir.
Süßweine? Igitt! Eine Vielzahl von Weintrinkern verabscheut Süßweine. Sie sind als klebrig und unnatürlich diskreditiert und werden meistens als Panscherei verworfen. Das hat seinen guten Grund, denn lange Zeit waren süße Weine bloß mit süßem Traubenmost geimpfte oder schlecht aufgezuckerte Plörren. All das, was zum Beispiel als „Liebfrauenmilch“ den Ruf des deutschen Weins ruinierte.
Auch Süßweine aus anderen Ländern gelten in Deutschland als billiges Massengetränk. Meistens zu Recht. Etwa der Lambrusco aus der landschaftlich eher langeweiligen Weinregion um Modena. Dabei gibt es gerade in dieser Gegend einige qualitativ hochwertige Produzenten, die das Niveau des verrufenen Getränks massiv heben. Das merken zwar die Italiener, nur dringt nichts davon nach Deutschland durch.
Qualitativ hochwertiger restsüßer und edelsüßer Wein entsteht immer in einem natürlichen Verfahren. Die Süße eines Weines wird bei Qualitätsweinen vom unvergorenen Zucker (Restzucker) bestimmt, der nach erfolgter Gärung im Wein bleibt. Bei sehr reifen Trauben und steigendem Alkohol ist die Hefe manchmal schon vor dem Gären des gesamten Zuckers erschöpft und überlässt dem Wein einen mehr oder minder großen Teil natürlichen Fruchtzuckers. Generell kann der Winzer die Gärung auch stoppen. Dies geschieht häufig, zum Beispiel durch Temperaturkontrolle oder Herausfiltern der Hefen, und ist ein unbedenklicher Kunstgriff, wie er im modernen Weinbau schon seit vielen Jahren gepflegt wird.
Auch trockene Weine könne süß schmecken
Gemeinhin werden Weine unter vier Gramm Restzucker pro Liter (in Deutschland bis 8 Gramm) als trocken bezeichnet. Es kann aber vorkommen, dass bei gut eingebundener und ausgleichender Säure selbst ein Wein mit 15 Gramm Restzucker als trocken empfunden wird. Und es kann relativ trockene Weine geben, die aufgrund fehlender Säure als süß empfunden werden. Dies kommt vor allem bei Rotweinen aus südlichen Anbaugebieten vor, hier ist es die Glycerinsüße des Alkohols. Es ist also nicht einfach zu sagen, welcher Wein süß rüberkommt. Und welcher nicht. So ist auch die panische Frage nicht so einfach zu beantworten, die man oft in Restaurants hört: „Ist dieser Wein auch trocken?“. Kommt drauf an.
Wer sich vor restsüßen oder edelsüßen Weinen fürchtet, der muss bei deutschen Winzern nur auf die Kategorie schauen. Die deutschen Prädikatsweine sind nach dem Mindestmostgewicht geordnet (dem Anteil aller gelösten Stoffe, vor allem Zucker, gemessen in Oechsle-Graden), dessen Höhe in den unterschiedlichen Weinregionen gering variiert. Die Prädikatsordnung beginnt mit dem Kabinettwein, jenem folgt die Spätlese, jener die Auslese, jener die Beerenauslese und jener noch die Trockenbeerenauslese und sehr selten der Eiswein, dessen Trauben bei der Lese gefroren sind und auch in diesem Zustand verarbeitet werden.
Deutschlands weltberühmte Auslesen
Deutschland war früher vor allem für seine restsüßen und edelsüßen Auslesen weltberühmt, die bei Versteigerungen enorme Summen erzielten. Das ist vielen Süßweinverächtern nicht bewusst. Die meisten qualitativ hochwertigen edelsüßen Weine werden in Deutschland auch heute noch von Hand gelesen. Es gibt sie außerhalb der Massenproduktion auch nur in geringen Mengen. Und sie fanden selbst in Zeiten der Weinskandale ihre überzeugten Abnehmer. Verrufen ist eher der leicht restsüße Kabinettwein.
So folgen die deutschen Winzer den Wünschen der Konsumenten und keltern immer mehr trockene Weine; Weine, die ohne die Edelfäule Botrytis auskommen, die den Trauben ihre Feuchtigkeit entzieht und so für größere Konzentration und mehr Süße sorgt. Trockene Weine, meist Rieslinge, sind der letzte Schrei im deutschen Weinbau. Und meistens werden sie von großartigen und sehr qualitätsbewussten Spitzenwinzern gekeltert. Die Position ist also eindeutig: Trocken ist teurer, natürlicher und besser. Süß ist billig, künstlich und schlecht. Das mag bei Industrieweinen vielleicht noch stimmen, ist aber als Gemeinplatz völlig falsch.
Das Zuspitzen von Süße und Säure
Denn nirgendwo ist der deutsche Weinbau besser, als im Zuspitzen von Süße und Säure, im genialen Ausbalancieren dieser Kräfte. Das mag sich in Zeiten des Klimawandels zwar ändern, die Weine mögen trockener und breiter werden, aber restsüßer Wein ist eine deutsche Eigenart, die vor allem im Ausland greift. Dort hat man wenig Angst vor ein paar Gramm Zucker. Und trinkt restsüßen Riesling auch gerne mal zum Essen.
Super! Kam mir schon fast wie ein Freak vor, weil ich eher die nicht ganz so trockenen Tropfen bevorzuge…
Das nächste Mal, wenn jemand argwöhnisch guckt oder schief grinst, verweiße ich auf dieses Glaubensbekenntnis. 😉
Lieber Captain,
was verstehst Du unter früher? In Deutschland wurden schon Spitzenweine erzeugt, da haben die Österreicher ihren Wein noch aus Ungarn und dem Friaul geholt, da man sich zuhause nicht die unnötige Arbeit machen wollte.
Die großen Rieslinge von der Saar und von der Mosel, die ihm ausgehenden 19. Jahrhundert Preise erzielten, die beim 2- bis 3-fachen davon lagen, was ein Mouton- oder ein Lafite-Rothschild kosteten, wurden aus vollreifen Trauben spontan vergoren. Die meisten davon lagen in einem Bereich von 10-20 Gramm Restzucker. Ein Bereich, der heute mit der abwertenden Bezeichnung halbtrocken leben muss. Damals hat man diese Weine gelobt, denn sie waren leicht (wenig Alkohol), ungemein fruchtig, duftig und sehr verträglich. Es waren einfach perfekte Essensbegleiter und dafür hat man, oder wer es sich leisten konnte, sehr viel Geld ausgegeben.
Wirklich süße Weine waren vor 1914, vor der Erfindung der kalt-sterilen Abfüllung weitgehend unbekannt. Ich teile zwar Deine Vorliebe für herrlich duftige, elegante Auslesen, aber diese waren auch zu früheren Zeiten ganz außergewöhnliche Weine…. Schön wäre, wenn wieder die ganze Palette an Wein, an Riesling Anerkennung finden würde. Und damit meine ich diesen so spannenden, aber von vielen Winzern völlig vernachlässigte Bereich zwischen 10 und 40 Gramm Restzucker… Statt den trockenen, aber eben auch sehr alkohollastigen Weinen, würden wir dann wieder sehr leichte, duftige Rieslinge bekommen, die sich wunderbar mit Essen kombinieren lassen.
Gedanken zur Restsüße
Trockene Weine sind deswegen nicht unbedingt alkohollastig –
und leicht luftig, trinkig muß nicht zwangsweise restsüß sein.
Zucker meiden ist gesundheitlich günstig –
die Geschmäcker sind natürlich verschieden, aber zum Essen passen trockene Weine für mich immer besser als restsüße. brrr!
Restzucker, den man heraussriecht und der sich uim Geschmack hervortut, vermindert mein Trinkvergnügen.
Ich verfechte daher sehr die Idee, dass dieser Wert auch auf dem Etikett angegeben wird, egal, ob gut eingebunden oder nicht.
100erte Male hab ich solche Weine probiert und auch gekauft, sie lagern alle im Keller und kaum ergibt sich Gelegeheit, diese zu trinken.
Leben heißt auswählen und man soll es den Konsumenten erleichtern, etwas zu finde, was nach ihrem Geschmack ist.
Erg.
Erhard DINGES , A -8311