Die Rheinfront – so nennt man das Land zwischen Nackenheim und Worms. Eine Bezeichnung für eine Weinregion mit ganz besonderen Vorzügen und über lange Zeit ein Versprechen. Das Versprechen, einen großen deutschen Wein im Glas zu haben.
Doch diese Zeiten sind lange vorbei. Der stets als „Hinterland“ marginalisierte, flächenmäßig weitaus bedeutendere Teil von Rheinhessen steht in der Wahrnehmung der Weintrinker heute stellvertretend für das ganze Gebiet. The Times They Are A-Changin‘.
Gunderloch, St. Antony und Kühling-Gillot, diese drei Namen verdienen Erwähnung, wenn es um die Weine vom „Roten Hang“ geht – wie die Region wegen des rötlichen Schieferbodens auch genannt wird. Und hier wächst in erster Linie: Riesling. Früher stand auch vermehrt Silvaner in den Spitzenlagen, der dort auch heute noch seine Berechtigung hätte. Aber Riesling ist die Rebsorte der Stunde – seit Jahren.
30 Jahre Dornröschenschlaf
Eines der großen, bedeutenden Oppenheimer Weingüter, das die letzten dreißig Jahre im Dornröschenschlaf verharrte, wurde mit dem Jahrgang 2010 wieder wachgeküsst. Ein Einstieg, den man niemandem wünscht. Ein schwieriges Jahr, ein besonderes Jahr, in dem ganz eigene, markante Weine entstanden. Beim Weingut Bürgermeister Carl Koch Erben stieg Heiner Maleton ein und übernahm die Verantwortung für den Keller.
Man hat Großes vor mit diesem rund 130 Jahre alten Weingut, das seinem Sitz in einem prachtvollen mittelalterlichen Anwesen hat. Etwa die Umstellung des zwölf Hektar großen Betriebs auf ökologischen Anbau. Verwaltet wird der Besitz von Jutta und Folker Berkes. Und die tun einiges: eine mutige Ausstattung der Flaschen, unkonventionelle Cuvées, ein modernes Sortiment mit dem Bekenntnis zur Tradition.
Berkes und Maleton fahren drei Linien, die nicht zwangsläufig verschiedene Kunden ansprechen. Allen gemein ist die Fokussierung auf Trinkfreude und Präzision. Das fängt bereits bei den augenscheinlich „einfachsten“ Flaschen an: „Krötenmüller“, ein saftiger, aber auch kühler, eine Spur kräuteriger Müller-Thurgau, der das Wortspiel mit dem Oppenheimer Krötenbrunnen treibt. Jener Lage, die zur gigantischen Großlage aufgeblasen, für eine Fülle an billigstem Markenwein Pate stand. Und zum Synonym für üblen deutschen Wein schlechthin wurde. Ein Spiel mit dem Feuer – das gefällt mir.
Eine Hommage an den Vinho Verde
Der „Silvaner verde“, ein Grüner Silvaner, der ganz bewusst an den „Vinho Verde“ der Portugiesen erinnern soll. Auch wenn er gar nicht besonders spritzig daherkommt, sondern einige Substanz besitzt: Viel Schmelz und Würze. Neben brauner Butter dann auch grüner Spargel und Zuckerschote. Eine leichte Süße, die an Honigmelone erinnert. Am Gaumen saftig und karg, ausgewogen und voller schmeckt er erst am dritten Tag. Ein auf den ersten Blick einfacher Wein, der aber wunderbar reifen wird.
Besonders beeindruckend an Maletons Arbeit ist für mich der Umgang mit der Vielzahl an ausgepflanzten Rebsorten, die sich kein Kellermeister wünscht. Oder vielleicht doch? Denn sie geraten allesamt zu kleinen Schönheiten. Die konsequente Auseinandersetzung mit den Unbilden des Jahrgangs, zeigt sich im „Achtung!“: einer Cuvée aus Riesling und Scheurebe mit dem beeindruckenden Säuregehalt von 14,9 Gramm pro Liter. Ein Messwert, der einem die Schuhe auszieht.
Großer Saft mit großem Weinwert
Und trotzdem, das ist einer der genialsten 10er, die ich bisher trinken konnte. Der beste Ersatz für Scheurebe als standardisierter Sauvignon Blanc-Ersatz. Ein rassiger, saftiger Wein, der einem förmlich die Socken auszieht. Ein Wasserguss im Sommer, ein Griff ins Gefrierfach – ein toller Wein. Nur die Flasche ist definitiv zu klein.
Aus der „klassischen“ Linie, die das historische Etikett mit dem Gutshaus trägt, ragt ein Wein in doppelter Hinsicht heraus: Die Oppenheimer Sackträger Riesling Auslese ist ein ungeheuer konzentrierter Saft, der mit einer Exotik aufwartet, die eher an Rieslaner oder Scheurebe denken lässt und deren Süße/Säure-Spiel geradezu explodiert. Für 0,5 Liter dieses grandiosen Süßweins, der freilich ein paar Jahre Kellereife benötigt, verlangt man gerade einmal 9,00 Euro. Ein größerer Weinwert kam mir in diesem Jahrgang noch nicht unter.
Die beiden schönsten Weine – und da zeigt sich besonders, was Heiner Maleton kann, sind zwei Cuvées aus weißen Burgundersorten. Hier wurde unbewusst erhört, was ich mir seit Jahren wünsche: Grauburgunder, Weißburgunder, Chardonnay trinke ich gerne als Rebsortenweine. Die Krönung ist für mich aber, wenn sie verschnitten werden.
Erinnert an die kühle Schönheit eines Meursault
Grauburgunder wird feiner, Chardonnay markanter und Weißburgunder etwas in der Säure reduziert. Aber das ist nur ein Ansatz. „Drei Trauben – ein Fass“ (WB, GB, CH) ist ein herrlich anspruchsvoller Trinkwein, der herrlich süffig ist und dennoch eine feine, salzige Mineralität zeigt. Etwas opulenter, aber gleichfalls eher von der Mineralität geprägt, ist die „Goldberg Variationen BWV988″ (WB, CH) aus der alten Lage „Goldberg“. So ausgeprägt komplex, erinnert die kalkige Würze an die kühle Schönheit eines Meursault. Die fette Frucht erinnert an beste kalifornische Chardonnay nach zehn, fünfzehn Jahren Reife. Ein beeindruckender Wein, der sich herrlich leicht trinkt. Zwei Stunden belüften, das sind wir ihm schuldig!
Die spannendste Neuentdeckung in Rheinhessen und hoffentlich ein starker Impuls für die verschlafene Rheinfront. Bei Carl Koch jedenfalls scheint alles möglich, außer Langeweile.
Heiner weiter so…
Eschenauer ist zurück und schon wird es seriöser hier ohne den Witz zu verlieren. Eine Wohltat. Bitte mehr davon.
Ein mutiges Weinangebot – als würde Herr Maleton Weine machen, die er selber gerne trinkt und die ihn als einfallsreichen Weinmacher ausweisen. Dass ist ihm mit dem aussergewöhnlich breiten und vielschichtigen Angebot 2010, das Staunen macht, gelungen.
Ich hatte hier vor einiger Zeit den Riesling „Weg und Wiese“ aus dem Sortiment lobend erwähnt, er zählt wie der in dem Artikel genannte Silvaner (in meiner Erinnerung straff und resch; ich habe ihm nicht mehrere Tage Zeit zur Entfaltung gegeben und demnach vielleicht voreilig als eindimensional oder „hardcore-mässig“ in Erinnerung) zu den schlanken, gleichwohl jahrgangsverleugnend keineswegs säuerlichen Basisweinen, die der GM bei seinem ersten Stern für das Weingut positiv hervorgehoben hat. Gerade für die Anbauregion sehr interessante Richtung – ich hoffe, 2011 knüpft da an.
Dann gibt es eine zweite Richtung bei den Rieslingen (oder auch dem Blanc de Noirs, der nachdrücklich empfohlen sei: ausdrucksvoll und mit schönem Körper), die so runde und volle Weine darbietet, wie sie die Gegend, nicht der Jahrgang erwarten lässt.
Schliesslich die in dem Artikel genannten Weine/Cuvees mit den einfallsreichen Namen. Sehr ungewöhnlich und mutig, mir persönlich zu alkoholreich (über 13 % bei den „Drei Trauben“ und den „Goldberg-Variationen“ – toller Einfall, das Bach-Werk als Namensgeber zu verwenden; historisch als Einschläferungshilfe für einen schlaflosen, aber begüterten Kompositionsauftraggeber gedacht – hilft heutzutage übrigens nicht zuverlässig, kürzliche Anwendung bei einem 10-jährigen blieb erfolglos).
Ich bin gespannt, ob die weite Spanne und Individualität des Angebotes auf genügend Nachfrage stösst – zu wünschen wäre es ihr (gerade auch als Kontrast zu den Nachbarn, die – wie Gunderloch oder Heyl – hinter früheren Meriten hinterherbleiben) und Herr Maleton, den ich von Biffar noch gut in Erinnerung habe (auch dort als Kontrast zur Gegenwart).
Das ist nun nicht direkt der Rote Hang, freut mich aber trotzdem, dass in der Gegend wieder spannende Weine gekeltert werden.
Muss ich probieren. Himmel ist das billig! Da bekomme ich ja Schluckauf.