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Quinta da Plansel: die Wein-Virologen

Diese Lindemanns...
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Die deutsche Familie Böhm-Lindemann revolutionierte den portugiesischen Weinbau. Der Captain erzählt die Geschichte und trinkt dazu grandiosen Rotwein.
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In drei Tagen erhält der Captain seine COVID-Impfungin den Arm gespritzt. Ganz ohne Parteispende an die CSU oder irgendwelche Privilegien, die ihm bewusst sind. Auch ist der Captain weder steinalt, noch krank.

Gestern meldete sich sein Hausarzt und gab den Termin durch. Das kam schneller als erwartet. Entsprechend schwungvoll begann er heute Morgen ein Gespräch mit Winzerin Dorina Lindemann im warmen Alentejo (Portugal) und landete unversehens beim Thema aller Themen: Virusinfektionen. Ja, auch Weine können sich mit gefährlichen Viren anstecken, die von anderen Pflanzen (wie etwa Tomatenstauden) überspringen und Krankheiten auslösen. Das ist krass.

Die Dame in der Mitte oben ist übrigens besagte Dorina Lindemann. Neben ihr die im 75-Hektar-Weingut Quinta da Plansel tätigen Töchter Júlia (rechts) und Luisa.

Zum Betrieb gehört übrigens auch eine große Rebschule, die bis nach Deutschland liefert. Wer meinen Newsletter regelmäßig liest, weiß, dass sogar schon an der Mosel die Rebsorte Alvarinho ausgepflanzt wird und sehr befriedigende Ergebnisse liefert.

Dorina und ihr Vater Jorge Böhm waren die Ersten, die reinsortige Weine aus portugiesischen Trauben auf den Markt brachten, erzählt die Winzerin. Bis dahin gab es nur Cuvées. Wieder was gelernt. Und so ein Mono-Tropfen ist auch der samtweiche und mächtige (und dabei gar nicht so schwer wirkende) rote Dorina Lindemann Touriga Nacional von Quinta da Plansel, ein Pilotwein, dem weitere Solitäre folgten: Tinta Barroca, Touriga Franca usw.

Und so wirkt der Wein, dessen Trauben auf sehr eisenhältigen Böden wuchsen (was im Geschmacksbild deutlich spürbar wird) und dem man sein mächtiges Gewicht (15% Vol.) gar nicht anmerkt: Im Glas sattes Rubinrot. In der Nase viel dunkle pflanzliche Würze mit frischer Minze. Dann Brombeere, Kirsche, der rauchige Duft von Vollrohrzucker – der Wein ruhte 14 Monate im französischen Barrique. Im Mund butterweich und von cremiger Extraktsüße gepimpt. Ich schmecke viel dunkle Schokolade, dann zart-mineralische Noten von gedämpftem Spinat und geröstete Haselnüsse. Genialer Wein zu Blutwurst und ein charaktervoller Solitär. Von diesem Flaggschiff-Wein einer deutschen Winzerin werden jährlich nur 5.000 Flaschen abgefüllt.

Die Geschichte von Plansel – der Name ist übrigens etymologische Akrobatik: SEL = KlonSELektion – fusst auf einer hollywoodtauglichen Legende, die der Captain (typisch) erstmal als fake history diffamierte. Ist ja sehr beliebt bei modernen wineries heutzutage, seitdem man weiß, dass storytelling den Weinverkauf befördert.

Also: Es begab sich, dass in grauer Vorzeit (ich glaube in den frühen 1960er-Jahren) der Weinhändler-Sohn Jorge Böhm mit ein paar Kumpels auf einem restaurierten Fischkutter die Welt umsegeln wollte, aber bereits in der ersten Etappe kläglich scheiterte, weil die vier Junges völlig seeuntauglich waren: Einsamkeit, Gekotze. Das passt zu einem Leitspruch des Captain: Für einige führt der Pfad zum Weinkennertum durch einen Sumpf aus Erbrochenem. Ergo: Lasst uns an Land gehen , saufen und Mädchen kennenlernen. Gesagt, getan. Aber leider hatte man vergessen, die Bootsbeleuchtung anzuknipsen. Und als die Buben die Becher klirren ließen, rammte ein Schiff den alten Kutter.Ende der Reise.

So sieht Jorge Böhm heute aus:

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Vier Wochen ungewollter Aufenthalt in einer fremden Nation, die vom Rest Europas isoliert war – wegen Fascho-Diktatur. Es dauerte eine Weile, um die Gestrandeten aus dem Land loszueisen. Und jetzt kommt noch ein popkulturelles Zitat in abgewandelter Version: Du kannst den Jungen aus einem Land holen, aber das Land nicht aus dem Jungen. Fazit: Jorge kehrte zurück (nachdem das Familienunternehmen in den Glykol-Skandal verstrickt und Deutschland sowieso Scheiße war) und widmete sich fortan der Rebklonenforschung, wurde zu einer Art Craig Venter der portugiesischen Önologie. Ach ja: Inzwischen hatte der junge Mann in Geisenheim studiert.

Bis heute exportiert Portugal gigantische mengen billiger Massenweine in alle Welt. Jeder, der so einen 4-Euro-Wein (manchmal teurer, manchmal billiger) getrunken hat, merkt: Da stimmt doch was nicht. Der Geschmack wirkt matt und dünn. Auch viele Weine der gerade sehr hippen Modesorte Alicante Bouschet sind davon betroffen, erzählt Dorina Lindemann: Wir kennen 20 bis 30 Antikörper. Die Folgen sind verschiedene Pflanzenkrankheiten, zum Beispiel Kummerwuchs.

Forscher der Hochschule Geisenheim fanden heraus, dass virusinfizierte Wurzelstöcke aus Frankreich bei den portugiesischen Rebsorten Degenerationen verursacht hatten. Diese Erbkrankheiten mussten identifiziert und beseitigt werden. In einem großen Zertifizierungsprogramm stemmte Jorge Böhm mit Kollegen die Herausforderung. Die Rebschule der Familie verkauft saubere Setzlinge, aus denen sich starke Stöcke entwickeln, die kraftvolle Weine ergeben.

Böhm machte sich nie mit dem Salazar-Regime gemein (Wein und Politik vertragen sich nie) und wurde aufgrund seiner Pionierarbeit in der neuen portugiesischen Demokratie mit Ehren überhäuft. Die Familie gehört heute zur heritage des modernen portugiesischen Weinbaus.

Das war ein bisschen deutsch-portugiesische Weingeschichte im Zeitraffer. Vielleicht finde ich irgendwann die Muse, die ganze story aufzumalen. Aber ich glaube, das Vorspiel zu diesem Wein ist trotzdem gelungen. Ein toller Roter, der nicht viel kostet und SEHR zu empfehlen ist.

 

Datum: 1.5.2021