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ProWein: das Jammern der kleinen Händler

Mag billig wirken. Und am heiligen Gral kratzen. Aber es funktioniert: Wein & Co in Österreich...
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Morgen startet die große Weinmesse ProWein in Düsseldorf. Pünktlich beginnt eine Debatte, warum den kleinen Fachhändlern Kunden weglaufen. Und der Konsument beim Diskonter kauft. Der Captain wagt eine "gefühlte" Erklärung.
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Die Debatte tobt. In den einschlägigen Foren – aber auch bei Promi-Weinbloggern wie Dirk Würtz – bastelt man an Diskursen. Grund hierfür ist wieder mal eine neue Statistik, die besagt, dass immer mehr Konsumenten ihren Wein nicht mehr beim Fachhändler ihres Vertrauens, sondern im Supermarkt und beim Diskonter kaufen. Und man fragt sich, was die Gründe hierfür sind. Ist doch der Fachhändler eigentlich zuständig für das Verkaufen guter Weinflaschen. Er kennt sich aus, berät, lässt kosten, tut also alles, was man tun muss, um den Wein fachgerecht und freundlich an die Frau und den Mann zu bringen. Warum funktioniert das immer seltener, warum laufen die Kunden davon?

Man muss da gar nicht viel nachdenken: Jeder zweite deutsche Weinladen vermittelt gleich, warum er nicht funktionieren kann. Viele Weinhändler sind nicht in der neuen Realität der Weinkonsumenten angekommen. Es handelt sich um die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Jeder, der in Frankreich, Italien oder Österreich die Weinszene, den der Szene angeschlossenen Weinhandel beobachtet, weiß, wie weit die deutschen Händler vom Thema entfernt sind. Das mag ein Versäumnis sein. Man kann die Situation aber schnell ändern. Jemand wird die Situation bald ändern.

Noch immer betritt man einen Weinladen in Deutschland mit dem Gefühl, hier etwas Hochwürdiges erleben zu dürfen, eine sehr geheime Welt der Weine zu betreten, die nur Eingeweihten wirklich offen steht und die der Laie mit entsprechender Demut zu quittieren hat. Das liegt mitunter (aber immer seltener) auch am Getue der Verkäufer, die sich als wahre Kenner der Materie gebärden, obwohl sie der Konsument schnell als Schwätzer entlarven kann.

Dunkel und verschwörerisch

Weinläden in Deutschland gleichen oft Modellbahnläden, wo sich Männer treffen, die dann staunend das neue Modell der 1080er E-Lok betrachten. Oder über ein Viadukt von Faller staunen. Auch ist es ähnlich dunkel und verschwörerisch. Was hat ein normaler Konsument hier zu suchen, der sich an lichte und helle Supermärkte gewöhnt hat? Warum soll er den Logenbrüdern in die Katakomben folgen?

Zudem die Weinhändler oft sehr seltsame Empfehlungen aussprechen. Den Deutschen ist die Lust eigen, mittelmäßige Produkte und Schnäppchen zu großen Entdeckungen hochzustilisieren. Der Captain will ein Beispiel geben, das sicher wieder einen Aufschrei provoziert. Das Beispiel heißt Nero d´Avola, ist eine eher traurige Traube (ist ja gut, Michael Liebert, es gibt Ausnahmen!) mit sehr vordergründigen Eigenschaften, die sich kühl gut trinken lässt. Weil Nero d´Avola aber nie einen richtig großen Wein hergeben wird, bleiben die Flaschen auch stets günstig.

In Deutschland wurde dieser Nero d´Avola zu einer Art Kultwein mittelinformierter italophiler Weintrinker. In den italienischen Lokalen der Hauptstadt prosten sich gut situierte Leute mit den Worten „Aaah, das ist ein echter Nero d´Avola!“ zu, als tränken sie den Trunk der Götter. Das muss ihnen jemand eingeredet haben. Und der Captain weiß auch, wer ihnen das eingeredet hat.

Sofort eintauschen

Der Captain ist sich sicher, dass alle Nero d´Avola-Fans einen wuchtigen 2006er Nero für 15,60 Euro sofort gegen einen 2006er Villa Antinori für 13,95 Euro tauschen würden. Und das hat einen einfachen Grund: Der banale 2006er Villa Antinori schmeckt einfach besser. Da hilft auch das ganze autochthone Geschwafel nicht. Und auch nicht die Imagination der Sonne des Südens, der Zitronenbäume, des Pinienkern-Lebens im Schatten der organisierten Kriminalität. Für den Captain ist das Hochfurzen des Nero d´Avola auch eine Art organisierte Kriminalität.

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Es ist egal aber – so will ich´s nicht mehr haben…

Und wenn auch nur ein einziger Konsument mal eines Abends keine Zeit mehr hat, um beim Weinhändler seines Vertrauens vorbeizuschauen und statt dessen bei Edeka nach einem Villa Antinori greift, dann wird er schon am nächsten Tag nicht mehr zu seinem Weinhändler zurückkehren. Und danach die ganze Palette von Edeka ausprobieren. Zwei, drei gute Weine wird er finden. Das langt ihm. Und er muss sich auch nicht mehr das Geschwätz anhören. Das Geschwätz vom einzigartigen Terroir des Nero d´Avola, von der fantastischen Lage des neuen südfranzöischen Weinguts, das der Händler erst kürzlich bei einer Reise entdeckt hat , von der Virtuosität des spanischen Önologen, den er neuerdings besser kennt. Das ist ihm dann schnuppe. Dem Konsumenten.

Das ist schade. Unwidersprochen schade. Doch der Captain hat keine gute Nachricht für den Weinfachhandel. Ein Blick nach Österreich reicht, um zu sehen, wie es kommen kann. Und nach Meinung des Captains auch kommen wird.

Was längst notwendig ist…

In Österreich hat vor nun bald 20 Jahren der große Weinhändler Wein & Co (dessen Onlineshop ein Werbepartner des Captain von der ersten Stunde an ist) das gemacht, was in Deutschland längst Not tut. Er hat den Weinfachhandel ins Leben getragen. Und die alten verstaubten Vinotheken – bis auf wenige Ausnahmen – liquidiert. Jene, die es noch gibt, haben sich spezialisiert oder können auf einen guten und treuen Kundenstock zurückgreifen. Einige kleine Vinothekare (etwa Unger & Klein in Wien) machen es wie Wein & Co und unterhalten in der Vinothek eine gastronomische Sektion, die brummt und Geld bringt. Aber dafür muss man eben Humor haben. Und der fehlt den deutschen Weinfachhändlern wie ein Bissen Brot. Und auch die Bereitschaft zur erweiterten Dienstleistung.

Denn wer sieht, wie bei Wein & Co die Post abgeht, wie gut die an das helle und transparente Geschäft angeschlossene und größtenteils integrierte Gastronomie funktioniert, der begreift, was zu tun ist – eine Tür zum Wein über das bacchantische Vergnügen des Ad hoc-Konsums zu öffnen; die Nebenwirkungen greifen zu lassen. Also Fröhlichkeit und Sex. Wenn man dazu noch was Gutes zu Essen kriegt (ein bisschen Schinken und Käse ohne viel Tamtam auf den Tisch gestellt), nimmt man mehr als eine Flasche mit. Wer das nicht glaubt, kann sich in Wien tagtäglich davon überzeugen.

Keine Frage der Mentalität

Und der Captain glaubt nicht, dass die Mentalität da noch groß eine Rolle spielt. Deutschland hat sich in den letzten zwanzig Jahren dramatisch mediterranisiert, es ist längst an der Zeit, dass der Weinfachhandel da nachzieht. Denn sonst hat schon bald einer die Idee und gründet in Deutschland ein ähnliches Unternehmen wie Wein & Co. Da reichen zehn Premium-Stores in großen Städten. Der Erfolge wäre nicht enden wollend, dafür sorgt schon die Neugierde der Deutschen. Und ihr stetig wachsender nationale Markt, der immer bessere Winzer hervorbringt.

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Das war es auch, was Wein & Co in Österreich groß machte: Der stetig wachsende Markt guter einheimischer Winzer. Sie alle wollten an einem Ort repräsentativ gemeinsam präsentiert werden. Und weil es diesen Ort in Deutschland nicht gibt, boomt der Online-Weinhandel.

Ein großer Händler wie Wein & Co hat nicht nur Vorteile. Die Winzer erfahren durch seine Marktdominanz viel Preis- und Lieferdruck; kleine Regionen und Besonderheiten bleiben außen vor. In Österreich gibt es nur noch wenige Vinotheken, die ihre Klientel mit raren Ausnahmeweinen verwöhnen, welche noch für Überraschungen sorgen, die ein großer Händler gar nicht bieten kann. So sehr er sich auch anstrengen mag.

Hell, freundlich, sexy

Der Captain glaubt, dass sich der deutsche Weinfachhandel wandeln muss, dass er die Läden hell und freundlich machen muss, dass er lauter auftreten muss, dass er zig Flaschen aufreißen muss und eine eigene und gut sichtbare Kleingastronomie integrieren muss, dass seine Vinotheken so werden, wie eine italienische Küche, wo man gerne zusammenkommt, um zu trinken und zu essen. Ein Lokal der Entspannung, wie ein großer Holztisch mit vielen Gläsern drauf.

Der deutsche Weinmarkt wartet darauf, von einem großen Player eingenommen zu werden. Der Captain glaubt, das ist nur noch eine Frage der Zeit. Die, die danach überleben, werden selbst zum Wandel beigetragen haben. Doch damit müssen sie jetzt schon anfangen. Heute.

 

Datum: 26.3.2011 (Update 8.3.2016)
 

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