Der Captain hat köstlichen Rotwein aus dem Keller von Maria Carella im Glas, der mehr als andere die Absurdität des Begriffs „mineralisch“ auf den Punkt bringt. Weil er nämlich SEHR mineralisch schmeckt. Und weil seine Reben in Vulkanerde stecken. Mehr Mineralik geht einfach nicht, möchte man denken, wenn man diese kühle Würze von kalter Grillkohle riecht und beim Trinken das Gefühl von einem winterlichen Spaziergang durch den Wald spürt, kurz bevor es dunkel wird. DAS ist Weinromantik! Aber Vorsicht.
Es ist unmöglich, dass Teile von Steinen, seien sie auch noch so klein, aus dem Boden durch die Gefäße der Rebpflanze in die Beeren wandern. Ja, Mineralien (also Nährstoffe und Spurenelemente) werden als flüssige Lösung von der Rebe durch die Wurzeln aufgenommen. Das sind vor allem Kalium, Natrium, Calcium, Magnesium, Phosphor, Schwefel, Stickstoff und Chlor. Das meiste davon kommt aus abgebauten Pflanzen oder zugeführtem Dünger.
Schwefel und Chlor kommen hauptsächlich aus der Luft und gelangen mit dem Regen in den Boden. Nichts davon kann man im Wein schmecken. Dafür ist die Konzentration von alldem viel zu gering und die meisten Stoffe per se sowieso geschmacksfrei. Und Stein?Vergiss es!
Von allen Mineralstoffen kann man im Wein nur Salz (Natriumchlorid) schmecken. Kein Wunder, es ist das wichtigste Mineral für den Menschen. Der Körper eines Erwachsenen enthält 150 bis 300 Gramm Natriumchlorid. Drei bis 20 Gramm davon gehen täglich verloren und müssen ersetzt werden. Deswegen sind wir alle so scharf auf Salz und wollen es überall schmecken. Im Wein und neuerdings sogar in der Schokolade. Der Rest der mineralischen Wahrnehmungen ist entweder Teil des sogenannten Mundgefühls, von krepierten Hefesporen hinterlassene Aromatik oder schlicht und ergreifend Einbildung, die von poetisch gesinnten Weinschreibern inspiriert wurde. Auch der Captain ist daran schuld, denn dauern schwafelt er von Mineralik im Wein und glaubt schon selber, dass Schiefer-Noten im Geschmacksbild eines mineralischen Moselaners vom Schiefer kommen, auf dem seine Trauben wuchsen. DAS IST QUATSCH.
Zurück zu Kellermeisterin Maria und meinem Abendwein, dem hinreißend coolen und günstigen → Lenza di Munti Etna Rosso von den Cantine Nicosia, der von südöstlich ausgerichteten Hängen kommt. Wenn man da oben steht, kann man runter nach Catania blicken. Lenta die Munti heißt übrigens Angelrute, glaube ich. Keine Ahnung, was den Winzer zu diesem Namen inspirierte.
Die Cantine Nicosia stellen insgesamt 43 Weine her, die Gruppe ist in mehreren Regionen Siziliens ansässig. Noch mehr Zahlen gefällig? 270 Hektar Rebland, 1.8 Millionen Flaschen pro Jahr. In Deutschland wäre das ein Gigant, in Italien ist es ein mittelgroßer Betrieb.
Die internationale Weincrowd fährt voll auf die komplexen und mineralischen Vulkanweine vom Ätna ab und endlich lohnen sich die hohen Kosten für Landschaftspflege und manuelles Arbeiten am Berg, wo jede Maschine stecken bleibt oder abstürzt. Unternehmer kaufen Parzellen zusammen und starten Weinprojekte. Aus Kalifornien, Spanien, Belgien etc. Nur Chinesen hat man am Berg noch keinen gesehen, ist wohl nur eine Frage der Zeit. Deutsche? Der Captain kennt keinen. Der reiche Pharma-Unternehmer Giuseppe Benanti aus Catania war der erste, der investierte, wo über Jahrzehnte nur ein Grüppchen einheimischer Kleinbetriebe durchhielt. Benantis Zusammenarbeit mit Weinberater Salvo Foti war der Startschuss für die großen Weine vom Ätna. Heute kommt man mit dem Verkosten von Spitzentropfen gar nicht mehr nach. Ihre besondere Story und Stilistik entsprechen voll und ganz dem Hype von cool climate. Mit heller Farbe, wenig Alkohol, salziger Mineralik, straffer Säure, ihrer Kühle und Aromatik, die zwischen Nebbiolo und Pinot Noir angesiedelt ist, passen die Roten vom Ätna perfekt zum Geschmack der Zeit. Und die Weißen, hauptsächlich aus Carricante gekeltert, erinnern mit burgundischer Straffheit, Rauchigkeit und bisweilen langem Hefelager an die superhippen Weine aus dem Jura.
Ätna-Weine sind in der Regel nicht günstig, dieser hier schon und auch deshalb ist er DIE Gelegenheit, sich dem Anbaugebiet Ätna zu nähern. Die Cuvée aus den Rebsorten Nerello Mascalese und Nerello Cappuccio strahlt im Glas mittel-hell. In der Nase extrasauber und klar nach Sauerkirsche, dann feinstes Kakaopulver. Sonst nichts und diese Reinheit ist großartig. Weiter hinten zerkochtes Zwetschkenkompott, helle Crema di Nocciole aus dem Piemont, das noble Vorbild für die bittere Müllpaste namens Nutella. Dann zarter rotfruchtiger Schmelz, ein Hauch Minze und kalte Grillkohle. Im Mund faszinierend feinfruchtig nach Kirsche, Blutorange und japanischem Kirschapfel. Dann dezente Gerbstoffe nach Schwarzwurzelragout und Brennnesseltee, die Kühle eines winterlichen Waldspaziergangs. Köstlich, klar, mineralisch und trinkig. Herrlicher Wein. Unbedingt genießen!