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Nehmt dem Wein die Sinnlichkeit!

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Technokraten am Vormarsch. In keinem anderen Land wird dem Wein die Sinnlichkeit geraubt, wie in Deutschland. Technischer Pragmatismus bestimmt alles, sogar die Genusskultur. Den Captain kotzt das an.
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In Deutschland gibt es eine Verschlussdiskussion. Nein, eigentlich ist die beendet, denn die beiden Lager haben ihre Wahrheit gefunden. Doch halt, auch das stimmt nicht, eigentlich hat nur ein Lager eine Wahrheit gefunden, das Lager des Schraubverlussbefürworter, der „Stelvinler“, die über die dämlichen Korkfreunde nur milde lächeln. Bescheuerte Romantik. Das Korkrausdrehen. Antiquierter Scheiß, den keiner mehr braucht. Zudem ist Kork schadensanfällig und folglich dem Konsumenten nicht zumutbar. Denn der gibt ja schließlich sein bitter erspartes Geld aus.

Mit den Schraubverschlüsslern kommen die Bag-In-Boxer. Wow, was diese Box für Vorteile hat. Beeindruckend. Der Wein oxidiert nicht. Und die Box ist vor allem so praktisch. So praktisch wie der Schraubverschluss auch. Wow, wie viele deutsche Weinblogger, vor allem ältere und pragmatischere Semester, diese Vorteile bewundern. Da sollen doch bitte gleich mehr als 50 % aller Weine in Bag-In-Boxen abgefüllt werden. Nur zum Vorteil der Konsumenten. Der Verbesserung wegen. Wow, wie toll das ist: Stelvin. Und die Box.

Die Deutschen, sonst unverbesserliche Romantiker, kennen beim Wein keine Sinnlichkeit. Doch halt, auch das stimmt nicht. Denn der deutsche Konsument sucht sehr wohl die Sinnlichkeit im Wein, sogar einen Tick zu sehr. Und deswegen betet er ja auch jeden Blödsinn nach. Etwa jenen der „Zimmertemperatur“. Immer noch. Nicht auszurotten. Hierzu gibt es übrigens ein legendäres Video, das vor ewigen Zeiten hier am Schiff gedreht worden ist.

Der Auftrag der Weiblogger: nimm dem Wein die Sinnlichkeit

Es ist der deutsche Weinblogger, der dem Wein die Sinnlichkeit nimmt. Und deswegen muss man diese Sinnlichkeit verteidigen. Auch wenn sie Quatsch ist, muss dieser Quatsch vor den Pragmatikern in Sicherheit gebracht werden. Eine Flasche mit Kork ist mir tausendmal lieber als eine Flasche mit Schraubverschluss. Und ich trinke keinen Wein aus einer Bag-In-Box, auch wenn ein nackter Mann die Verpackung ziert. Mach ich nicht.

Das Zeremoniell, einen Wein zu entkorken, macht das Getränk immer noch zu einer Besonderheit. Das Ritual des Hebens und Ziehens ist eine haptisch angenehme Erfahrung, schon beim Entfernen der Kapsel kommt Freude auf. Das dämliche Krachen des Stelvin hingegen macht niemals Freude. Und entwertet den Inhalt. Gefühlt natürlich. Nur gefühlt. Aber eben Gefühle.

Gefühltes als Teil des Weingenuss

Dieses Gefühlte macht gefühlt einen Teil des Weingenusses aus. Mag sein, dass einigen Weinbloggern und ihren befreundeten Weinhändlern dieses Gefühl fehlt. Aber es ist da, auch bei den jungen Trinkern. Das hat vor allem damit zu tun, dass Wein ein berauschendes Genussmittel ist. Von Wein will man nie satt werden; Wein soll schmecken, entspannen, auch euphorisieren, die Sinne wecken, sinnlich machen. Und wenn ein Lebensmittel explizit mit Sinnlichkeit verbunden ist, so muss es sinnlich verpackt werden. Natürlich nicht für die Elite der Weinblogger, die Wein trinken und beurteilen, als wären sie Angestellte der Stuttgarter Motorpresse und Journalisten bei Auto Motor und Sport. Auch nicht für die Weinpunks, die ihre Flaschen am liebsten mit der Motorsäge enthaupten würden.

Doch nichts ist grässlicher als diese Bag-In-Box. Wein aus Schläuchen – wer will das? Der Plastikteil erinnert an den Entleermechanismus eines Harnsacks bei Nierenpatienten. Igitt. Und erst diese elend hässliche Box mit all ihren unbestreitbaren Vorteilen. „Kann nicht kaputtgehen“, sagt der Weinhändler. Und freut sich. Da will ich gleich ein paar Flaschen zu Boden werfen und mich über die Kaputtbarkeit freuen. Den Blöden ihre Unkaputtbarkeiten. Wahrscheinlich alle Sandalenträger. Weil das im Sommer so praktisch ist.

Ich wette, dass die meisten Bag-In-Box-Konsumenten eine Jack-Wolfskin-Jacke im Kleiderschrank haben. Und in ihrer Freizeit vor allem bequeme Kleidung tragen. Wo der Alltag keine Sinnlichkeit kennt, ist auch Weingenuss aus solch hässlichen Boxen egal.

Folglich scheut der deutsche Weinblogger auch nicht davor zurück, Weine aus Plastikflaschen gut zu finden. Irgendwie. Mein italienischer Önologe hat neulich etwas sehr Weises gesagt. Er meinte, dass Schraubverschlüsse, Boxen und all das praktische Zeug dort Platz greifen, wo man keine „bella figura“ kennt. Da ist was dran.

Nix Bella Figura

Australien, England, Holland, Dänemark, Deutschland: Alles Länder, in die man praktisch verpackten Wein schicken kann. Alles auch Länder, wo breite Schichten der Bevölkerung körperbetonte Kleidung und elegantes Schuhwerk für Konsumterror und Systemkonformismus halten. Länder ohne Wirtshäuser, Länder mit Fleischfabriken, Länder, die dem Genuss gerne Riegel vorschieben.

Korkdiskussion in Frankreich? Gibt es. Aber da geht´s um die Qualität. Und nicht um die Art des Verschluss. Bag-In-Box in Italien? Gibt es. Aber vor allem in der Gastronomie. Kein Italiener der Mittelschicht hat eine Bag-In-Box daheim stehen. Das würde er nicht ertragen. Pleite, aber elegant pleite. Und selten pragmatisch. Gott sei Dank!

„Well he can’t be a man ‚cause he doesn’t smoke the same cigarrettes as me.“ Dieser Satz aus Satisfaction (Rolling Stones – alles Gute zum 50ten), ist hier wieder zur Anwendung zu bringen. Senior Service vs. Boston von Aldi. Wer das Praktische von Bag-In-Boxen lobt, soll bitte in seinen Hyundai steigen und abrauschen. Bag-In-Box, Stelvin und andere pragmatische Scheußlichkeiten verderben die Weinkultur. Und wer das nicht sieht, der sieht eben nicht. Die Weinkultur. Die Kultur. Sieht nichts.

 

Datum: 3.7.2012 (Update 7.1.2015)
 

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