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Michelin 2010: Vom Westen nichts Neues

So sehen Deutschlands Superköche aus: Andree Köthe und Yves Ollech vom Essigbrätlein in Nürnberg
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Eine Deutsche ist neue Chefredakteurin des Guide Michelin. Mancher hoffte auf ein Feuerwerk der Sterne- Irrtum. Die Langeweile der Fressführer ist ihr Untergang. Sie kapieren nicht, was abgeht.
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Kurz mal weg vom Wein, hin zur schönsten Nebensache, neben der Nebensache Sex, hin zum Essen, ohne das der beste Wein nicht schmeckt. Essen kann man sich und Freunden kochen, Essen kann man im Restaurant verzehren. Um nicht in der miesesten Spelunke zu landen, werden Restaurants bewertet. Für den Konsumenten gibt es seit Jahren zwei wesentliche internationale Führer, den Guide Michelin (er bewertet mit Gabeln und Sternen) und den Gault-Millau (er bewertet mit Punkten und Kochmützen, in Österreich Hauben genannt).

Neben den beiden großen, gibt es in fast jedem Land auch einige kleine nationale und regionale Guides, die aber meistens nicht zu den Platzhirschen, vor allem nicht zum Guide Michelin aufschließen können. Dieser gilt zu Recht als wichtigster Restaurantführer der Welt, weil er knapp und sachlich zusammenfasst. Und weil Köche über Köche urteilen, Gastronomen über Gastronomen. Der Gault Millau ist ein vergnüglich zu lesendes, journalistisches Werk, das mitunter Sachkenntnis vermissen lässt und zwiespältiger Polemik den Vortritt gibt. Aber er macht mehr Spaß – auch dem Captain.

Mit der intelligenten und welterfahrenen Juliane Caspar leitet seit diesem Jahr eine Deutsche die weltweite Chefredaktion des Guide Michelin. Da haben sich einige deutsche Gastronomen Hoffnung gemacht, das deutsche Fresswunder (neun Lokale mit der Höchstwertung von drei Sternen) werde sich dieses Jahr rasant fortsetzen. Ein Zeichen gegen die Krise. Doch mitnichten. Immerhin ist kein Dreisterner abgewertet worden. Wiewohl mancher, vor allem einer bei Frankfurt, es verdient hätte. Meint der Captain.

Doch nichts hat sich groß getan. Ein Zweisterner hat einen Stern verloren, ein Einsterner hat diesen Stern gewonnen. Sonst? Das große Gääähhhnen.

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Es muss sich auch nichts tun, sagt die mahnende Stimme. Es muss sich nichts tun, wenn sich nichts tut. Doch tut sich nichts? Für die Leute bei Michelin und Millau tut sich sicher nichts, denn sie bekommen das, was sich tut, nur am Rande mit. Beide Guides sind träge Organisationen, traditionell in der alten, behäbigen, westgebundenen Feinschmeckerei verankert. Und die hat ja viel getan für Deutschland, diese Feinschmeckerei.

Signifikant für die Ignoranz der Bewerter sind die andauernden Fehlbeurteilungen in der Bundeshauptstadt Berlin. Die alten Tester aus dem Westen hassen Berlin. Sie hassen den lässigen Umgang mit Küche und Küchenkultur, sie verachten Lokale wie das Grill-Royal, das Borchardt oder das Bandol. Doch gerade hier entsteht die neue deutsche Esskultur. Eine unangestrengte deutsche Esskultur. Gerade hier entsteht ein frankophiles, ein italophiles Deutschland, ohne sich dessen noch bewusst zu sein, ohne diese Tendenz auf irgendwelche Fahnen schreiben zu wollen. In Berlin lebt der Wertewandel, denn hier sind die Lokale auch voll, wenn sie von den beiden großen Führern schlecht bewertet werden. Keiner da, den das interessiert. Das müssen sie hassen, die alten Kritiker aus dem Westen der Republik.

Das Restaurant Fischers Fritz im Hotel Regent am Gendarmenmarkt, die wichtigsten Mitte der Stadt, hat zwei Sterne. Völlig zu Recht, sagt der Captain. Trotzdem ist es dauernd leer, weil es steif wirkt und ein Fremdkörper in Berlin ist, ein altbackenes Stuttgarter Hotelrestaurant, so unnötig, wie die ordnungsstaatliche Schwabenbrigarde, die gerade am Prenzlauer Berg Stellung bezieht. Sie haben Berlin nicht kapiert und Berlin wird sie nicht kapieren wollen.

Das gilt leider auch für Michael Hoffmann im Margaux, einer der besten Köche Deutschlands in einem der besten Restaurants der Stadt. Auch er ist in Berlin nie angekommen, denn auch die von ihm vereinnahmte internationale Klientel genießt eher die Leichtigkeit, mit der in Berlin Essen und Wein in unkomplizierter Umgebung zusammenkommen, als dass sie in staatstragenden Rahmen speisen will. Man mag das für proletoides Gehabe halten (was es ja auch ist), aber es zählt, dass es bei den Leuten ankommt, dass die Menschen genau das suchen.

Am Gendarmenmarkt kocht auch Kolja Kleeberg im Vau. Und sein Restaurant ist voll, weil es dort gut, modern und witzig ist. Weil die Stimmung ins Schwarze trifft. Ebenso im neuen Restaurant Reinstoff, das gottlob vom Michelin bemerkt wurde und einen Stern bekam. Das Experiment junger Gastronomen glänzt vor allem mit einer überbordenden und mit preiswerten Raritäten gut bestückten spanischen Weinkarte.

Aber was die Berliner Gastronomie ausmacht, sind die unzähligen kleinen Lokale, wie das Themroc, dasWeinstein und viele mehr, wo man gut und günstig auf hohem Niveau Essen kann. In jeder anderen Stadt würden diese Lokale von den alten deutschen Gastronomieführern lobend erwähnt werden. Nicht in Berlin. Hier zählt das nicht, denn hier hält man sich nicht an die Regel, hier findet man sich selber gut genug.

Und weil sie nicht kapiert haben, was abgeht, die alten deutschen Fressführer, werden sie mit ihrer Klientel irgendwann aussterben. Das gleiche gilt auch für Zeitschriften wie den Feinschmecker. Kein Junger liest das mehr.

Bei den Weinzeitschriften, bei den Weinführern ist diese Entwicklung schon dramatisch bemerkbar. Nirgendwo sonst sinken die Auflagen so rapide. Das hat selten mit der Qualität des Journalismus zu tun. Es kommt vor allem daher, dass sich die neuen Weintrinker dem salbadernden Geschwätz der Weinpriester nicht mehr öffnen. Wein verliert seine Wichtigkeit. Weingenuss wird alltäglich. Man liest gerne über Wein, liest aber nichts, das an eine Sekte erinnert, der man früher noch hätte beitreten wollen.

Und Ähnliches, nur etwas verspätet, droht den Regelwerken der Genusskonsumenten, den Fressführern. Ein Wertewandel findet statt. Genuss ist selbstverständlich. Doch man will verständliche Information, die sich einer einfachen und unterhaltsamen Sprache bedient. Diese Alltäglichwerdung ist manchem „Fachjournalisten“ noch ein Gräuel. Der Michelin wiederum, immer kurz und knapp mit Signalen arbeitend, liefert zu wenig Randinformation, um bei der Generation Internet ernst genommen zu werden.

Eben diese Unverständlichkeit, dieses im eigenen Saft kochen, ist es, das die meisten Weinblogs nach wie vor nach Lesern und Konsumenten suchen lässt. Sie können die Auflagenverluste der Weinmedien bislang nicht genügend für sich verbuchen. So bleibt nicht abgeholt, was abgeholt werden könnte.

Endloses Geschwafel über einen Chateau Dripsdrü aus 2005 interessiert nur mehr eine Kaste Introvertierter. Endloses Geschwafel über die Textur eines Hirschrückenfilets bei Starkoch Franz Fronz nur mehr die Anhänger des großartigen Jürgen Dollase. Die große Langeweile der Gourmetführer, die Auflagenerosion der Weinpresse, ist der neuen Normalität geschuldet, die diese Finanzkrise (in Wirklichkeit eine Sinnkrise) hinterlässt. Und diese Normalität wird bleiben. Zeit, darauf angemessen zu reagieren.

P.s: In Österreich hat der Guide Michelin heuer sein Erscheinen aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben und derart starke Betroffenheit ausgelöst. Das Wettrennen um den dritten Stern ist beendet, dieser kann nur mehr im internationalen Guide der großen Städte errungen werden. Die Luft ist raus, auch im Land der Fressverliebten, an dem sich Deutschland lange ein Bespiel nahm.

 

Datum: 11.11.2009 (Update 18.8.2014)
 

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