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Die letzten Rülpser der Federweißer-Community sind kaum verklungen, da naht bereits die nächste Katastrophe. Ab dem dritten Novemberwochenende werden frankophil gestylte Plakate und Tischkärtchen ankündigen: „Voilà, Le Beaujolais Primeur est arrivé“. Und bereits jetzt sind die Trittbrettfahrer dieses Geschmacksverbrechens unterwegs. Selbst seriöse Weinhändler kapitulieren vor dem schlechten Geschmack ihrer Kunden und bieten allerlei „Primeurs“ und unter „Novello“, „Nuevo“ oder „Early“ firmierende Trittbrettfahrer aus Italien, Spanien, Südafrika und inzwischen auch Deutschland an.
Das Zeug schmeckt bestenfalls nach nichts, aber in den meisten Fällen ziemlich eklig. Durch Vergärung im Schnellgang (vier Tage) nebst reichlich Kohlensäurezufuhr und Erhitzung enthalten diese „Rotweine“ weder typische Aromen noch Tannine, dafür aber oft jede Menge scharfer Zitrusnoten und Bitterstoffe. Oft schmecken Primeurs vordergründig nach unreifer Banane und Schwefel, und schon nach wenigen Wochen Lagerung kommt ein furchtbarer Essigstich dazu. Nach dem Verzehr sind die Kopfschmerzen fast so schlimm, wie beim Federweißen.
Franzosen änderten sogar das Weinrecht für Primeur
Seit 1951 gibt es diesen Unfug. Dafür änderten die ansonsten in Genussfragen recht traditionsbewussten Gallier 1951 sogar ihr Weinrecht und erlaubten den Winzern des Beaujolais, ihren neuen Wein schon ab dem dritten Novemberdonnerstag des Lesejahres in den Handel zu bringen. Dass damit der Ruf dieser Weinregion nachhaltig ruiniert wurde, hat man offenbar in Kauf genommen. Zur Kompensation des Imageverlustes gab es ja immerhin Millionen bekloppter Japaner, Deutscher, US-Amerikaner, Briten und Skandinavier (so die Reihenfolge der Hauptabnahmeländer), die Jahr für Jahr bis zu 50 Millionen Liter dieser Plörre in sich reingossen.
Primeur zieht beim Deutschen nicht mehr
Doch allmählich scheint der Lack ab zu sein. Erstaunlicherweise wollen ausgerechnet die Deutschen, denen man anscheinend ja fast alles schmackhaft machen kann, dieses Zeug nicht mehr trinken. Wurden 1998 hierzulande noch über 11 Millionen Flaschen abgesetzt, was fast 20 Prozent der gesamten Exportmenge entsprach, waren es zehn Jahre später nur noch 1,7 Millionen. Selbst Weinmarktführer Aldi ist mittlerweile aus der Primeurvermarktung ausgestiegen.
Das ist vielleicht ein kleiner Hoffnungsschimmer. Denn im Beaujolaisgebiet werden durchaus anständige bis sehr gute Weine fabriziert, fast ausschließlich aus der Rebsorte Gamay. Und das zu – dank des ruinierten Rufes – äußerst verträglichen Preisen Zehn Lagen sind als „Crus“ definiert. Es gibt jede Menge zu entdecken. Z.B.den 009 Morgon AC „Grand Cras“ vom Château de Pizay. Trotz Stahltankausbau nicht nur vordergründig beerenfruchtig, sondern durchaus komplex mit satten Tanninen, erdigen und steinigen Noten. Entwickelt sowohl leicht gekühlt als auch wohl temperiert seinen eigenen Charme.
Kalte Muschi: Dornfelder findet eine neue Bestimmung
Eingefleischten Primeur-Trinkern ist in der Regel weder mit diesem empfohlenen noch mit anderen Weinen zu helfen. Im Vergleich zur Teilnahme an Angriffskriegen, dem Handel mit Derivaten oder dem Bau von Atomkraftwerken ist ihr Vergehen allerdings vergleichsweise gering. Aber sie sollten konsequent sein.
Allen Freunden turbovergorener Pseudoweine mit Bananengeschmack sei hiermit ein Supergetränk empfohlen: Eine Firma namens TSAG OHG bietet seit Jahren erfolgreich eine Mischung aus Dornfelder und Cola namens „Kalte Muschi“ an. Dabei soll es sich laut Lebensmittelzeitung um „das offizielle Kaltgetränk des FC St.Pauli“ handeln. Immerhin findet Dornfelder auf diesem Weg zu einer angemessenen Verwertung. Und wenn man sich in die „Kalte Muschi“ auch noch einen anständigen Schluck Primeur kippt, hat man das definitive Mega-Kultgetränk.
- 2009 Morgon AC „Grand Cras“ vom Château de Pizay für 9,95 Euro.
ein köstliches aufmacherbild in diesem zusammenhang! klasse!
herrlicher artikel aber wie steht denn der captain zu steirischem junker?
„Dornfelder findet eine neue Bestimmung“ – wie wahr!
Mich reißen diese ganzen Jungweine nicht vom Hocker..
Primeur ist für jeden halbwegs ambitionierten Weintrinker furchtbar – d´accord. Aber den Dornfelder auf die gleiche Stufe bzw. sogar eine darunter zu stellen, ist mir zu undifferenziert. Es gibt durchaus ordentlichen Dornfelder. Und wenn ich mich richtig entsinne: Wollte nicht Hr. Würtz in dieser Richtung (ambitionierter Dornfelder) ein Projekt starten?
natuerlich gibt es auch gut gemachte dornfelder sowie gut gemachte mueller-thurgau, gutedel, etc,etc….
das problem bei dieser rebsorte ist das geringe potential dieser rebsorte. selbst gut vinifizierte dornfelder ergeben einen eindimensionalen, fruchtigen aber ersetzbaren wein.
im uebrigen meine ich, dass dornfelder mehrheitlich fuer die falsche tendenz im deutschen (rot)weinbau verantwortlich ist.
Der rückläufige Absatz von Beaujolais ist doch nur ein Ausdruck, das Weinqualität immer mehr in den Vordergrund rückt.
Schließlich war auch mal die aufgezuckerte Liebfrauenmilch gern getrunken. Gott sei Dank ist das lange vorbei.
Klasse Artikel
Hier auch noch ein Bericht recht neu aus dem Keller vom Chateau de Pizay. Ich habe da immerhin einen Morgon von 1992 probieren können. Nichts mit schnell, frisch und weg.
http://weinverkostungen.de/chateau-de-pizay-mit-morgon/
Hab ich auch noch nie begriffen, was die Leute an dem Gesöff finden.
Ich sitze gerade beim Frühstück und les den Artikel. Coll geschrieben und sehr unterhaltsam. Besser als Zeitung.
Früher habe ich auch gerne dieses Zeug getrunken. Bis ich mich wirklich mit Wein beschäftigte. Heute mag ich es nicht mehr. Schade…….war immer schön billig 🙂
Wirklich ein unterhaltsamer und gut geschriebener Beitrag. Die Weinempfehlung Grand Cras 09 kann ich nur unterschreiben. Von dem 6er Karton habe ich leider nur noch zwei Flaschen. Die sollen zeigen, ob und wie guter Beaujolais reifen kann.
iregdnwie verstehe ich das nicht: schon seit Jahren die gleichen Argumente: der Primeur ist schlecht, aaaaber es gibt die Crus, diiiiie sind wirklich gut und können reifen. Dann probiert man einen (inzwischen etliche) und stellt fest „ja, hm, schon ok, sogar gut, aber das ist doch ein anderer Wein, nicht nur besser, sondern auch anderes“. Und wenn nun einer Lust hat auf diese extreme Jugendlichkeit des Primeur, in gut meine ich? Was empfiehlt man dem?
..eine Geschichte vor dieser Geschichte weiterzulesen..
Ein Bild aus „Die Nacht der lebenden Toten“ wäre auch fein gewesen.