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Klima: Schluss mit Eiswein?

Dr. Daniel Molitor: Klimafolgenforscher und Moselwinzer.
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Daniel Molitor ist Klimafolgenforscher und Winzer. Und weil er sieht, was kommt, denkt er im Weinberg um. Das Ergebnis ist (unter anderem) ein Passito von der Mosel, der dem Captain das Leben versüßt.
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Molitor? Ja, Daniel Molitor aus dem kleinen Dorf Kindel an der Mittelmosel kommt aus dem weitverzweigten Weinbauernclan der Molitors, derer es zuhauf gibt. Wie ist das Verwandtschaftsverhältnis zum berühmten Markus Molitor bei Wehlen? Es ist kompliziert. Im Grunde haben alle Molitors ihre Wurzeln in Kinheim gegenüber von Kindel. Genauer: Daniels Opa und der Vater von Markus waren Großcousins.

Dann wäre das schon mal geklärt. Dr. Daniel Molitor ist übrigens nicht nur Winzer, sondern als Agrarwissenschaftler im Luxemburger Institute of Science and Technology (LIST) so etwas wie ein Klimafolgenforscher, der die Wechselwirkungen zwischen Klimawandel und Weinbau ergründet. Seit 10 Jahren beschäftigt sich Molitor mit Millionen von Daten aus der Luft und den Weinbergen und liest aus ihnen die Zukunft heraus. So salopp würde er das selber natürlich nie ausdrücken. Aber im Prinzip geht es um Handlungsempfehlungen für den Weinbau. Und weil Molitor einerseits über Datentabellen brütet, andererseits auch im väterlichen Weingut mit anpackt, setzt er dort das um, was er aus dem wissenschaftlichen Institut mit nach Hause nimmt, nämlich geballtes Wissen, das in die Zukunft der Önologie weist. Um das komplett unabhängig ausleben zu können, gründete Daniel gemeinsam mit Ehefrau Julia (kommt aus der Winzerfamilie Justen vom Weingut Meuenhof in Erden nebenan) sein Weinprojekt „Stairs n‘ Roses“ – Weine von morgen, die heute schon gut schmecken und lustige Namen bzw. Etiketten tragen. Einer davon ist der Passito (oder Strohwein) Honeymoon, der den traditionellen Eiswein ablösen will. Weil es den nämlich bald nicht mehr gibt.

Stop – so sagt ein seriöser Wissenschaftler das natürlich nicht. Zugespitzte Verkürzungen sind das Privileg der Medien. Molitor schickt eine aufsatzlange Erklärung voraus, die dann in folgende Aussage mündet:

Es wird immer unwahrscheinlicher, dass wir Eiswein erzeugen können. Sicher wird es vereinzelt noch Eiswein geben, aber die Chance nimmt deutlich ab. Die Trauben reifen durch die höheren Temperaturen früher und die Möglichkeit, dass die Temperatur auf -7 Grad fällt, wird geringer bzw. ist erst tief im Januar zu erwarten. Dies hat den unangenehmen Effekt, dass sich die Zeitspanne zwischen Reife und erstem Frost um ca. einen Monat verlängert, was wiederum die Gefahr des Fäulnisbefalls dramatisch erhöht. In den 1950er-Jahren war es drei Mal pro Jahrzehnt möglich, hochwertigen Eiswein zu erzeugen. In Zukunft wird es vielleicht ein Mal innerhalb von 20 Jahren sein.

Das klingt bitter. Aber was ist Eiswein genau? Im Glossar des Captain steht:

Laut deutschem Weingesetz darf die Außentemperatur bei der Lese von Eiswein maximal minus 7 Grad betragen – je kälter desto besser. Die Weine werden sofort schonend gepresst, das gefrorene Wasser verbleibt als Eis im Kelter und nur der hochkonzentrierte und sehr zuckerhaltige Saft wird vergoren. Konkret: Die Trauben müssen bei diesen Temperaturen umgehend noch in gefrorenem Zustand langsam gepresst werden. Nur so ist gewährleistet, dass das Eis mit dem Trester abgeschieden wird und nicht in den Most gerät. Mit diesem Stoff tun sich Hefen ziemlich schwer, deswegen endet die Gärung in der Regel bei recht niedrigen Alkoholwerten um die 7-8 Volumenprozent. Botrytis ist beim Eiswein nicht erwünscht, dafür aber eine stabile Säure. Eisweine sind praktisch unbegrenzt haltbar und bessere Exemplare können nahezu unbeschreiblich lecker schmecken.

Was ist die Konsequenz aus dem Verschwinden des Eisweins? Für die Weinfans: Eiswein sammeln, was das Zeug hält. Für die Winzer: Auf andere Methoden der Süßweinherstellung umsteigen. Genau das hat Dr. Daniel Molitor getan. Seine Honeymoon-Trauben wurden nach der Lese etwa 6 Wochen lang in perforierten Obstkisten unter Ventilatorenbelüftung getrocknet und dann gepresst. Das ist die alte Strohwein-Methode, die bei uns in Vergessenheit geriet, aber in Italien fröhliche Urständ feiert. Anfangs ist den Molitors ein Großteil der Trauben unter den Augen verfault. Inzwischen haben sie dazugelernt und beklagen fast keine Verluste mehr. Der Honeymoon besteht aus den Rebsorten Riesling, Müller-Thurgau und den beiden PIWI-Sorten Cabernet Blanc und Sauvignac, die sich wegen ihrer lockeren Traubenstruktur gut zum Trocknen eignen – entsprechende Selektion vorausgesetzt. Was heißt PIWI? Antwort: Es handelt sich um spezielle Züchtungen, die sogenannten pilzwiderstandsfähigen Sorten. Und wie macht sich der süße Honigmond? Im Glas goldgelb. In der Nase Honigschmelz und reifer Pfirsich, das Innere eines Buttercroissants mit feinster Aprikosenkonfitüre. Im Mund ölige Konsistenz. Konsequent süß, ein bisschen Säure und ein Hauch Kräutersalz. Das ist herrlich. Ich schmecke braunen Zucker, süßes Popcorn, ganz leichte Jalapeño-Pikanz und ein Quentchen Litschi. Ein schmelziges Vergnügen, das man langsam und in kleinen Schlucken genießen sollte. Die kleine 0,375-Liter-Flasche reicht sowieso ewig.

Molitors Stairs n‘ Roses-Projekt brachte noch eine Vielzahl weiterer Zukunftsweine hervor, zum Beispiel einen süßen Secco, einen eigenwilligen Naturwein mit dem durchgeknallten Namen Ohrenschwein und einen aufregenden Weißwein aus klitzekleinen Beeren, die an kaum beschnittenen Rebstöcken wuchsen. Molitor nennt sie anti-autoritär erzogene Struwwel-Reben. Das klingt spannend und schmeckt auch so. Der Captain berichtet demnächst.

 

Datum: 10.11.2019 (Update 15.7.2021)
 

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