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Da sitz ich in meinem verregneten Österreich. Ganz nahe der hochsteigenden Donau und hoffe nicht weggespült zu werden.
Es ist lange her seit meinem Abdampfen. Nur Golenia, mit seinen ausgelatschten Adidas Jogging High übermittelte ich gelegentlich Flaschenpost – irgendwie vermisste ich ihn. Eigentlich vermisste ich auch den Captain mit all seinen Macken. Mir fehlt die väterliche Figur, die sturzbetrunken um 4:00 Uhr durch die Schiffsgänge wackelt, dabei laut Tocotronic hört (ob er inzwischen erwachsen wurde?), um mir anschließend die Bettdecke zu klauen, sich einzurollen und am Gang laut schnarchend durchzupennen.
Aber gerne lese ich seine aktuellen Artikel. Seit meinem Abgang habe ich kaum eine Episode der Seifenoper an Bord verpasst. Neu ist der Stylemaat, ein zartes, aus dem Ei gepelltes Bürschchen. Egal, der Dandy kann schreiben. Und hat eine Richtung. Viel mehr wird es deswegen Zeit, dass dem Captain endlich wieder einmal ordentlich widersprochen wird. Es mangelt an Gegenrede am Schiff.
Der Captain, er liebt Champagner, schreibt schlecht über Cremant und findet dann doch einen super tollen Schaumwein aus dem Jura, einen von der Domaine Tissot. Das passt auch, dieser Schaumwein entspricht meinem Ideal eines genial guten Sprudels. Er ist quasi das Gegenstück zu all den aufgesüßten Nuttendieselgetränken, die am stark umkämpften Sparklingmarkt ihr Unwesen treiben. Puristisch, hart, gut.
Keine großen Weine aus dem Jura?
Nebenbei erwähnt der Captain unterschwellig, dass aus Tissots Kaff im Jura – wie in der Champagne – keine großen Weine kämen. Captain, es wird Zeit, dass ich dich auf deinem Kahn besuche, ein paar Weine aus der Region mitnehme und über wirklich guten Wein referiere. Denn Tissots – und viele andere Weine aus dem Jura – gehören inzwischen zum Besten, das Frankreich zu bieten hat. Coche-Dury: das war vorgestern.
Inzwischen weiß das auch die Weinwelt. Gerade in den Szenelokalen in Kopenhagen, New York und London (eben selbst erlebt) erfreuen sich die Weine aus Arbois größter Beliebtheit. Ein Grund hierfür mag sicher das geniale Preisleistungsverhältnis der Weine aus dem französischen Osten sein. Vor allem jedoch haben sich die Winzer dort (und das urbane, offene Publikum der internationalen Szenegastronomie) noch kein einheitliches Geschmacksschema aufzwingen lassen. Heile Welt also.
Viele sehr gute Produzenten im Jura machen heute ihre Weine wie damals und erweiterten ihre Anbauweise nur um eine wichtige Facette: die Biodynamik.
Konservativ ist gut!
Sieht man sich Weingüter im Jura an, wird man keine gestylten Hightechbetriebe wie in Österreich, Napa oder Bordeaux finden. Im Jura hat man alte Fässer, alte Korbpressen, man macht Wein mit den einfachsten, den notwendigsten Mitteln.
Weil viele bekannte Winzer in Gegenden um Bordeaux und Burgund die Tradition vergessen haben, schmecken die meisten Weine von dort nun sehr nivelliert. Neulich konnte man auch über vorzeitige Oxidation von Rotweinen lesen, dieses Phänomen (bei Weißweinen nicht selten) war bisher eher unbekannt. Ich behaupte, diese Oxidation hängt – abgesehen von der extrem späten Lese – mit einer modernen, blitzsauberen Kellertechnik zusammen. Aber darüber (wenn mich der Captain lässt?) bei Gelegenheit.
Pinots, Chardonnays & Co aus dem Jura schmecken wie große Burgunder früher geschmeckt haben. Wegen der einfacheren Verfügbarkeit erlaube ich mir, einen weiteren Wein aus dem Hause Tissot zu empfehlen, keinen Cremant, sondern einen Stillwein, einen erklärten Lieblingswein von mir, den ich seit Jahren sammle.
Vor mir steht eine Flasche Chardonnay „Les Bruyeres“ 2011. Der Name steht für einen Weingarten mit alten, zum Teil sehr alten Rebbeständen, allesamt ausgepflanzt zwischen 1938 und 1973, eine perfekte Einzellage.
Dieser Chardonnay hat für mich alles, was großer Burgunder braucht. Er ist kein Kraftlackel á la Meursault sondern entspricht stilistisch eher einem schlanken Batard-Montrachet, ist also nicht vom Holz dominiert, nur gering üppig, wunderbar fein und mit einer Frucht ausgestattet, die einen daran denken lässt, sich ein Bad mit diesem Wein einzulassen. Vorausgesetzt, er würde nicht so sympathisch nach Pferdearsch duften.
Pferdearsch? Ja, Pferdearsch.
Pferdearsch? Ja! Dieser Wein duftet – wie viele französische Weine früher- ganz großartig nach Pferdearsch und Ledersattel.
Ich würde mir wünschen, dass Weine öfters zumindest ein bisschen nach Misthaufen riechen, so wie es die grandiosen Chateau Magdelaines aus Saint Emilion vor 15 Jahren noch taten. Der Captain und viele so genannte Weinkenner werden nun sagen, hier handelt es sich um einen typischen Kellerfehler. Also nichts, das erfreulich oder schmackhaft ist. Ich sehe das nicht so.
Es ist schön, dass sich viele Kritiker immenser Reintönigkeit erfreuen. Tatsächlich aber begibt man sich damit in eine Art Geschmacksdiktatur. Ich mag es, wenn Weine andere Facetten zeigen, ein dezenter Stinker macht einen Wein erst zum Erlebnis. Vor allem zeugt er aber auch vom lebendigen Produkt Wein (und dem mikrobiologischen Lebensraum in Keller und Flasche). Stinken ist schön. Ich weiß, dass Golenia und der Captain auch so denken. Zumindest mitunter. Beim Stylemaat bin ich mir nicht so sicher.
- Der Les Bruyeres, für mich einer der besten Chardonnays Frankreichs, ist um 28,00 Euro.
schöne weinempfehlung. werde ich mal testen.
Bravo Mally!! Tissot ist wirklich großartig!
endlich wieder Mally, tolle Empfehlung, eine Geschichte mit Witz. Daumen hoch und hoffentlich bald wieder!
Auch sehr empfehlenswert:
Domaine de La Pinte
Domaine de L’Octavin
Domaine Pignier
Vin Jaune zu Ente mit Grapefruitsauce, einfach traumhaft…
Das würde bedeuten, weiniger Hygiene, weniger Qualität. Einfach weniger ausgebildete Leute. Einfach weniger von allem, natürlich auch Hausverstand. Gratuliere tolle Ansicht! Einnert mich fast an die katholische Kirche, die auch in ihrer eigenen Welt lebt und nicht kappiert hat, dass sich die Menscheiheit weiterentwickelt hat. Aber manche finden es gut!!!
Übrigens solchte Weine bekommt man billiger. Beim Aldi/Hofer um EUR 0,99/Liter. Hinzu kommt noch eine Menge Terroir.
Mally rocks
ich wurde katholisch erzogen, ob das wohl der Grund ist?
Käptn ich kann in deinen Lobgesang auf Tissots Chardonnays nur einstimmen aber „er ist kein Kraftlackel á la Meursault sondern entspricht stilistisch eher einem schlanken Batard-Montrachet“ kann doch wohl nur eine Verwechslung sein?! Tissots Chardonnays sind DIE Meursault-Killer schlechthin in einer Blindprobe und haben m.E. mit den Montrachets bis auf die Rebsorte nix gemeinsam…
Vielen Dank für den Artikel, habe den Wein gleich eingekauft – gibt es von Ihnen auch eine Empfehlung zu diesem Wein ob man ihn gleich trinken kann oder noch liegen läßt? lüften?
Hallo,
eine gute Entscheidung! Welchen Jahrgang haben Sie denn?
Hallo!
Habe mir den aktuellen Jahrgang 2011 „Les Bruyeres“ bei Wagners Weinshop gekauft.
Super, der hat natürlich noch lange Zeit, schmeckt aber jetzt schon toll. Am besten: ordentlich lüften, ein großes Glas nehmen, genießen und ggf. noch viel davon bestellen. Teilen Sie mir mit, wie er ihnen geschmeckt hat.
Besten Gruß aus Ö.
Super, der hat natürlich noch lange Zeit, schmeckt aber jetzt schon toll. Am besten: ordentlich lüften, ein großes Glas nehmen, genießen und ggf. noch viel davon bestellen. Teilen Sie mir mit, wie er ihnen geschmeckt hat.
Besten Gruß aus Ö.
Vielen Dank für die Informationen. Werde ihn beim nächsten Anlass probieren, und sage Ihnen dann wie er mir geschmeckt hat.
LG aus Wien
Gerhard Tschipan
Ich habe diese Geschichte nicht geschrieben, es war – wie es oben auch steht – Ex-Maat Clemens Mally..