Neulich schickte dir dein Captain den gewohnten → Weintipp-Newsletter, garniert mit seiner persönlichen Meinung und einem grandiosen Gedicht aus den 1980er-Jahren, das den Großstadt-Wahnsinn herrlich auf den Punkt bringt und obendrein ganz perfekt zum tagesaktuellen Corona-Geschehen passt. Zusammengereimt von dem völlig unbekannten Westberliner Underground-Poeten Gerd E. Höhne. Man muss die raue Sprache mögen, um dieses kleine Kunstwerk zu genießen. Wenn du es versäumt hast, kannst du → hier klicken.
Der Widerspruch blieb nicht aus. Weil der Captain sehr gerne im Gegenwind segelt, freut er sich natürlich darüber. Lob ist der Schlaftrunk der Zufriedenen, denkt er und dokumentiert die E-Mail seines Lesers Matthias, der ganz anders als der Captain tickt und auf diesem Schiff trotzdem (oder genau deshalb) willkommen ist: Sie sollten bei dem Thema Wein bleiben, da es Ihr Metier ist und Sie davon auch, wie ich meine, viel Ahnung haben. Die anderen Themen, wie Politik oder ob jemand einen Mund-Nasenschutz trägt, sollten Sie lieber nicht in Ihren Newslettern beschreiben oder diskutieren, da es, wie ich finde, hier nichts zu suchen hat und Sie dies alles auch nicht objektiv beurteilen können! Außerdem finde ich es auch sehr anmaßend von Ihnen, wie Sie über die amerikanische Bevölkerung schreiben, das sollten Sie auch tunlichst unterlassen, da es sehr beleidigend ist. Sie leben nicht in den USA und glauben anscheinend alles, was von den manipulierten Massenmedien kommt, da hätte ich Sie anders eingeschätzt! Das Gedicht gefällt mir nicht, es ist sehr primitiv und in einer Fäkalsprache geschrieben, dass mir übel wird! Bleiben Sie beim Wein und allem was dazugehört, den Rat kann ich Ihnen geben, denn bis jetzt war ich sehr begeistert von Ihren Beiträgen. Danke, Matthias, für diese offenen Worte, und die Mühe, mir diese Zeilen zu schicken! Kommen wir zum Wein, dem köstlich-fleischigen → Beaujolais Wild Soul Pur Jus von Julien Sunier, der im Beton-Ei reifte (der Wein, nicht Julien).
Der jugendlich wirkende Franzose gehört zu ca. 3% Bio-Winzern in einem Anbaugebiet, das von mächtigen Négociants (Händler, die Trauben, Most oder fertigen Wein von Erzeugern kaufen, abfüllen und an den Großhandel weitergeben) und industriell arbeitenden Großbetrieben beherrscht wird und macht genau das Gegenteil: naturnahes Arbeiten, Vergären mit wilden Hefen, behutsamer Schwefelgebrauch. Und er steckt seinen Wein in Beton-Eier, was immer mehr Winzer tun, weil sie glauben, dass diese Art der Lagerung bestimmte Vorteile bietet. Es heißt, diese Eier machen den Wein runder, weicher und komplexer.
Beton-Eier nehmen durch ihre Poren minimale Mengen Luft in das Innere auf. Holzfässer machen das auch, aber sie geben auch Aromen an den Wein ab, was nicht jeder Winzer mag. Einer der ersten deutschen Winzer, die mit diesen seltsam anmutenden Ungetümen zu hantieren begannen, ist Ludwig Knoll vom Weingut am Stein in Würzburg, der sagt: „Es gibt im Ei eine kreisende Strömung während und nach der Gärung, weil es in der Mitte etwas wärmer ist und bis in den Winter so bleibt, während der Keller sich abkühlt“.
Diese exzentrische Art der Lagerung hat jedenfalls meinem Beaujolais Wild Soul Pur Jus (wilde Seele, reiner Saft – auch ein netter Slogan, finde ich) sehr gut getan. Es ist ein milder und saftiger Wohlfühlwein, der beim Trinken gute Laune auf hohem Niveau verbreitet. Im Glas trübes Dunkelrot. In der Nase satte Noten von Pflaumenkompott, Roter Beete, Bio-Kakaopulver. Im Mund herrlich weich, frisch und mildwürzig. So fleischig, dass man sofort mit den Zähnen zu mahlen beginnt. Ich spüre dunkle Kirsche, Brombeere, Holunderbeere, Waldkräuter, etwas Schwarzen Pfeffer und ein paar Körnchen Salz. Man muss sich ein bisschen anstrengen, um diese Noten auseinander zu halten, so gut ist alles miteinander verschmolzen. Dieser gut strukturierte und saftige Rote mit wenig Alkohol (12,5% Vol.) ist ein echter Wohlfühlwein.