Gäbe es die Deutsche Weinstraße nicht, man müsste sie erfinden. Denn selbst eingefleischte Biertrinker wissen mit diesem Namen etwas anzufangen. Dabei entstand die Weinstraße aus der Not und seine Erfinder waren äußerst unangenehme Zeitgenossen: Nazis.
Pfui! Aber das ist deutsche und somit unsere Geschichte. In diesem Fall sogar Weingeschichte und deshalb doppelt interessant.
Also, ich erzähle jetzt, wie es zur Weinstraße kam.
1934 gab es in der Pfalz eine Weinlese, die alles bisher dagewesene übertraf. Mehr als zweieinhalb Mal so viel Wein wie sonst gärte in den Kellern der Winzer. Wohin mit dem ganzen Zeug? Das fragte man sich. Die Pfalz war damals nicht sonderlich bekannt. Die Weinpreise verfielen, viele Weinbaubetriebe standen vor dem Ruin. Also brüteten die zuständigen Politiker darüber nach, wie man diese Ecke Deutschlands bekannter machen kann. Und sie erfanden die Deutsche Weinstraße. Diese Straße, an der die meisten Weinbaugemeinden liegen (130 an der Zahl), trug von nun an den neuen Namen und alle Städte und Dörfer auf der Strecke durften sich fortan mit dem Namenszusatz an der Weinstraße schmücken.
Im Norden beginnt die Straße in Bockenheim, im Süden endet sie in Schweigen, das liegt ganz nah an der französischen Grenze.
Am 19. Oktober 1935 eröffnete der damalige Gauleiter die Weinstraße. Seine Rede trug den Titel „Kampf und Volk – Wein und Wahrheit“. Weniger bescheuert ging’s damals halt nicht.
Die Idee funktionierte. In nur wenigen Jahren verkauften die Pfälzer deutlich mehr Wein und der Tourismus nahm enorm zu. Das funktioniert bis heute, auch wenn kaum einer weiß, aus welcher Zeit der Name stammt. Am besten immer am letzten Sonntag im August. Denn an diesem Tag ist die Weinstraße von 10 bis 18 Uhr für alles gesperrt, was einen Motor hat. Es ist der „Erlebnistag Deutsche Weinstraße“. Links und rechts der Straße präsentierten sich die Winzer, man konnte ihre Weine probieren und lecker essen.
Zurück nach Schweigen, wo die Weinstraße beginnt. Hier gibt es ein Weingut, das neuerdings unter Weinkennern von sich reden macht: Jülg.
Seit im Jahr 2010 Junior Johannes die Regie übernahm – Vater Werner kümmert sich im Keller noch um die Schaumweine – heimst der Betrieb eine Auszeichnung nach der anderen ein. Jülgs Vorbilder sind in Frankreich zuhause. Kein Wunder, liegen doch 40 Prozent von Jülgs Rebflächen jenseits der Grenze.
Die Lieblingsrebsorten dieses Winzers sind Riesling und die Burgundertrauben Spätburgunder, Grauburgunder und Weißburgunder. Er baut aber auch Cabernet Sauvignon und Merlot an. Aus diesen beiden macht er eine Cuvée, in die noch ein Spritzer von Jülgs Spätburgunder kommt, über den wir hier bereits berichtet haben. Den Wein lässt er in Barriques reifen und nennt ihn Les Frères (die Brüder).
Ja, und diese 225 Liter-Barriques sind der Anlass für eine weitere Holzfasswoche auf CaptainCork – in Zusammenarbeit mit dem Barrique Forum Pfalz.
Das Barrique Forum Pfalz ist eine Art Fasslobby, die gegen das Gerücht antritt, dass Barriqueweine vordergründig nach Holzausbau schmecken. Das Gegenteil ist der Fall – wenn der Winzer sein Handwerk versteht. Sagt das Barrique Forum Pfalz und pickt sich jedes Jahr im Rahmen einer großen Verkostung die besten Beispiele für besonders gelungene Rotweine aus dem kleinen Eichenfass heraus. Der Les Frères von Jülg ist natürlich dabei. Und deshalb habe ich ihn für euch probiert.
Jülgs frankophone Namensgebung für seine Weine ist (ganz abgesehen von der Herkunft seiner Trauben) kein wohlklingendes Marketing-Wischiwaschi sondern ganz bewusst gewähltes Programm. Hier soll nichts anderes vermittelt werden, als der Anspruch, den Vorbildern im Burgund gerecht zu werden.
Kräftig rubinrot fließt er ins Glas. In der Nase dominieren dunkle, vollreife Früchte: Brombeere, Schwarze Johannisbeere, etwas Pflaume und Schwarzkirsche. Dazu komme Noten wie von einem Waldspaziergang. Ich schließe die Augen, atme tief ein und fühle mich, als würde ich gerade nach einem kräftigen Regen durch den Schwarzwald laufen. Es duftet nach nassen Tannennadeln und feuchtem Waldboden.
Am Gaumen kullern Schwarze Johannisbeere (Cassis) und vollreife Brombeere voran. Es ist eine wahre Freude. Ihnen folgen mit etwas Abstand Schwarzkirsche und – dezent aber mit viel Spannung – Lorbeer, Wacholder und etwas Majoran. Ganz am Ende, im langen Abgang, gesellen sich noch Noten von würzigem Espresso und dunkler Schokolade hinzu. Das schmeckt rund, das schmeckt schön.
Die Tannine sind deutlich zu spüren aber nicht unangenehm. Ein oder zwei Jahre im Keller lassen die sicher noch sanfter werden. Die Säure des Les Frères ist recht hoch, was ihm aber eine angenehme Frische verleiht. Mit 14 Volumenprozent hat der Wein ordentlich Alkohol, der wohlige Wärme verbreitet. Manche mögen das nicht, manche schon. Mir gefällt es, wenn ein Wein nicht einfach so runterplätschert, sondern ein bisschen heizt.
Ein wunderbarer, kräftiger Rotwein, dem deutlich anzumerken ist, dass Johannes Jülg weiß, was er tut. Eine Kiste davon würde ich mir in den Keller legen (oder gleich viel mehr) und jedes Jahr eine Flasche trinken. Ich bin mir sicher, der wird immer besser.
Meine Essensempfehlung zu diesem Wein ist eine gebratene Hirschkeule oder Wildschweingulasch mit Spätzle.