Normalerweise mache ich um Rosa Schäumer einen Bogen. Wie um vieles andere, das rosa schimmert. Und ich bin nicht, der Einzige, der das zugibt.
Sogar Volker Raumland, Deutschlands führender Sektkünstler, der regelmäßig die Konkurrenz-Produkte aus der Champagne probiert sagte mir: „Ich weiß nicht, warum das so ist, aber Rosé-Champagner machen selten viel Freude.“
Nur bei einem rosa Schäumer sind sich beinahe alle Sprudelfreaks einig. Er heißt Dom Ruinart Rosé Millesime und gehört zu den kostspieligeren → Ruinart-Champagnern.
Dieser Rosé-Champagner gilt unter Kennern als der Beste der Welt.
Natürlich wollte ich wissen, wie er schmeckt. Und schritt zum 230-Euro-Experiment.
Das Getränk besteht aus 85% Grand-Cru-Chardonnay, davon 66% aus den Côtes des Blancs (Avize, Cramant, Le Mesnil-sur-Oger) und 34% aus der Montagne de Reims (Sillery, Puisieulx, Verzenay), sowie 15% Pinot Noir aus Sillery und Verzenay.
Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen stillen Roséweinen und fast allen Rosé-Champagnern. Pass genau auf!
Roséwein wird üblicherweise hergestellt, indem man den Saft roter Trauben für eine kurze Zeit auf den Schalen mazerieren (auslaugen) lässt, um Farbpigmente zu extrahieren. Danach geht’s in die Presse.
Die meisten Rosé-Champagner zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass ihnen beim Verschnitt ein geringer Prozentsatz fertiger Rotwein – in der Regel Pinot Noir aus dem Dorf Bouzy – zugesetzt wird.
Ruinart war 1729 das erste Champagnerhaus der Welt, obwohl sich damals schon andere vereinzelt mit der Herstellung von Schaumwein beschäftigten. Der gelernte Tuchmacher Nicolas Ruinart wurde von seinem Onkel Thierry, einem Benediktinermönch, inspiriert, der ihm von den Experimenten des Dom Pérignon erzählte.
Im Jahr 1730 brachte Nicolas seinen Champagner auf den Markt – ursprünglich als Werbegeschenk für seine wichtigsten Tuchkunden.
Die erste Lieferung ging nach Dänemark. Ruinarts „Wein mit Bläschen“ war bald so erfolgreich, dass Nicolas 1735 sein Stoffgeschäft aufgab und sich fortan auf Schaumwein konzentrierte.
Ich unterbreche meine Geschichtsstunde und schreite zur Weinprobe. Wie schmeckt der legendäre Dom Ruinart Rosé aus der Lese von 2004? Es leuchtet das schönste Rosa, das ich in einem Wein je gesehen habe, mit lachsfarbenem Schimmer und orangen Reflexen. Das strahlt große Frische aus. In der Nase viel Hefewürze und wilde Walderdbeeren, dann Blätterteiggebäck und ein Quentchen Cassis. Die Perlage ist so dünn, dass ich sie kaum sehen kann. Im Mund dann ein Abgrund burgundischer Eleganz und zartbitterer Beerenfruchtigkeit. Chardonnay spielt hier die Hauptrolle, den roten Rest steuert Pinot Noir bei. Was das konkret heißt? Es fühlt sich an, als hätte man eine flüssige Kugel aus Chardonnay im Mund. Tropisch, kühl schmelzig, ummantelt von einem dünnen Film rassig-frischfruchtigen Pinots, der wiederum mit einem dünnen Flor feinen Prickels beschichtet ist. Als hätte man zwei Weine gleichzeitig im Mund, die sich nicht vermischen. Absolut faszinierend! Jetzt verstehe ich die Champagnerenthusiasten, die mir zuraunten, das sei der beste Rosé-Schampus der Welt. Ich schmecke Erdbeere, einen Hauch Banane, Karamell und Limette mit rassigem Säurebiss, dass ich mit der Zunge schnalzen will. Die leichte Süße (Dosage: 4g/ Liter) dient als Schmiermittel bis in den Abgang hinein.
1768 erwarb Claude Ruinart als erster Hersteller acht Kilometer der römischen Kreidebrüche (crayères), die unter der Stadt Reims ausgehoben worden waren. Die Ruinart-Kreidetunnel sind ein Labyrinth von verbundenen Kammern, die manchmal bis zu 38 Meter tief sind. Sie werden heute noch für die Reifung von Ruinart-Weinen genutzt. Aber nur Flaschen aus den Jahrgängen ab 1945 sind dort zu finden, denn während des Krieges drangen deutsche Soldaten in die Keller ein und räumten alles leer.
Um Onkel Thierrys Beitrag zum Champagnerhaus zu ehren, beschloss die Familie Ruinart 1959, eine Prestige-Cuvée herzustellen, die ihm gewismet ist. Heute wird der Dom Ruinart Blanc de Blancs Millesime Brut ausschließlich aus Grand-Cru-Trauben hergestellt und mindestens 10 Jahre lang gelagert.
Im Jahr 1966 kam der Dom Ruinart Rosé hinzu, der zu 85% aus Chardonnay und zu 15% aus Pinot Noir besteht. Dieser Rosé-Champagner kostet doppelt so viel wie der Blanc de Blancs.
Das Geschäft mit Roséchampagnern boomt seit ca. 2010 gewaltig. Historische Forschungen im Ruinart-Archiv ergaben, dass bereits vor 250 Jahren in der Champagne Roséwein hergestellt wurde.
Aus frühen Buchhaltungs-Unterlagen des Champagnerhauses geht hervor, dass am 14. März 1764 „ein Korb mit 120 Flaschen, davon 60 Flaschen Oeil de Perdrix“ verschickt wurde – eine Bezeichnung für die helle Farbe von Roséweinen, die manchmal noch heute verwendet wird.
Die Lieferung war für einen gewissen Baron Welzel bestimmt, der den Oeil de Perdrix Rosé für Seine Durchlaucht Carl II. Herzog von Mecklenburg-Strelitz bestellte.
Ende 1764 verließ eine weitere Bestellung von 60 Flaschen Ruinart-Rosé die Keller für Kaiserin Maria Theresia von Österreich.
Man vermutet, dass die ursprüngliche Roséfarbe durch überlange Mazeration von Rotweintrauben zustande kam, was eine Verblassung der Farbe bewirkte. Seitdem hat Ruinart mit verschiedenen Methoden experimentiert, um eine rosa Farbe zu erzielen. Unter anderem durch Zusatz von Holunderbeeren. Irgendwann hat sich die Beimengung von Rotwein durchgesetzt.
1963 wurde Ruinart an Moët & Chandon verkauft. Heute sind keine Mitglieder der Familie Ruinart mehr in das Unternehmen eingebunden. Es ist Teil des LVMH-Konzerns – neben den Häusern Moët & Chandon, Krug und Veuve Clicquot.