Das ist eine Geschichte der Gegensätze. Und kann es anders auch nicht sein. Hier trifft das Gestern im Heute auf das Morgen. Hier trifft arm auf reich und Geschichte auf ihre Verdrängung. Mentalitätsunterschiede liegen offen. Mal mehr, mal weniger. Und eigentlich selbstverständliche Dinge verlangen immer und immer wieder ein Hinterfragen und Nachfassen. Aber wenn es einfach wäre, würde es jeder machen. Hier, im Süden Bulgariens, in einer entrückten und unwirtlich wirkenden Landschaft.
Ihn, den Grafen, ihn ficht das alles nicht an. Diesen ruhenden Pol inmitten des stillen Kellers. Und wenn er – umgeben von hunderten Barriques – über die optimale physiologische Reife der Trauben, über Laubwände und Böden und den Einsatz von Naturkork doziert, dann haftet jedem seiner Worte so viel Leichtigkeit wie auch Bedeutungsschwere an. Beides zu vereinen, das kann er gut, Stephan Graf Neipperg.
Weit weg von Bordeaux
Er hat jene Aura, die echte Persönlichkeiten umgibt und die den Unterschied zu Schwätzern ausmacht. Da steht er, der Graf, in seinem Keller in Bulgarien, über zweieinhalbtausend Kilometer von St. Émilion entfernt – der Wiege seines Schaffens und seines Erfolgs. Und doch ist er von Weinen umgeben, die einmal mit seinem Familienwappen geschmückt werden, Weine aus einem völlig anderen Teil Europas, die aber seine Handschrift tragen müssen.
Wappen und Name sind längst zur Marke geworden. Und Marken sind vor allem eins: ein Versprechen. Nun wäre es vermessen zu erwarten, dass das, was hier in französischer Eiche reift, an die Erzeugnisse seiner größten Bordeaux-Güter heranreicht. Und doch haftet dem, was Neipperg einmal anfängt, ein Stück Versprechen an, etwas Besonderes zu sein, Potential, Perspektive zu haben. Einmal begonnen ist dann der große Weg vorgezeichnet. Genauer gesagt: Er ist alternativlos.
Die Idee mit dem professionellen Neuanfang
Gut zehn Jahre ist es her, als alles begann und eine Idee konkrete Formen annahm. Die Idee, die ältesten Wurzeln des europäischen Weinbaus aufzugreifen und daraus mit modernen, professionellen Mitteln einen Neuanfang zu gestalten. Es ist eine romantische Idee, zugegeben; aber es war auch Romantik, die den Neippergs Vater in das Bordelais trieb. Einen Deutschen nach dem Krieg. Da gehörte viel dazu.
Doch da sind die Gegensätze, die hier in Bessa Valley, eineinhalb Autostunden südöstlich von Sofia, offenbar werden. Am plastischsten ist das grüne Rechteck, das nach einer leichten Anhöhe an der Südseite des Hügels urplötzlich auftaucht. Inmitten der kargen, brachliegenden Landschaft, die vielerorts von mageren, steppenartigem Grasbewuchs und einzelnen verkrüppelten Sträuchern dominiert wird, bilden die klar strukturierten Rebformationen einen geschlossenen, deplatziert wirkenden Teppich. Grün über Grau und Braun. Nicht auf die grüne Wiese gesetzt, sondern selbst eine Oase – plastischer kann ein Investment kaum dargestellt werden.
Gut zehn Jahre ist es her, als die Idee geboren wurde, die Suche begann und letztlich hier endete. Die Suche nach einem Terroir, das die Grundvoraussetzung für eine realistische Perspektive und das Potential für bemerkenswerte Weine hat. Hier, in leicht ansteigender Hanglage, auf lehmig-sandigen Böden mit hohem, teils offen liegendem Kalksteinanteil wurzeln auf zwischenzeitlich 140 Hektar Reben der Sorten Merlot, Cabernet Sauvignon und Petit Verdot. Das klingt nach Bordeaux und meint es auch so. Wäre da nicht noch der Syrah: ein Volltreffer, der absolut heraussticht.
Bulgarien mit alter Tradition, aber mit 40 Jahren Sozialismus
Viel Bordelais findet sich im Basiswein, im Enira. Er ist der Key-Accounter, soll und muss als erster punkten. Überzeugungsarbeit, die nicht leicht fällt. Wann hat man schon mal bulgarischen Wein im Glas? Und überhaupt? Was kann Bulgarien?
Bulgarien kann vor allem viel Tradition, hier wurde schon vor 4400 Jahren Wein angebaut. Alleine, den Bulgaren muss geholfen werden. Denn der Sozialismus hat nicht nur weite Rebflächen roden lassen, sondern auch das Selbstwertgefühl und das klassische Weinhandwerk zerstört. 45 Jahre Herrschaft der Ideologie, die ausreichten, um bei Null beginnen zu müssen.
Tradierte Erfahrung gibt es im Bessa-Valley keine mehr. Dafür billige und willige Arbeitskräfte in einer ländlichen Region, in der Arbeitsplätze rar sind. Dass im und um den Weinberg jeder Arbeitsgang von Hand erledigt wird, ist betriebswirtschaftlich gesehen nur konsequent. Maschinen sind schlichtweg teurer.
Ein erfahrener Önologe mit vielen Stationen
Spätestens hier kommt auch Mark Dworkin ins Spiel, Neippergs Önologe. Seine Stationen: Château Clarke, Côtes Montpezat, Château Larmande und Château Bellefont-Belcier – dann Bessa Valley. Bei Null starten, das Risiko eingehen, den Lernprozess von Beginn an steuernd begleiten. Das reizte Dworkin.
Contenance bewahren, wie der Graf es tut, ist leicht, wenn man nicht den alltäglichen Problemen ausgesetzt ist, wie Dworkin. Dass das gesamte Gelände umzäunt und von eigenen Sicherheitskräften bewacht werden muss, ist dabei nur ein Detail am Rande. Und für Dworkin längst nichts Besonderes mehr. Doch nach all den Jahren gegenseitigem Un- und teils wechselseitigem Missverständnis, manch kleinerer und größerer Aufregung und auch, nachdem er inzwischen weitere Projekte in Bordelais, Rumänien und neuerdings auch China zu verantworten hat, ist eines klar: Bulgarien ist zu einer sehr persönlichen Herzenssache Neippergs geworden, Enira sein und Dworkins Baby.
Ein Baby, das beachtlich schnell das Krabbelstadium hinter sich gelassen hat. Der Export erreicht inzwischen die 300.000er Marke, die 400.000end sind für 2012 im Visier. Auch in Bulgarien selbst sind die Vorbehalte gegen ein einheimisches Qualitätsprodukt geschwunden, sind Bessa Valley und Enira zu einer Marke geworden.
Enira ist zum Trinken gemacht
Enira ist bewusst nicht zum Lagern, sondern zum Trinken gemacht. Preis und Leistung müssen stimmen. Beim frühen Ausbau in Betontanks werden konsequenterweise (die teilweise umstrittenen) Holzspäne eingesetzt, um den Entwicklungsprozess zu beschleunigen und die Kosten gering zu halten. Danach stehen immer noch 14-15 Monate Lagerung in teils gebrauchten französischen Barriques an. Der Enira hat also Holz. Das macht ihn weltmarkttauglich.
Der Enira – 50 % Merlot, 35 % Syrah, 15 % Petit Verdot – verfängt im positiven Sinn. Er ist in der Tat das, was er sein soll: ein Genusswein mit Charakter. Für den Alltag bestimmt, für die Begleitung auch deftigerer Speisen. Mit einer ausgeprägt frischen Brombeer-Johannisbeer-Frucht, einem knackigen Säuregerüst, einer angenehm fein-ruppiger Würze und schönen Tanninen. Jetzt schon sehr gut trinkbar – aber das war ja auch die Absicht.
Der Alkoholgehalt beim Enira hält sich mit 14 % vol. in Grenzen und ist kaum spürbar. Doch der Alkohol, so Dworkin, ist eines seiner größten Probleme. Das kontinentale Klima verlangt den jungen Rebstöcken im Sommer viel ab. Heiße Tage, kalte trockene Nächte – ohne Tröpfchenbewässerung geht hier gar nichts. Doch auch so ist die Zuckerbildung angesichts sehr heißer Sommer kaum zu bremsen, sind in manchen Parzellen Alkoholgrade jenseits von 15 % vol. inzwischen eher die Regel als die Ausnahme.
Das Alter der Reben soll Alkoholgrade abmildern
Alkoholreiche Weine: Das ist, mit etwas freizügiger Interpretation, eine historische Fortsetzung der hiesigen Ursprünge. Schließlich sollen die hier mal ansässigen, kampfeslustigen Thraker so trinkfest gewesen sein, dass „Er trinkt wie ein Thraker!“ einer Auszeichnung gleichkam. Homer ließ Agamemnon schweren thrakischen Wein trinken. Und der berühmte griechische Weingott Dionysos soll thrakischen Ursprungs gewesen sein. Viel Wein, viel Ehr also. Da passt die deutlich breiter und dichter aufgestellte 2008er Enira Reserva wirklich gut ins Bild. Alkohol trifft Würze. Ein Kraftwein, direkter und angriffslustiger, als der einfache Enira.
Die Zeit wird, so hofft Dworkin, mit zunehmendem Alter der Reben auch die hohen Alkoholgrade abmildern. Was 2009 gekeltert wurde, ist für ihn wegweisend und beruhigend zugleich. Dort will man auf Enira hin, 2009 ist ein Beispieljahr.
Bäume pflanzen mit dem Graf
Die Zeit scheint stehen geblieben bei den zahllosen Melonenverkäufern am Straßenrand, den heruntergekommenen Plattenbauten, Relikten und Mahnmalen des Sozialismus. Mittendrin, in großem Bogen die Pferdefuhrwerke überholend, gleitet Stephan Graf Neipperg fast lautlos in seiner Limousine über die Schlaglochpisten.
Wenig später trifft er jene Frauen, die vor zehn Jahren die ersten Rebstöcke in die kalkigen Böden setzen. Jetzt muss der Graf noch schnell selber Hand anlegen und den von ihnen mitgebrachten Baum pflanzen helfen. Eine etwas zu direkte, plump anmutende Symbolik? Mag sein. Und doch kann man es auch als Zeichen verstehen. Ein Zeichen, dass trotz vieler Umwege und Querschläger über die Jahre hinweg doch vieles richtig gemacht wurde.
Enira hat viel satte Frucht, der „läuft“, modern gemacht aber besser als alles für den Preis aus Australien.
Beim Weindeuter war der schon im letzten Sommer in der Verkostung:
http://weindeuter.blogspot.com/2011/08/gulaschwein-aus-bulgarien.html
Da auch ein link auf das Video, daß Klimek mit ihm gemacht hat…
Ich weiß, dass das hier keine lustige Bilder-Seite ist, denoch hätte ich in diesem Fall gern ein paar Fotos der Gegend gesehen. Herrn Neippberg siehr man ja öfter in diversen Weinpostillen.
Sonst ein spannender Artikel über eine vinologische Terra Incognita.
Sie sehen, wir reagieren. Neue Fotos an Bord.
Hallo,
oh, danke! Das ist ja sehr leserorientiert! Bin beeindruckt.
Moment mal: Ich frage mich beim Lesen des Textes, worum es Neipperg überhaupt geht. Es liest sich nämlich nicht, als ob der Graf die alte bulgarische Weintradition wiederbeleben möchte. Ich finde in seinem Angebot lediglich internationale, austauschbare Sorten. Weit und breit keine einheimischen Sorten. Die Weine werden ebenfall austauschbar und auf Überseemarmelade getrimmt. Die könnten genauso gut aus Kalifornien oder Australien kommen. Sein Weingut hat er nagelneu auf einem Steppenacker gesetzt, abgekapselt und weit weg von irgendwelchen Dörfern oder Weingütern, wo vielleicht noch lokale Tradition herrschen könnte. Mir kommt es vor, als ob Neipperg mit Scheuklappen seine Trinkweine dort so günstig wie möglich produzieren möchte, um mit saftiger Marge den deutschsprachigen Handel damit zu überschwemmen. Andere Industrien gehen nach China, Neipperg geht nach Bulgarien. Das kommt aufs selbe hinaus!
Bitte deutlich weniger Internationalität bitte, Herr Neipperg, sie können es doch.
Lieber Herr Bolte,
die Gegend, in der Neippergs Reben heute Wurzeln, gab es vor dem Kommunismus noch Weinbau. In der alndschaft verstreut findet man vereinsamte Rebstöcke, seit langem von hohem, steppenartigem Gras umwuchert. Und die hostorischen Wurzeln reichen eben noch viel weiter zurück. Heute findet man, wie man mir sagte, in der Umgebung in der näheren Tat keinen anderen Weinerzeuger, lediglich ein Unternehmen, das einzig zur Alkoholherstellung noch Anbaufläche hat.
Was die Rebsortenwahl anbelangt treffen sie in der Tat einen wunden Punkt, der dann bei näherem Hinsehen und Kosten sich auch wieder auflösen lässt. Die lokal bedeutenden bulgarischen Sorten wie Melnik und Mavrud bringen schlichtweg nicht das Potential, um anspruchsvolle Weine zu erzeugen (ich hatte vor Ort den einen oder anderen probieren können, wenig erfreulich). Vielleicht ist da aber auch einfach noch nicht die Zeit gekommen, hat sich keiner ernsthafter damit beschäftigt. Aber man hat das bei Bessa Valley auf der Liste und wird ggf. zumindest mit Mavrud experimentieren. Was Ihre Kritik am internationalen Stil gewiss nicht entkräftet, auch nicht soll, nur eben verständlich macht, warum dieser Weg eingeschlagen wurde.