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Glaubenskrieg um Spontanvergärung

Schön, wenn man alles hat: Franz Weninger. Auf unserer Startseite: Reinhold Krutzler
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Wissenschafter kritisieren den Hype um die Authentizität der Spontanvergärung und stellen der in wichtigen Kreisen verpönten Reinzuchthefe gute Noten aus. Ist der Weinbau in der Biofalle?

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Da ist ein großer Spalt. Zwischen dem Captain. Und vielen seiner Matrosen. Der Captain ist kein bedingungsloser Befürworter des biodynamischen Weinbaus. Und wenn der Captain das sagt, hat er schon verloren. Denn jetzt muss der Captain nachlegen und relativieren, muss sagen, dass er selbstredend (!) dafür ist, dass man so wenig wie möglich mit Herbiziden, Funghiziden und schon gar nicht mit Pestiziden arbeiten soll. Und er sagt seinen Matrosen auch, dass ein schöner Weingarten ohne ein bisschen Kraut zwischen den Stöcken sicher eine verdammt vergiftete Unterlage hat. So toll das auch aussieht: Es ist Mist!

Nein der Captain mag die Winzer, verehrt jene, die individuell und rücksichtsvoll arbeiten. Und das sind in Deutschland und Österreich inzwischen mehr als viele. Aber er hat halt seine Bedenken gegen jene, die vorschnell einer esoterischen Mode hinterherrennen. Oder selbst von dem Virus der Naturnähe befallen sind. Zu viel Naturnähe, meint der Captain, ist für den Wein mitunter ungesund.

Zu viel Naturnähe ist mitunter ungesund

Die unterschiedliche Auffassung des Captains hat bei einigen Matrosen schon in der Frage der Amphoren zu heftigen Reaktionen geführt; der Captain meint, dass Weine, die in Amphoren ausgebaut werden, den Leuten nicht schmecken. Und dass es irgendwie absurd ist, diese alte Kulturtechnik derart in den Himmel zu heben.

Und gleiches hat der Captain auch immer bei spontan vergorenen Weinen empfunden, Weine, deren Gärung von selber beginnt. Und meist auch endet. Solche Weine sind gerade in Mode. Ganz aus der Mode ist hingegen die Reinzuchthefe. Sie gilt als Machwerk der Industrie. Doch stammt ihr Ursprung auch aus den Weinbergen: Reinzuchthefen sind kein generelles Kunstprodukt.

Reinzuchthefen können den Wein manipulieren. Was heißt können? Sie tun es

Doch was die Winzer und auch die Konsumenten an den Reinzuchthefen stört, ist, dass diese den eigentlichen Geschmack des Weins manipulieren können. Das ist wahr. Genauso aber manipuliert man den Tee, wenn man Milch und Zucker in ihn leert. Vielleicht hinkt dieser Vergleich weniger, als es im ersten Moment den Anschein hat.

Aber natürlich wird der Captain spontan vergorenen Weinen immer den Vorzug geben. Wenn sie gut sind. Das hängt vom Winzer ab. Wenn aber (auch gute) Winzer immer vom speziellen Terroircharakter erzählen, der durch die Spontanvergärung entsteht, dann hat der Captain auch früher schon immer den Kopf geschüttelt. Spezieller und individueller Geschmack kam für ihn meist aus dem Weinkeller. Von den Bakterien dort.

Und gerade diese Vermutung bestätigt nun ausgerechnet die Forschungsanstalt für Weinbau in Geisenheim (Rheingau). Der dortige Mikrobiologe Manfred Großmann hält den Einfluss der Hefe für begrenzt. Nicht die Weinberghefen sind für den Geschmack eines Weins verantwortlich, sondern vor allem die Kellerhefen. Die Geisenheimer haben Weinbergflora und Kellerflora getrennt. Und haben so bewiesen, dass der Keller die Geschichte schreibt. Und der Weingarten einen Schritt zurücktreten muss (was nicht heißt, dass dem Winzer das korrekte Arbeiten im Garten erspart bleibt).

Bestimmt der Keller das Aroma?

Der Captain hat einen schlüssigen Beweis für seine Annahme, die jetzt in Geisenheim bestätigt wurde, einen Beweiswinzer, den Weinmacher Emmerich Knoll. Dessen Weine galten in der Wachau immer als sehr speziell, hatten immer eine eigene, sehr individuelle Note, die man als Knoll-Note festmachen konnte. Als Knoll senior an seinen Sohn übergab, verschwand diese Note und ein Raunen ging durch die Weinwelt. Knolls Weine schmeckten auf einmal klinischer, sauberer, korrekter. Und auch uninteressanter. Was war da geschehen?

Der Captain recherchierte. Und kam drauf, dass Knoll junior den alten Keller endlich mal gesäubert hatte. Doch als der Kärcher kam, ging die Kellerflora flöten. Und mit jener auch der spezielle Geschmack. Jetzt, nach beinahe 10 Jahren, schmecken Knoll-Weine fast wie früher. Die Bakterie darf wieder ran.

Ähnlich ist es bei vielen Weinbauern, besonders in Frankreich. Der Keller spielt eine gewichtige Rolle, die Hefe im Keller bringt individuellen Geschmack. Geisenheim hat daran nichts zu kritisieren, spricht jedoch den Winzern ab, dass spontan vergorene Weine authentische Weinbergsweine sind. Große Weine, die ihren Charakter ausschließlich aus der Erde ziehen.

Spontan vergoren heißt nicht authentisch vom Weinberg

Und Geisenheim legt nach. Weine, die mit den vielfach gescholtenen Reinzuchthefen zum Gären gebracht wurden, schnitten bei Geschmackstests deutlich besser ab, als rein spontan vergorene Weine. Kein Wunder: Längst ist die Möglichkeit bekannt, manch durchschnittlichen Wein mit guten Reinzuchthefen aufzupeppen. Neuseeländischer Sauvignon lässt grüßen. Doch der Geisenheimer Sudienleiter Ulrich Fischer meint: „Sollte das Lagen-Terroir im Vordergrund eines Weines stehen, kann es vorteilhaft sein, ganz auf die Spontanvergärung zu verzichten“. Ein Tabubruch.

Klar ist aber auch, dass spontan vergorene Weine mehr Zucker, mehr Glycerin und meist auch mehr Aromastoffe aufweisen. Für das Aroma eines Weins ist die Saccaromyces-Hefe verantwortlich, die bei einem Alkoholgehalt zwischen fünf und sieben Prozent ihre Tätigkeit aufnimmt. Spontan vergorener Wein verfügt also über ein beachtliches Aromapotential. Weine, die mit Reinzuchthefen vergoren wurden, stehen dem aber nicht nach. Es ist also vor allem eine Art Glaubensfrage, meint der Captain. Und für die Qualität des Weins von relativ geringer Bedeutung.

Spontan oder nicht: Eine Glaubensfrage

Doch die Glaubensfrage sieht man in Geisenheim offenbar weniger gering, hier zählt die Wissenschaft, das Resultat und die Deutung. „Was nützt es dem Winzer, wenn der spontan vergorene Wein zwar anders, dafür aber Kunden nicht besser schmeckt“, sagt der Mikrobiologe Manfred Großmann in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. „Das Geschmacksgefüge eines Weines hängt zudem von zahlreichen anderen Faktoren ab wie etwa der Traubensorte oder davon, wie stark und bei welchen Temperaturen ein Most geklärt und vergoren wird.“

Und dann weist Großmann auch noch auf ein weiteres Risiko bei der Spontanvergärung hin: „Schließlich ist die Mikroben-Diversität im Traubensaft so groß, dass sich auch unerwünschte Mitspieler durchsetzen können.“ Das kann der Captain bestätigen, manch spontan vergorener Wein glänzt vor allem mit Fehltönen. Doch muss der Captain wieder anmerken, dass Winzer, die ihre Arbeit verstehen oder schlicht sauber und aufmerksam arbeiten, kaum unter Fehltönen zu leiden haben. Die sehr guten eigentlich gar nicht.

Wer aufmerksam arbeitet, hat keine Fehltöne

Viele Tester und Trinker zollen das mit Anerkennung. Die Winzer haben ihr Werk im Griff. Doch andere wiederum fragen, warum man sich das Theater mit der Spontanvergärung überhaupt antut, wenn die Reinzuchthefe doch nur aus interessanten Merkmalen spontan vergorener Weine selektiert wurde. Also im gewissen Grad ein natürliches Produkt ist.

Ein Freund des Captain, Winzer und Spontanvergärer, gibt hierfür einen guten Grund an. Die Hefeindustrie sei eben eine dubiose Industrie, wie viele industrielle Zweige in der Nahrungsmittelherstellung. Und er hält sich da gerne fern. Doch ohne Umschweife gibt er zu, dass seine spontan vergorenen Weine auch argumentativ gut dastehen. Als ökologisches Produkt. Dabei, so scherzt er, handelt es sich bei spontan vergorenen Weine eher um antiindustrielle und antikapitalistische Produkte (denn die Industrie bleibt außen vor). Und nicht um ökologisch überlegene.

Nachsatz: Wer aber davon nichts versteht, der sollte vom spontanen Vergären die Finger lassen.

Da kann der Captain nur beipflichten.

 

Datum: 8.7.2010 (Update 30.10.2013)
 

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