Bolgheri: wir trinken Arnione
Mein Leser Andreas Gemein aus Bonn macht es wie Thomas Mann und nutzt das literarische Format der Parabel, um uns etwas zu sagen: Ist´s ein Vogel? Ist´s ein Flugzeug? Nein, es ist ein Supertuscan! Obwohl, oder vielleicht gerade weil diesem Begriff keine regulierende Weinverordnung zugrunde liegt, umwehen ihn sofort konkrete Vorstellung von Opulenz, Schwere, Tiefe, aber auch von luxuriösem Weinestablishment - zu dem man immer dazugehören wollte, aber das natürlich nie zugegeben hat. Einmal eine solche Bombe verkosten... Der Captain macht`s möglich. Dann legte das Schiff im Rheinland an und löschte diese kostbare Fracht: Arnione Bolgheri Superiore 2013 aus dem Hause Campo alla Sughera. Ich öffne die Flasche, rieche erwartungsvoll am Korken, beobachte wie der Wein tiefdunkel, mit glänzendem Schimmer und violetter Aura ins Glas rinnt. Immer ein besonderer Moment. Was erwartet mich? Ich rieche, schwenke und schmecke und bin plötzlich 20, 25 Jahre zurückversetzt in meinen ersten Urlaub in der Toskana, zusammen mit meiner jetzigen Frau. Ein langer Tag im Auto, unglaublich viel gesehen, viel erlebt, wir sind müde und suchen nach einer adäquaten, sprich: günstigen, Unterkunft. Die viel zitierten pittoresken Hügel der Toskana wellen sich endlos dahin, aber außer Landschaft ist nichts zu finden. Da, plötzlich ein Hinweisschild zu einem Hotel. Wir verlassen die Straße und fahren über einen glänzend weißen Kiesweg, gesäumt von militärisch exakt angetretenen Zypressen durch ein sich wie von Zauberhand öffnendes schmiedeeisernes Tor auf den Hof einer aus einer Filmkulisse entsprungenen toskanischen Villa. Ein Traum! Ehe die Realität unserer Reisekasse die Szene abschließt, gewährt man uns schon Einlass in eine andere Welt. Während man uns noch an der Rezeption über die Möglichkeit aufklärt, den Barwert zukünftig abzuschließender Lebensversicherungen in eine Übernachtung ohne Frühstück zu investieren, fällt unser Blick in den Speisesaal auf eine Szenerie, die sich untilgbar ins Gedächtnis einbrennen sollte. Das Essen ist schon längst vorüber und ich wittere die Überreste einer mittäglich-bacchantischen Zusammenkunft. In der Luft liegt noch Duft von medium-rare gegartem Roastbeef mit üppiger Sauce Béarnaise, von Pasta mit sündhaften Mengen von schwarzem Trüffel, ein Taleggio im Tango mit knusprigem Ciabatta-Brot. Die Tische sind mit schwerstem Tuch bedeckt, Kronleuchter werfen lüsternes Licht auf viel zu alte Männer, die aus großen Kristallgläsern (ja, das war schick in den 1990ern) dunklen Wein trinken, schon längst ihrer Sakkos entledigt. Wir sind damals nicht geblieben. Das Zimmer zu teuer, die Männer zu alt. Heute schmunzle ich im Rückblick über die Torheit der Jugend, trinke diesen Wein, tauche ein in dunkle, reife Früchte, Gewürze, erlebe feine Raucharomen, einen voluminösen Körper, geschliffene Tannine, etwas Karamell und ergreifende Opulenz. Eigentlich waren die Männer im besten Alter. Und Lebensversicherungen sind spießig. Auch wenn ich den Blick dieses alten Mannes am Tisch nicht vergessen werde, der als einziger noch sein schwarzes Sakko trug, seine schwarze Sonnenbrille (sic!) absetzte, mich durchdringend ansah und mit heiser-schwindender Stimme „bene“ sagte. Recht hatte er. Bene, alles gut. Danke, Captain. Für ein tolles Erlebnis! Hier geht's → zum Wein.