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Finkenauer: Leck mich, Säure!

Keine Angst vor dunklen Wolken: Yvonne Finkenauer.
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Früher versteigerte sie Autos. Heute erzeugt Yvonne Finkenauer Weine, die auf der Überholspur fahren, weil sie weich und kernig schmecken und gezielt mit Säure sparen.
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Yvonne ist Chefin des 15-Hektar-Weinguts Finkenauer in Bubenheim/ Rheinhessen und alleinerziehende Mutter. Die Jahresproduktion beträgt im Durchschnitt 200.000 Flaschen. Im Jahr 2008 starb ihr Bruder Ulf bei einem Unfall. Er wollte übernehmen. Yvonne sprang ein. Dann kamen die Kinder, die heute 11, 8 und 4 Jahre alt sind. Ehemann und Vater halfen im Betrieb mit. Aber es fühlte sich nicht mehr richtig an. Ab 2018 gingen Yvonne und ihr Mann getrennte Wege. Ein tiefer Schnitt, der aber für Sie den Neuanfang bedeutete. Heute sagt Sie: Für mich persönlich und das Weingut war das eine 180-Grad-Drehung. Allein auf mich gestellt, gab ich die neue Richtung vor. Und dennoch: Manchmal, wenn sich Yvonne Finkenauer am Abend zu Bett legt, fragt sie sich, wie sie diesen Tag überstehen konnte.

Man kann bei Finkenauer in Rheinhessen Weine kaufen, die zwischen 5 und 18 Euro kosten. So weit, so normal. Doch bei der näheren Betrachtung schält sich ein ungewöhnlicheres Bild heraus, das am Ende Sinn ergibt, wenn man Mensch und Weine nebeneinanderstellt, ein bisschen nervig fragt und probiert. Insofern ungewöhnlich, weil hier eine Weinmacherin auf verschlungenen Pfaden ihren Sinn des Lebens fand, den sie nun in Flaschen füllt. Wer daraus trinkt, schmeckt in dieser Reihenfolge: Selbsthinterfragung, Rebellion, Ausdauer und Glück.

Wenn der Begriff überhaupt erlaubt ist, dann sind die Weine von Finkenauer echte Frauen-Weine. Getränke, die vom Ich-will-so-nicht-mehr-weiterleben-und mach-jetzt-alles-anders in einer von Männern vorgezeichneten Welt künden. Eine Welt, in der Frauen die ihnen zugewiesenen Flächen mit Farbe füllen dürfen. Yvonne malt über die Ränder hinaus.

Finkenauer-Weine sind alles andere als langweilig, aber Yvonnes I-Will-Survive-Wein ist nur einer. Er kostet 8,50 Euro, heißt Sauvignon Blanc Bubenheimer Honigberg und ist ein unanständiger Wein, das diametrale Gegenstück zu nachdenklich-deutscher Weinmacherkunst, die sich erst nach eingehender Meditation und büßerischer Demut erschließt. Nein, dieser SB ist wie rohes Ei auf brennheißer Pfanne, das sich zischend in eine leuchtende, kleine Delikatesse verwandelt. In der Nase überwältigend dicht und aromatisch. Ein ganzer Lastwagen voll exotischer und einheimischer Früchte hat hier seine Fracht abgeladen. Ich rieche Heu, Grapefruit, Stachelbeere, Marille, Pfirsich, Blätter der Tomatenstaude, einen Hauch Estragon, Mineralik. Im Mund fruchtig mit fester Säure und tollem Grip. Ich schmecke Limette, Mandarine, Apfel und die typische Sauvignon-Blanc-Aromatik auf zupackende Weise, also Zitronengras, Thai-Basilikum und rauchige Heu-Noten. Bei aller Opulenz trotzdem noch kühl und mineralisch. Ein selbstbewusstes Statement im Weinformat.

Aber auch Yvonnes Chardonnay trocken ist ein Auftritt in satten Farben: Auf dem Flaschenetikett steht: „Im Holzfass gereift“ und das ist eine bewusste Ansage. In der Nase große Frische, Kräuter und Mineralik. Ich rieche Birne, Apfel und einen Hauch Bananenschale. Dann Plastikspielzeug, Dosenananas, und (jetzt intensiv) das Fruchtfleisch einer reifen Banane, getoastetes warmes Weißbrot mit zerlaufender Butter. Im Mund dezent fruchtig und leicht schmelzig. Auf der Zunge Bananenbrot, braune Butter, Nussigkeit. Dann eine sehr reife Birne, gelber Apfel, Schmelz. Großartiger elegant-würziger Chardonnay.

Wenn man mit Yvonne Finkenauer übers Weinmachen spricht, sprudelt es aus ihr heraus, als hätte man mit dem Gabelstapler das Ventil eines Tanks abgerissen. Wie ist das so, wenn man plötzlich alleine dasteht? Mittlerweile gut. Denn lange Zeit hatte ich das Gefühl, ein Leben zu leben, das nicht zu mir passt. Aber ich wurde mit der Zeit gefestigter und beschloss, nach 10 Jahren alles loszulassen, was mich am Weiterkommen hindert. Das Erbe anzunehmen hat einfach seine Zeit gebraucht.

Was genau qualifiziert Sie zur erfolgreichen Weinmacherin? Ein Winzer sagte zu mir: Dein Vorteil ist Dein Gefühl für Wein. Viele haben das nicht. Ich bin ohne Weinbau-Ausbildung. Es war nie geplant, dass ich das Weingut übernehme. Mein vorgezeichneter Weg war, dass ich eventuell in der zweiten Reihe bereitstehe, aber nicht als Chefin. Ich war in ganz Deutschland als Auktionsassistentin für Autoversteigerungen unterwegs. Von Montag bis Freitag. Da waren auch viele Zwangsversteigerungen dabei. Ich bin eine klassische Quereinsteigerin.

Welche Idee vom Wein hatten Sie damals, als es losging? Ich bin diese verrückte, lebhafte Person, die alle emotionalen Achterbahnfahrten mitmacht. So sind meine Weine: lebendig, fruchtig, verspielt. Etwas anders sind die Weine meiner Meilenstein-Kollektion. So will ich mit 50 sein: gediegen, gesetzt, gelassen. Ich bin jetzt 41, fühle mich aber wie 30 und will meine Weine auch jung trinken. Weniger fruchtig, tiefgründiger. Den Riesling wollte ich untypisch und ganz puristisch. Wir gaben bei der Vergärung 25 Eimer Maische dazu, man nennt das Teilmaischevergärung. Der Wein war bis zum März mit der Maische im Tank, dann bis zum Mai auf der Feinhefe und wurde dann abgefüllt.

Yvonnes Riesling Meilenstein gehört zur Spitze der Finkenauer-Weine und kostet knapp über 18 Euro. In der Nase zitrig und frisch. Ich rieche warme Noten von Grapefruit, Reneklode, gelbem Apfel, Ananas, Flusskiesel und Schmelz. Im Mund butterweich, fruchtig und voller Saftigkeit. Was sofort auffällt, ist diese Sanftheit der Säure. Sie ist da, aber beißt kein bisschen, sondern leckt dich. Rieslingfreunde aus der Stahlklingenfraktion werden enttäuscht sein. Manche vielleicht sogar empört. Der Riesenstamm der Weichweintrinker jedoch nicht. Er wird dankbar zugreifen. Ich schmecke viel gelbe Frucht bei mittlerem Körper. Mandarine, Apfel, Banane und feine Bitternoten von kurz gezogenem Earl-Grey-Tee. Großer Trinkfluss, Druck und Schmelz. Das ist mal ein wirklich anderer Riesling. Ich hatte sowas schon mal aus dem finger lake district in den USA im Mund.

Wenn Sie keine klassische Winzerausbildung haben – wie lernten Sie dann das Weinmachen? Vom Vater kam das Backup. Ich besuchte viele Seminare, diskutiere bis heute sehr intensiv mit Winzerkollegen. Es hat natürlich eine Weile gedauert, bis ich einigermaßen sattelfest war. Seit 5 Jahren sind die Weine so, wie sie mir und meinem Vater gefallen. Wir machen säurearme Weine, weil uns das besser schmeckt und die Nachfrage da ist. Und natürlich sind unsere Weine auch ein bisschen verrückt.

Was sind denn verrückte Weine? Weine, die zu einem ganz bestimmten Lebensgefühl passen: frei und glücklich sein, mit Freunden einen entspannten Tag verbringen. Weine, die so sind wie ich.

Und wie übersetzen Sie dieses etwas verrückte Ich önologisch? Wir vergären langsam, gehen zur Ganztraubenpressung über. Spontanvergärung lehne ich ab. Ich finde, die passt nicht zu uns. Wir schauen, dass wir gute Reinzuchthefen verwenden

Finkenauer-Weine wachsen auf den ganz unterschiedlichen Böden des Selztals: Löss, Kalkmergel, Muschelkalksteinböden. Einstiegswein ist ein preiswerter Partytropfen, der sich White & Easy nennt und aus Faberrebe, Müller-Thurgau, Riesling und Sauvignon Blanc gemixt wird. Am anderen Ende der breiten Palette steht ein Wein, der Yvonne aus mehreren Gründen am Herzen liegt. Es ist ein Spätburgunder, von dem es immer nur 300 Flaschen gibt. Er heißt Akrobat und hat seine ganz eigene Geschichte. Pate des Weins ist ein langjähriger Weggefährte von Vater Wilfried Finkenauer namens → Thomas Bruchhäuser, ein ehemaliger Artist, der nun eine Künstleragentur betreibt und eng mit dem Zirkusunternehmen Roncalli zusammenarbeitet. Bruchhäuser ist Spätburgunder-Fanatiker und kaufte vor 5 Jahren einen Weinberg, der von Finkenauer bearbeitet wird. Wilfried (im Foto unten mit Yvonne) vinifiziert höchstpersönlich den Saft seines Freundes, der jährlich nur 300 Flaschen ergibt. Schon der Auftritt macht was her. Das Flaschenetikett ist aus dunklem Samtpapier und die Schrift in Silberdruck aufgebracht. In der Nase viel Sauerkirsche, etwas Dattel, Lakritze, dunkler Schmelz. Ich nehme einen Schluck und schmecke staubtrockene Herbheit, Kirschfrucht, Kakao. Sehr viel Saftigkeit und Klarheit, null Süße. Und ich meine wirklich null Süße. Dafür ein kräutriger Händedruck, der die Knochen knacken lässt. Ein Getränk, das den Genießer fordert, aber auch belohnt.

Wie viel Wilfried Finkenauer steckt in Yvonne Finkenauer? Sehr viel! Ohne meinen Vater hätte ich meine Träume nie verwirklichen können. Mit ihm streite ich. Von ihm lasse ich mich überzeugen. Er bremst mich und feuert mich an. Er glaubt an mich und an unseren Erfolg. Mein Vater ist der einzige Mensch aus meiner Ursprungsfamilie, der mir geblieben ist. Ich bin aber jetzt die große Tochter. Und sehr dankbar.

 

Datum: 12.3.2020 (Update 6.6.2020)
 

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