Das bekannte Saar-Weingut Egon Müller meldet: „In der Nacht von Freitag auf Samstag (28.08.20-29.08.20) wurde bei uns im Weingut auf dem Scharzhof in Wiltingen eingebrochen! Es wurden Etiketten der 2018er Trockenbeerenauslese gestohlen. Keine Flaschen! Die Wahrscheinlichkeit, dass bereits gefälschte Flaschen zum Verkauf angeboten worden sind, ist sehr hoch.“ Tja, das Motiv des Verbrechens liegt auf der Hand: Eine Flasche (Jahrgang 2017) dieses Weins kostet 12.500 Euro.
Crazy rich asians fahren voll auf Egon Müller ab. Der Winzer vom Scharzhof in Wiltingen an der Saar erzielt unter allen deutschen Winzern die höchsten Preise. Und zwar quer durch die Kollektion. Seine günstigste Pulle (glaube ich) ist der „einfache“ Scharzhofberger Riesling Kabinett, der 70 Euro kostet.
Und so schmeckt der: Schon in der Nase ein Duft wie von feinstem Parfum: wechselhaft in seiner Zartheit, zitrig-elegant, tropenfruchtig und dennoch kühl. Dann im Mund eine süffige Explosion frischer, eiskalter Früchte von zartbitterer Grapefruit über reife Birne bis hin zu fleischiger, honigweicher Mango. Wohlgemerkt: Dies ist ein süßlicher Wein. Und trotzdem sorgt hier coole Salzigkeit und ein Spritzer straffer Säure für das Gefühl, nicht nur einen, sondern zwei, vielleicht drei Weine zugleich zu süffeln. Man muss nur fest daran glauben, dann ist der stolze Preis auch gar nicht mehr so schlimm.
Kabinette → anderer Spitzen-Weingüter klettern selten auf über 15 Euro. Müllers Weine sind die Neben-Außenminister Deutschlands. Die Exportquote ist hoch und die Flaschen findet man weltweit in den teuersten Restaurants. Müllers Auslesen sind bekannt für ihre besonders lange Haltbarkeit. So kann man sie auch zurückkaufen, wenn sie gut gelagert in irgendeiner Ecke der Welt (etwa Kasachstan) vor sich hindämmern. Egon Müller hat (wie etwa auch die Winzer bei Van Volxem oder J.J.Prüm) eine eigene Handschrift kreiert, die man schnell erkennt. Diese Art Persönlichkeit ist selten geworden im modernen, strategieorientierten Weinbau.
Der Captain kennt die richtig teuren Weine des Hauses Egon Müller gar nicht, er wurde nie ins Weingut eingeladen und kann sich das Vergnügen privat nicht leisten. Wozu hat man reiche Freunde? Blöd: Die interessieren sich nicht für Wein. Aber es gibt Trost. Die frühe Geschichte des Hauses Egon Müller ist aufregend wie eine brasilianische Telenovela (viel Sex, Gemeinheit und Buße), da muss man keine Tausende für ausgeben. Dein Captain liefert dir alles gratis aufs Handy. Du musst einfach nur weiterlesen.
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Die Story beginnt 1797 mit einem Benediktinermönch namens Johann Jakob Koch. Ja, diese Benediktiner! Was wäre die Weinwelt ohne sie? Man denke nur an den alten Dom Pérignon in der Champagne. Zurück nach Deutschland ins damals preußische Trier, wo durch die napoleonische Besetzung und damit einhergehender Säkularisierung fast alle Klöster und Stifte aufgelassen wurden. Vom Abt des Männerklosters St. Maria ad Martyres erhielt jener Johann Jakob Koch den Auftrag, das enteignete Klostergut Scharzhof bei Wiltingen privat zu ersteigern. Dort hatten mehrere Mönche vor den französischen Truppen Zuflucht und ein neues Heim gefunden. Der Abt gedachte auf diese trickreiche Weise einen Teil des verlorengegangenen Besitzes zu retten.
Doch der Gottesmann hatte die Rechnung ohne den Koch gemacht. Dieser war zu jener Zeit Hilfspfarrer in Wiltingen, übernachtete im Schweinestall (steht in der Wiltinger Kirchenchronik) und erfüllte seinen Auftrag zunächst, riss sich dann aber die Liegenschaft unter den Nagel und vertrieb alle Mönche vom Hof. Einerseits: was für ein Arsch! Andererseits: abwarten. Es kommt noch dicker.
Koch begann eine fruchtbare Beziehung mit seiner Haushälterin (die er später heiratete), zeugte eine kleine Kohorte von Kindern und wandte sich dem Weinbau zu – voilá. Eine der Töchter heiratete 1837 einen gewissen Felix Müller. Der aus dieser Verbindung entstandene Sohn wurde Egon Müller genannt und übernahm 1880 das Weingut. Ohne den treulosen Johann Jakob Koch und seine Frau gäbe es keinen Egon Müller und keine Scharzhofberger Edelweine. Aber die Story ist noch immer nicht zu Ende.
Ein anderes der 7 Kinder, die am Scharzhof geboren wurden, hieß Clara. Die zu einer frommen Frau Herangewachsene erfuhr die Geschichte des Vaters und beschloss das Unrecht wieder gut zu machen. Dazu kam ihr das durch den Code Napoléon herbeigeführte neue Erbrecht zur Hilfe. Clara verkaufte ihren Erbanteil am Scharzhof an das Domkapitel und erwarb mit dem Geld 1853 ein großes Haus mit Garten, das sie dem Bischof von Trier zur Gründung eines neuen Klosters zur Verfügung stellte. Das ist der Grund, warum der Scharzhof bis heute von zwei Parteien betrieben wird. Egon Müller IV. bewohnt den vorderen Teil, die Bischöflichen Weingüter von Trier den hinteren.
Hat der Captain seinen selbstauferlegten Bildungsauftrag erfüllt? Auf jeden Fall hast du nun ausreichend Stoff fürs nächste Tischgespräch, wenn du wo eingeladen bist und beim Sitznachbarn Eindruck hinterlassen möchtest. Vielleicht steht dann ja eine Flasche Saar-Riesling auf dem Tisch, die das perfekte Stichwort liefert.