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Die WWWs und das große Fressen

Der Chef: Witzigmann
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Deutschland ist eine Nation von Feinschmeckern. Nur in Frankreich gibt es noch mehr Restaurants mit drei Sternen. Ein Besuch bei der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft der deutschen Kulinarik.

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Karl Heinz Wolf lehnt sich zurück.
„Ist es nicht schön hier?“, frägt er seine Gäste.
Keine Antwort.
„Ist! Es! Nicht! Schön! Hier!?“, fragt Wolf laut, unerbittlich in der Suche nach Antwort und Bestätigung.
„Ja“ seufzt die Runde unisono, „es ist schön hier.“

Karl Heinz Wolf lehnt sich zurück in seinem halb aufgerichteten Liegestuhl auf seiner Veranda und blickt über den Attersee, ein Binnengewässer zwischen den Bergen Salzburgs und Oberösterreichs. Wolf hat sich am Ostufer niedergelassen, an der etwas kälteren Strömung, hat ein verfallenes Forstamt gepachtet und es gründlich und luxuriös renoviert. Nun lebt er hier mit Frau, Tochter, zwei Hunden, einer Katze, einem Pferd und dem Sulmtaler Huhn, eine lokale Züchtung, die in Wolfs Bräter zum Gedicht gerät.
Zur Poesie.

Karl Heinz Wolf hat es geschafft. Er ist der wohlhabendste und entspannteste Koch Deutschlands. Wohlhabender selbst, als der geniale Selbstvermarkter Johann Lafer; entspannter als jener sowieso, denn Wolf hat schon früh den Herd verlassen und sich den vernachlässigten Geschäften der Gastronomie zugewandt, dem Grundprodukt und der Lieferkette. Das alles noch vor Fresswelle und Kochshows, vor Jamie Oliver und Tim Mälzer.

So ist Wolf unbemerkt der erfolgreichste aller deutschen Köche geworden. Nächstes Jahr feiert er seinen Zweiundsechszigsten. Wolf ist die Vergangenheit der deutschen Kulinarik. Er ist das Gestern gerade zu einer Zeit, in der man jubelnd vom Heute spricht, als wäre die Nation von edelsten Feinschmeckern und fanatischen Weinkennern bevölkert. Wolf bezweifelt das. Und er bezweifelt mithin, dass er im Heute den gleichen Erfolg hätte, wie damals im Gestern. Als alles begann. Da war er dabei.

Vom Koch zum Lieferanten

Niemand ist rheinländischer als Wolf. Er führt das selbstbewusst Fröhliche wie ein Schwert in die miesepetrigen Österreicher. Wolf hat Koch gelernt. In Siegburg. Als der Kochberuf noch Strafe war. Wolf hat „Brennendes Schwert“ gebraten und den „Ratsherrentopf“ geschmort. Er hat die Ananasscheibe auf das Schweinefilet gelegt, sie kam aus der Dose. Metzgern kann Wolf auch. Und den Konditor machen, wo ein Konditor fehlt.

Doch schon in Siegburg wollte er werden, wie Conrad Hilton, wollte seine „verschissene Kindheit“ hinter sich lassen, all den „Nachkriegsmuff“
Sein Großvater sagte: „Geh raus!“ Wolf ging.

Er ging in die Schweiz, dann nach London und landete schließlich in der Küche des Hotel Negresco in Nizza. Das war der Anfang seiner unzerstörbaren Liebe zu Frankreich.

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Von Nizza ging er zurück an den Rhein, nach Bad Honnef, in die Nähe der Bonner Macht. Willy Brandt regierte und Wolf kaufte von einem bankrotten Rotlichtkönig das „Chez Loup“, sein erstes Feinschmeckerrestaurant, sein letztes als Küchenchef.

Es gab Scampi und Taube, es gab Hüftsteak und Seezunge. Es gab das alles, weil Wolf die Produkte aus Frankreich oder Belgien ankarren ließ. Produkte, für die der deutsche Zoll keine Einfuhr-Nummer hatte, da man sie in Deutschland nicht kannte. So musste Wolf manchmal auch schmuggeln, musste Enten, totgeschossen in der Burgund, über die Grenze manövrieren und Flusskrebse, lebend gefangen in der Ardeche, an den Beamten vorbeibugsieren. Es war die Stunde Null des guten Essens, Wolf war Adenauer und Erhardt in einer Person: Ideologe und Finanzier.

Stunde Null der deutschen Spitzengastronomie

Einen Michelin-Stern und phänomenale 18,5 Punkte im Guide Gault-Millau, das war Wolfs Bilanz, als er sich 1978 endgültig vom Herd zurückzog. Da hatte er nebenbei schon mit Catering und Lebensmittelhandel begonnen. Jahre später rollten rund hundert Lastwägen mit dem Logo seiner Firma „Rungis Express“ (benannt nach dem größten Markt für Feinkost am Stadtrand von Paris) durch Europa. Wolf war Deutschlands Experte für das Beste zum Essen, er lieferte, was die gierige Spitzengastronomie der Gordon-Gekko-Jahre begehrte. Sein Unternehmen stand immer knapp am Rande des Bankrotts, da die Banken dieser irren Nachfrage und den damit verbundenen Expansionskosten keinen Glauben schenken wollten. Am Ende gaben sie nach, gaben sie Geld. Sie haben es nicht bereut.

Da Wolf alles Tun schnell langweilt, verkaufte er die Firma am Anschlag ihrer Möglichkeiten. „Alle standen sie Schlange“, sagt Wolf, „Rewe und Kaufhof“. Da war er erfüllt, der Traum vom befreiten Bonvivant. Kein Conrad Hilton, aber der Howard Hughes hinter den Speisekarten der Bundesrepublik.

„Ich bin eigentlich sehr faul“, sagt Wolf.

Heute, nachdem er ein paar weitere Firmen gegründet, geführt und zu Geld gemacht hat, sitzt Wolf auf seiner Veranda. Und hat es hinter sich. Er weiß zu leben. Mehrmals im Jahr versammelt er ein illusteres Publikum zu Weinproben, die nur ein einziges Thema kennen: Gut und teuer.

Dann lässt Wolf ausgewählte Köche antreten und kochen, was er unter kochen versteht: Essen das schmeckt, Essen mit Schmackes. Nichts Neumodisches, nichts Elaboriertes aus der Molekularküche, sondern Hummer, Lotte, Erbsensuppe (die beste der Welt), Atterochse (eine Züchtung seiner Firma „LandArt“ – auch schon verkauft) und wilder Saibling aus dem See vor der Tür. Alles mit viel Butter, das Fleisch von Fett durchzogen, alles Schlaraffenland, alles satt. Keiner der Gäste hat Sorge, er würde am nächsten Morgen an den Folgen dieser als ungesund gebrandmarkten Ernährung sterben.

Und wenn alle pappsatt den Vollmond über dem See wandern sehen, dann kommt Wolf auf der Veranda ins Grübeln, wie es denn mit der deutschen Gastronomie weitergehen soll, die immer mehr Sterneköche gebiert. Dann fängt Wolf zu dozieren an.

Dass es dumm und übereilt ist, von einer Feinschmecker-Nation zu sprechen.
Dass wahnsinnig komplizierte Kreationen von den Köchen im Tagesgeschäft nicht einwandfrei zu meistern sind.
Dass diese neue Fresswelle von den unsäglichen Kochshows geprägt ist, wo Leute kochen, die nicht kochen können.
Dass die Stickstoffwelle der Molekularküche die Köche am falschen Strand anspült.
Dass Ferran Adria im Ell Bulli trotzdem ein genialer Koch ist.
Dass die einfachen Sachen die schwierigen sind. Dass Gulasch schwerer zuzubereiten ist, als Gänseleber, der Sauerbraten schwerer, als die Jakobsmuschel.

„Carpaccio von irgendwas kann jeder Depp“, sagt Wolf.
Dass die Deutschen immer noch nicht kauen wollen, diese Lust am Eintopf ihre Gaumen bestimmt.
Dass die Deutschen endlich der deutschen Küche gewahr werden müssen.

Sagt Wolf, knapp über Sechzig und der erfolgreichste deutsche Koch aller Zeiten. Das Westdeutsche in Person. Den Massen unbekannt.
Lehnt sich zurück: „Ist das nicht schön hier?“ Mit welchem Buchstaben beginnt die Zukunft der deutschen Gastronomie?
„Mit W.“ W wie wer?

Wohlfahrt oder Winkler? Nee

W wie Wohlfahrt oder Winkler? Beides Köche, jeder drei Sterne wert, beide erst Legende geworden, als Wolf beruflich schon längst keine Pfanne mehr angriff. Beides brave Soldaten, die man nicht zu kritisieren wagt, da ihre dutzenden Auszeichnungen ihr gegenwärtiges Werk aus der Kritik nehmen. Diese beiden? Nein.

W wie Witzigmann? Nein, auch Eckart Witzigmann ist Vergangenheit, kocht er doch schon seit bald zwei Jahrzehnten nicht mehr. Der Grund? Darüber will er nicht reden. Es stand ja alles in den Medien.

Doch Witzigmann beeinflusst die Gegenwart der deutschen Gastronomie wie kein zweiter, denn er hat die meisten Schüler ausgebildet, die je ein deutscher Koch angelernt hat. Und fast alle seiner Schüler sind große Köche geworden. Witzigmann ist der höchst dekorierte Koch Deutschlands, laut Guide Gault-Millau sogar der Koch des vergangenen Jahrhunderts. Über Jahre hinweg hat er drei Michelin Sterne gehalten. Und vier Hauben Gault-Millau. Ein Michael Schumacher der Fress-Formel-Eins.

Eckart Witzigmann ist Österreicher, fast alle, die mit ihm einst am Herd standen kommen aus dem Süden Deutschlands. Witzigmann war der Kaviar-Kaiser von München, damals nicht nur Hauptstadt des Freistaates, sondern auch heimliche der ganzen Republik, Witzigmann ist das Gegenteil von Berlin.

Witzigmann sitzt im Tantris. Am hintersten Tisch, wo schon Stoiber mit Merkel saß. Das Tantris war Witzigmanns erstes Restaurant, ein Gourmettempel abseits der Fressgassen. Obwohl nie gravierend umgebaut, stellt dieses Haus immer noch die gastronomische Moderne dar. Die Feinschmeckerei kam im zeitlos gestylten Mantel nach Deutschland, drastisch, als Bruch mit der Tradition, auch als Folge von Achtundsechzig. Das Tantris wurde gehasst. Witzigmann wurde gehasst. Gut so.

Abneigung spornt an

Denn diese Abneigung spornte den Schüler von Bocuse und Haeberlin zu Höchstleistungen an. Und zur Genauigkeit was die Zutaten anlangt. Auch als das Lokal über Monate leer blieb, ließ sich Witzigmann das Fleisch von weither bringen, weil es das beste Fleisch war. Irgendwer musste es ja merken. Irgendwann. Und sie merkten es. Spät. Gerade rechtzeitig.

Michael Graeter merkte es. Und die Fassbinder-Clique. Der junge Gottschalk merkte es. Und der Parteienfinanzier Flick, der kein Fett sehen konnte. Hier entstand Neuland. Mitten in der ärgsten Rezession, zwischen Terror und Politkrisen, begannen die Deutschen zu leben. Vielleicht aus Trotz.

Im Tantris kocht heute Hans Haas, Österreicher wie Witzigmann. Und ein Schüler. Schüler wie Johann Lafer. Karl Ederer, Jörg Wörther, oder Hans-Jörg Bachmeier vom Blauen Bock am Viktualienmarkt, wo der Alte am liebsten Station macht. Nach dem Tantris wurde Witzigmann Chef seines eigenen Restaurants, der Aubergine, ein Name, den man auch heute noch erinnerungsschwanger mit Ehrfurcht ausspricht. Große Jahre. Die Aubergine war Witzigmanns Aufstieg, sein Fall. Er holte hier als erster Koch Deutschlands den dritten Michelin-Stern. Und verlor eine Dekade später seine Lizenz in einem Gerichtsprozess. Ein Mann am Boden, unglaublich, wie er sich danach wieder aufgerichtet hat.

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Heute engagiert er die besten Köche der Welt für den Red-Bull Milliardär Dietrich Matteschitz. Und schreibt Kochbücher. Wo immer er sich umsieht im Süden Deutschlands sitzen seine Leute an den Hebeln. Er ist das Jetzt, seine Handschrift zeichnet die Menüfolgen. Er mag oft streng gewesen sein. Und cholerisch. Aber seine Jungs lieben ihn. Was will so einer? Was sieht er kommen?

Witzigmann nippt am vierten Glas Champagner. „Ethik“, sagt er, „Ethik“ und zieht ein Zeitungsinserat aus der Tasche, auf dem eine Fast-Food-Kette mit gesundem Essen wirbt. „Das kann gar nicht gehen“, erregt sich Witzigmann, „das ist Mist, totaler Mist.“
Und dann holt er wie ein alter Querulant eine Anzahl weiterer Belege für das Ende der guten Küche aus seiner Tasche, Zeugnisse einer Fehlentwicklung, Anklagen wider die Bequemlichkeit. Da will einer retten, was nicht zu retten ist. Und das weiß er, das macht ihn wütend. Er sieht die Spitzengastronomie als Retter des wohlschmeckenden Essens, sieht sie in der Verantwortung für die Güte der Volksverpflegung. Er sagt, dass man eine gute Pastete nicht nur aus Gänsestopfleber, sondern auch aus Hühnerleber machen kann. Und er fragt sich, warum das keiner mehr macht in Deutschland. Die Hühnerleberpastete.

So flüchtet er mitsamt seinem Können und dem Sendebewusstsein in die akademische Welt. Witzigmann ist Doktor honoris causa. Er hält eine Gastprofessur an der Universität von Örebro in Schweden, wo er über kulinarische Bildung referiert. Er ist Ehrenvorstand der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Er sammelt jede Menge Titel, nur um seinem Engagement Wichtigkeit zu geben. Es geht im schlicht um die Rettung des guten und einfachen Essens. Wie ein alter Sozialdemokrat appelliert er an die Verantwortlichen, den Nachwuchs besser auszubilden. Er weiß, diese neue deutsche Fresswelle steht auf tönernen Füßen. Und auf dünnem Eis.

Was waren seine größten Fehler? Vielleicht, dass er die Karriere vor Familie und Kinder gestellt hat. Er ist stolz, trotz der Trennung verheiratet geblieben zu sein. Ans Aufhören denkt er nicht, die Ruhe der Pension will er nicht genießen, nichts erwartet ihn dort. Dazu, so sagt er, brennt er noch zu viel. Vielleicht an beiden Enden.

Bergisch Gladbach für den Besten

Die Zukunft der deutschen Spitzengastronomie beginnt mit W, sagt Karl Heinz Wolf. Nicht alleine, sagt er, nicht nur, aber im Wesentlichen. Erfahrene junge Köche – allesamt das Gegenteil der lange plakativ propagierten Jungen Wilden – haben die alten Recken abgelöst. Diese dürfen ihre Höchstwertungen und den zugehörigen Ruhm einstweilen noch behalten. Kein namhafter Gastronomieführer möchte mit der Demontage beginnen. Juan Armador, Klaus Erfort, Sven Elverfeld oder Christian Bau heißen die neuen Progressiven der deutschen Küche. Jeder hat Drei Sterne. Keiner hat eine Fernsehshow.

W wie Wissler, meint Wolf. Joachim Wissler, der im Restaurant Vendome des Grandhotel Schloss Bensberg in Bergisch Gladbach kocht. Auch drei Sterne, fantastischer Ausblick auf Köln und den Rhein inklusive. Wissler ist Mitte Vierzig, trägt aber ein glattes Bubengesicht unter der Stechigelfrisur, das ihn viel jünger aussehen lässt. Er hat elegante Hände. Er spricht leise und selbstgewiss. Von der ersten Minute an wägt er jede seiner Formulierungen ab, gibt Antworten, die er sich wohl schon oft im Kopf zurechtgelegt hat, Antworten auf hunderte Fragen. Anzunehmen, dass er im Geiste oft zu einem Auditorium spricht. Wenn wer kommt und Fragen stellt (und es kommen viele), dann antwortet er ohne Umwege und Verirrungen. Druckreif.

Wissler sagt den wesentlichsten Satz zu seiner Person sehr früh: „Ich bin niemands Schüler“. Seine Kreativität, seine Fähigkeit, seine Sicherheit, sein Mut kommen aus seinem Kopf. Und resultieren nicht aus der jahrelanger Beobachtung Dritter. Selten sieht er sich an, was andere machen. Er bleibt unbeeindruckt.

Sicher, die Pieke. Gelernt hat er im elterlichen Betrieb, ein Gutsbauernhof auf der Schwäbischen Alb mit ländlich-gutbürgerlicher Küche. Eine Küche, die heute fehlt, sagt Wissler. Er war ein mittelmäßiger Lehrling mit durchschnittlichen Noten. Er wollte nicht unbedingt Koch werden. Doch er hatte Talent. Als er das merkte, fing er an, sich für den Beruf ernsthaft zu interessieren. Als sein Vater das merkte, warf er ihn raus. Der Vater sagte, ich will dich hier nicht mehr sehen. Er wusste, man lernt nur in der Fremde.

Wissler ging nicht nach Frankreich, nicht nach Amerika, Wissler blieb in der Nähe, im Schwarzwald, und lernte in der Traube-Tonbach alles, was man an Handwerk braucht. In der Traube-Tonbach, noch bevor vor Harald Wohlfahrt dort Küchenchef war, wie Wissler gleich betont. Damit ja kein Verdacht aufkommt, irgendein Starkoch hätte Wisslers ureigene Kreativität penetriert.

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Ureigene Kreativität, das sind zum Beispiel Tafelspitzsud-Spaghetti a la Carbonara, die Teigware ist keine, sondern ein küchentechnisch hergestelltes Produkt, ein Apostroph der Molekularküche. Wissler ist für jede Strömung offen, er will sich nicht festlegen. „Früher“, sagt er, „ist ein Küchenchef mit seinen Kreationen in Rente gegangen.“ Dieser Zustand der andauernden Reproduktion des Immergleichen ist ihm ein Gräuel.

Milchhautkissen mit Parmesan, geschmorter Aal im gebundenen Lorbeersud, glasiertes Kalbsbries mit Kaffeekrokant und Schwarzwurzeln, Ochsenkotlett mit Mandelpüree und schwarzem Sesam: Bei vielen Gerichten auf Wisslers Speisekarte fehlen die Luxusprodukte. Er vermeidet überhöhte Ausgaben und kontert das Fehlen von Kaviar, Hummer und Blattgold mit Kreativität. So führte er das Restaurant in schwarze Zahlen, eine Seltenheit in dieser Spitzenkategorie, in der die meisten Restaurants vom beherbergenden Hotelbetrieb erhalten werden. „Wir haben uns in Deutschland leider eine Gästestruktur herangezogen“, sagt Wissler, „die Gänseleber, Trüffel und Taube verlangt.“ Lieber wäre ihm jedoch, die Gäste würden sich auf das alte regionale Produkt besinnen. Nicht nur im Landgasthaus, auch in der Spitzengastronomie. Auf Flusskrebse und wild gefangener Forelle. Auf Rehleber und Aal. Seine Produkte bezieht Wissler von vielen verschiedenen regionalen Produzenten. Aus Deutschland, Frankreich und Österreich. Er sucht und forscht, sein Freund und Förderer Karl Heinz Wolf ist ihm bei der Suche behilflich. Zwei Produktfanatiker auf Pirsch, oft gemeinsam, das hat in der Gerüchteküche so manches brodeln lassen. „Nichts dran“, sagt Wissler.

Und er? Als intellektuell autarkster Vertreter der neuen deutschen Spitzenküche? Wie will er die Zukunft haben? Sieht er eine?

Ich bin Koch, kein Unterhalter

Er sei Koch, kein Unterhalter, sagt Wissler. Er denke an die Erweiterungen seines Tätigkeitsbereichs, andere Restaurants eventuell, die seinen Namen in Deutschland bekannter machen. Er sieht sich als hoch seriöser Vertreter seines Standes, kein Blender und Schwätzer, wie die Populärköche aus den billigen TV-Formaten. Er will seine Position als interessantester unter den besten Köchen des Landes festigen.
Wird Deutschland ein Feinschmeckerland?

„Schwer einzuschätzen“, sagt Wissler.

Er bezweifelt, dass die gute regionale Küche durch Kochshows und Personenkult in den Bäuchen des Volkes verankert werden kann. Viel mehr müssen deutsche Spitzenköche die Kunde ihres Könnens in die Welt tragen. Denn nur wenn die großartige regionale Küche des Landes auch international bekannt wird (ein großer Artikel in der New York Times machte im März den Anfang), kommen die Gäste von weither angefahren, um hier zu essen. Und eventuell wird es letztlich diese logische Entwicklung sein, denkt Wissler, die das Bewusstsein für gutes Essen in das Alltägliche trägt. Nur wenn Deutschland für seine Küche im Ausland bewundert wird, kann diese auch das Volk beeindrucken. Das wäre dann eine echte Revolution.

Das ist die Zukunft.

Und deswegen ist Joachim Wissler die Zukunft der deutschen Kulinarik.

 

Datum: 21.7.2010 (Update 10.3.2011)
 

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