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Die Winzer am Arsch

Blick vom Kröver Nacktarsch auf die Mosel.
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Kröver Nacktarsch, das ist der Inbegriff süßer und billiger Plörre von der Mosel, ein Schandfleck des deutschen Weins. Wirklich so schlimm? Sina Listmann trank sich tapfer durch die Lage. Fazit? Da schimmert Licht am Ende des Tunnels...
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Nüchtern betrachtet ist der Nacktarsch eine relativ kleine Großlage (320 Hektar) an der Mosel nahe bei Traben-Trarbach. Die Einzellagen heißen Steffensberg, Letterlay, Kirchlay, Paradies (in der Gemeinde Kröv) und Burglay und Herrenberg (in Kövenig). Teilweise steile bis steilste Hänge, die bis auf 300 Meter über Null gehen, vorwiegend nach Süden exponiert. Die Reben wurzeln in steinigem und lehmigem Tonschiefer. Beste Bedingungen für gute Weine. Eigentlich.

Woher der unflätige Namen kommt? Ursprünglich hat man sich wohl nicht viel dabei gedacht, erst recht nichts Anrüchiges, denn die Herleitung aus dem Altdeutschen heißt „entlaubte Erhebung“.

Und dann wäre da noch die alte Mär vom Kellermeister, der zwei Jungs den Hintern versohlte, weil sie seinen Wein verbotenerweise weggesüffelt haben. Den unlustigen Gewaltakt gegen Kinder kann man auf Tausenden Weinetiketten besichtigen, wenn man durch die Gässchen in Traben-Trabach schlendert und durch die Fenster der Souvenierläden blickt.

Wie viele Winzer gibt es am Nacktarsch? Thomas Kaufmann, Chef des Kröver Winzerverbands, gibt Auskunft: „Insgesamt rund 120, davon 30 bis 40 hauptberufliche Winzer.“

Und was bringen die auf die Flasche?

Man könnte es höflich umschreiben. Oder besser gar nicht erwähnen und diesen Artikel beenden, bevor er richtig angefangen hat. Wenn es nicht herausstechende Ausnahmen gäbe. Und die zu finden, dafür ist der Captain ja da. Vorhang auf.

Blonde Friese, glasklare blaue Augen, Lederhalsband, tiefe Stimme. Markus Hüls, 34 Jahre alt, ist stolzer Steillagenwinzer und könnte der kleine Bruder von Bruce Willis sein. Die Ausstrahlung ruhig, bedacht, selbstbewusst. Aber da brennt ein Feuer im Mann. Hüls will die angestaubte Mosel-Romantik des Kröver Nacktarschs wegfegen. Was hat er vor? Hüls: Kröv hat sein Geld mit dem Nacktarsch verdient, aber die Einzellagen wurden in der Vergangenheit nicht herausgearbeitet. Das ist unser größtes Potential für die Zukunft.

Markus Hüls übernahm 2014 den Familienbetrieb, stellte um und ließ sich zunächst ganz bewusst den Arsch versohlen. Wir haben drei bis vier Jahre lang die Sache auslaufen lassen und dabei 100 Prozent unserer Privatkunden verloren.

Auslaufen lassen, das klingt zäh und unangenehm. Hüls ist nicht arrogant, er schätzt die ehemaligen Kunden, wollte es halt anders machen. Glücklicherweise stand die Familie hinter ihm. Er hatte den Kopf voller Visionen aus der Zeit bei Lehrherr Markus Molitor, ein Lagen- und Naturwein-Verfechter par excellence, bei dem Hüls vor ca. 10 Jahren seine Ausbildung zum Winzer abschloss und danach drei Jahre im Außenbetrieb arbeitete. Die Mosel hat für mich nur eine Chance und das ist die Qualität. Masse können andere Weinanbaugebiete machen.

Die Umstellung des Sortiments weg von einfachen und gefälligen Weinchen begann an der Wurzel, im Weinberg. Hüls hatte dabei auch den Klimawandel im Blick: Die alten Sorten weisen meiner Erfahrung nach fünf bis zehn Grad weniger Mostgewicht auf.

Die Neuzüchtungen flogen raus, uralte Klone wurden neu gepfropft. Was das heißt? Rebzweige (Reise) von uralten Stöcken aus anderen Weinbergen werden gezielt ausgewählt, um gewünschte Eigenschaften in den eigenen Weinberg zu importieren. Fachleute nennen das selection massalle. So dreht man an den Stellschrauben von Säurestruktur, Frucht und Reife. Das Ergebnis sind vielschichtigere Weine, die großen Gefallen finden. Bald fliegt ein Hüls-Riesling ganz oben mit, nämlich bei Singapore Airlines.

Hüls-Weine sind nicht knallig, laut und affektheischend wie die Filmcharaktere von Bruce Willis, aber so kühl und einprägsam wie die Augen des Filmstars. Keine Frucht-Leckerlis, sondern Weine mit Ecken und Kanten, die entdeckt werden wollen.

Woher weiß der Jungspund, welche alten Sorten er am besten in welchen Schiefer bettet?

Der Kerl nuckelt im Herbst ständig an Träubchen. Nichts ungewöhnliches für einen Winzer. Aber Hüls lutscht sich durch sage und schreibe 120 Hektar Weinland. Kein Genuss-Dieb, er darf kosten. Denn Hüls bewirtschaftet zusätzlich zu seinen eigenen Flächen die Weinberge der Kollegen. Im ersten Berufsweg Industriemechaniker, gründete er 2009 ein Dienstleistungsunternehmen für landwirtschaftliche Maschinen. Bei Molitor hatte er eine Raupe entwickelt, die man in der Steillage einsetzen kann. Aus dieser Erfahrung entstand die neue Firma, die Arbeitskräfte und Geräte an Winzer verleiht, um ihre Hänge zu bearbeiten. Ein gutes Geschäft für beide Seiten.

Hüls ist Tüftler und macht sich viele Gedanken. Dazu kommt das tradierte Wissen der älteren Winzer, mit denen er intensiv diskutiert. So wurde Hüls Kopf innerhalb weniger Jahre zu einer Bibliothek der Lust.

Der Ethnologe würde sagen, Hüls ist ein Feldforscher. Er durchdringt eine Kultur durch teilnehmende Beobachtung. Seine eigenen Reben sehen ihn alle drei Tage. Ja, sie sehen ihn – genau so sagt er es. Ob er die Reben personifiziert? In gewisser Weise sicher. Man könnte es Fürsorge nennen, Perfektionismus oder Akribie.

Hüls entnimmt alle drei Jahre an 15 fest markierten Punkten im Weinberg Bodenproben und schickt sie nach Texas in ein Labor. Aus den Analyseergebnissen liest er den Handlungsbedarf ab und optimiert mit Gesteinsmehlen den Untergrund. Die Widerstandsfähigkeit der Rebe kommt aus dem Boden.

Der wird seit Jahren naturnah bearbeitet. Das Weingut ist jedoch nicht zertifiziert. Hüls nennt es „Boden-Annäherung“. Das klingt fast mystisch. Alles wird spontan vergoren, am liebsten im Holzfass ausgebaut, immer mit langem Hefelager. Seine Weine dürfen sich entfalten, entwickeln, sich Zeit nehmen. Ob er sich als Bio-Dynamiker versteht? Noch nicht.

Jungwein-Verkostung in Kröv, vor ein paar Jahren. Markus Hüls stellt einen Riesling auf dem Tisch, den alle geil finden. Kein Kollege findet auch nur einen Deut Kritik. „Was willste dafür nehmen?“ Antwort: „30 Euro die Flasche.“ Stille, Unglaube, Spott. „Niemals. Das kannst Du nicht machen. Wer soll das kaufen!“ Hüls nimmt trotzdem die 30 Euro. Und steckt Geld in die Entwicklung von Marke und Website. Ich sagte zu einem Kollegen: Kauf Dir doch nicht noch einen Traktor für 35.000 Euro. Nimm lieber das Geld und steck es in PR. Was steht jetzt da? Der Traktor!

Hüls schüttelt den Kopf. Da muss noch viel Umdenken stattfinden. Und Wertschätzung der eigenen Arbeit. Wir kommen nicht weiter, wenn Moselweine für 3,50 Euro im Schaufenster stehen. Die Weine müssen besser sein als das, und der Moselwinzer muss sich wieder trauen, ordentliche Preise für seine gute Arbeit zu nehmen.

Und wie geht Hüls mit dem Ruf des Kröver Nacktarschs um? Er schreibt ihn nicht auf seine Etiketten. Als Jungwinzer kann ich mit diesem Namen keine Weine zu höheren Preisen vermarkten.

Besteht die Chance, dass der Arsch zurück auf seine Etiketten kommt? Vorerst nicht. Wenn die Leute erfahren, dass ich aus Kröv komme, fragen sie mich, warum ich keine Weine vom Nacktarsch habe. Dann erkläre ich denen, dass alle meine Weine aus dieser Lage kommen.

Was lief falsch? Man hat in den letzten Jahren den Relaunch versäumt. Allerdings hat der schlechte Namen auch seinen Vorteil, denn jeder Weinfreund kennt ihn. Sogar in New York. Das ist eine Chance.

Die ersten Jungwinzer im Dorf wurden von diesem Umdenken bereits erfasst. Jungwinzer Maximilian Hermes, geboren 1991, lernte unter anderem bei Fitz-Ritter in der Pfalz. 2014 stieg er ins Familienweingut ein und vergärt bereits bis zu 70 Prozent spontan. Seine Weine haben Potential.

Maximilians Großcousin Martin Hermes, Jahrgang 1981, studierte in Geisenheim und bringt die Sekttradition seiner Familie weiter. Klar und fruchtbetont will er die Sprudler, eigenständig und moseltypisch. Keinem Champagner nacheifernd.

Neues Selbstbewusstsein keimt auf im Dörfchen Kröv. Ob man den alten Arsch wiederbeleben kann? Das bleibt umstritten.

 

Datum: 23.5.2019
 

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