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Dass Berlin eine Wein-Diaspora darstellt, kann aus geografischen und historischen Gründen kaum verwundern. Nahezu schändlich ist es aber, dass auch von der großen Brautradition der deutschen Hauptstadt im Laufe der Zeit wenig übrig geblieben ist.
Um 1900 gab es hier noch über 200 Brauereien. Schultheiss, Berliner Kindl, Engelhardt, Berliner Pilsner oder Bürgerbräu – um nur einige der traditionellen Betriebe zu nennen – gehören längst zur Radeberger-Gruppe und somit zum Dr.Oetker-Konzern. Sie werden in einer einzigen gigantischen Industrieanlage in Berlin-Weißensee produziert. In vielen historischen Braustätten in der Berliner Innenstadt sind mittlerweile Shopping-Malls oder Kulturpaläste entstanden, in anderen wurden schicke und sündteure Lofts gebaut.
In Berlin ein Dutzend Mikrobrauereien
Doch kaum ein Trend ohne Gegentrend, und so versuchen fachkundige Bierenthusiasten immer wieder, der Berliner Einheitsplörre etwas entgegenzusetzen. Mittlerweile gibt es in Berlin ein gutes Dutzend Mikrobrauereien, die meistens unmittelbar an Gaststätten angeschlossen sind und Spezialitäten nach traditionellen Rezepten fabrizieren. Auch in einer der aufwändig aufgemotzten alten Berliner Markthallen, hat sich ein derartiges Unternehmen angesiedelt.
Seine alte Produktionsstätte in den S-Bahn-Bögen nahe dem Schloss Bellevue musste Braumeister Michael Schwab aufgeben, als die Deutsche Bahn AG die Miete um schlappe 50 Prozent erhöhen wollte. Da kam das Angebot der neuen Betreiber des jetzt „Zunfthalle“ genannten Konsumtempels in Berlin-Moabit sehr gelegen. Noch ist das Geschäft in der Anlaufphase, aber 2012 will Schwab immerhin schon bis zu 1000 Hektoliter brauen. Alle zwei Wochen werden drei bis vier Sudgänge durchgeführt. Sieben Biere braut Schwab regelmäßig, dazu kommen saisonale Spezialitäten.
Der Brauer sieht bei seiner Tätigkeit viele Parallelen zu der eines Winzers. So habe nicht nur die verwendete Hopfensorte, sondern auch deren jeweiliger Jahrgang prägenden Einfluss auf den Geschmack der Biere, wird der staunende Braulaie informiert. Und auch das Alterungspotenzial bestimmter Biere sei enorm, versichert Schwab und schwärmt von einem 50 Jahre alten Weißbier welches „sensationell geschmeckt“ habe. Auch er strebt an, gereifte Biere auf den Markt zu bringen.
Doch so weit ist es noch nicht. Aus der aktuellen Kollektion sei zunächst das „Einsteigerbier“ empfohlen, welches in der Markthalle und in einigen Gaststätten auch frisch vom Fass angeboten wird. Frisch-zitronig mit dezenter Hopfennase begrüßt einen das – selbstverständlich naturtrübe und unpasteurisierte – „Bellevue Pils“. Leicht malzig und mit angenehm sanften Bitternoten fließt da ein süffiger Alltagstrunk durch die Kehle, der den Weißenseeer Industriemüll schnell vergessen macht.
Wesentlich abgefahrener ist dagegen das Berlin Ginger Beer, dass seinen säuerlich-kräutrigen Geschmack nicht etwas der nachträglichen Zugabe von Ingwer, sondern dessen Verwendung beim Brauvorgang verdankt. Mit 2,5 % Alkohol der optimale Erfrischungskick für sommerliche Vieltrinker.
Dunkelbiere zu Degustationsmenüs
Besonders seine Spezialbiere sieht Schwab keineswegs als reine Erfrischungsgetränke. So empfiehlt er beispielsweise sein mit Röstgerste verfeinerten Dunkelbier „Berliner Nacht“ mir seinen Anklängen an Kaffee und dunkle Schokolade zu gebratenem und gegrilltem dunklen Fleisch.
Da liegt es nahe, dass Schwab seinen Kreuzzug für guten Biergeschmack mit Abfüllung und Vertrieb keineswegs beendet. Geplant sind unter anderem mehrgängige Degustationsmenüs mit passenden Bieren zu den einzelnen Gängen, um des Deutschen Lieblingsgetränk endlich aus der Bölkstoff-Ecke zu holen.
Schöner Bericht. Hat mich gut unterhalten. Geht wohl so in die Richtung Braufaktum. Als glücklicher Bewohner der Bierstadt Bamberg und nah verortet an der Fränksichen Schweiz profitiere ich von einer Jahrhunderte alten Brautradition und benötige diese Neo-Biere zum Glück (noch) nicht.
In unserer rural geprägten Gegend wird Bier aber immernoch als „Durstlöscher“ verstanden. Die Idee ein „Spezial-Rauchbier“ mit einem Roastbeef zu kombinieren würde wohl den wenigsten Bambergern einfallen. Auch passt zu einem frischen Hefeweizen mehr als nur die klassische Weißwurst. Hefeweizen und Muskat-Kürbis-Tortellini sind eine spitzen Kombination. Und warum sollte sich die Bierkultur in Deutschland nciht auch so positiv entwickeln wie die Weinkultur in den vergangenen Jahren.
Ahoi Philip,
was mir dazu einfällt ist, dass die Brewbaker-Brauerei schon ein ziemlich krasses Beispiel ist, was das Biersortiment angeht. Die machen da ziemlich schräge Sachen wie Kartoffelbier usw. (was übrigens ziemlich klasse schmeckt).
Ich wage mal zu behaupten, dass so ein schräges Sortiment eher nur in Berlin möglich ist, nicht im Fränkischen und auch nicht in Düsseldorf. Vielleicht liegts daran, dass sich die Brauereien dort stärker auf eine gewisse traditionelle Bierkultur berufen können als im „verpilsten“ Berlin.
Ahoi Maat Golenia,
dem kann nur zugestimmt werden. Der eigenbrötlerische Franke würde ein Kartoffelbier wahrscheinlich eher zum Blumengießen als zum trinken verwenden.
Dennoch: Ein so spezielles Bier wie das Schlenkerla oder das Spezial-Rauchbier findet man so und mit dieser Tradition auch nur in Bamberg. Und das ist ja nunmal reine Provinz. Wie kann es sein, dass sich so ein spezielles Bier quasi ausschließlich dort durchsetzen konnte.
Und ja: Tradition schützt vor allzu schnellen Trends, kann aber auch dazu führen, den Anschluss an den Zeitgeist zu verpassen.
Ja, eine gute Frage: warum dieses Spezialbier ausgerechnet in Bamberg? Oder auch das Gose in Goslar, ebenfalls recht eigen…
Tradition schützt vor schnellen Trends – d’accord. Allerdings muss sich Tradition auch im gewissen Maße modernisieren. Tradition und Moderne schließen sich eben nicht aus. Auch beim Bier nicht.
Ingwer im Bier? Das hat meinetwegen geschmacklich eine Berechtigung, ist aber dann kein Bier mehr, sondern ein bierähnliches Getränk oder meinetwegen ein Bier-Cocktail. Für mich ist das „Gepansche“. Bier besteht aus Hopfen, Malz, Hefe und Wasser. Mehr braucht es nicht, um eine geschmackliche Vielfalt zu erzeugen, die dem von Wein in nichts nachsteht (zumindest bei handwerklich gebrauten Bieren und keiner Industrie-Plörre). Oder würde das Schiff etwas als Wein bezeichnen, dem beim Vinifizieren „Ingwer“ beigefügt wurde?
ebenfalls in berlin und sehr zu empfehlen: http://www.rollberger.de
Ahoi Hofer,
über Ihren letzten Satz musste ich echt nachdenken. Und bin zu dem Schluss gekommen, dass Sie Wein und Bier so direkt nicht vergleichen können.
Wein ist, vereinfacht gesagt, ein Produkt, das aus einer Zutat gemacht wird: der Traube. Fertig. Theoretisch könnten sie die Traube abquetschen, den Saft spontivergären lassen und fertig ist der Wein.
Beim Bier sieht das freilich anders aus. Nicht nur, dass Bier aus vier gleichberechtigten Zutaten besteht, nein, man muss auch noch mühsam handwerklich daran arbeiten, bis das Endprodukt Bier entsteht: Malz-Herstellung, mahlen, einmaischen, filtern usw. Wer Bier spaßeshalber mal Zuhause gebraut hat, weiß, welche Knochenarbeit das bedeutet.
Und trotzdem: wer sagt, dass nur diese vier gleichberechtigten Zutaten Bier ergeben? Wo steht das geschrieben? Im ollen Reinheitsgebot vielleicht?
Nee, in dem steht von Hefe nichts drin. Die kannten die Jungs damals noch nicht. Strenggenommen ist heutiges industrielles Bier auch kein Bier (nach dem Reinheitsgebot), weil da Tütenhefe reingekippt wird.
Maat Golenia, Ihre Argumentation lässt sich hören, überzeugt aber nicht gänzlich. Historisch betrachtet hat man früher sowohl Bier als auch Wein traditionell mit Kräutern und Gewürzen versetzt. U.a. um diesem „Gepansche“ Einhalt zu gebieten, wurde das „olle“ Reinheitsgebot von 1516 (Bayrische Landesordnung) codifiziert. Für Wein erfolgte gleiches im Übrigen schon früher, mit dem Kitzinger Weingesetz von 1482. Folglich sind die Sachverhalte doch vergleichbar.
Hahaha, amüsant was passiert, wenn der Autor sein Wandlitzer Anwesen verlässt und durch Berlin streift – was erblickt er dort an Stelle alter Brauereien: „Shopping-Malls“oder „Kulturpaläste“, „schicke und sündteure Lofts“ sowie „Konsumtempel“. Entweder die Wortwahl ist unangemessen bzw. nur aus des Spiesser-Perspektive des Kleinbürgers zu verstehen oder er ist eine vollkommene Blindschleiche.
Ahoi Hofer,
Sie können sich denken, dass mich Ihre Argumente auch nicht ganz überzeugen. Denn die Zustände von 1516 kann man doch nicht mit den heutigen vergleichen. Schon gar nicht die Hygienischen, die aber sicher ein Hauptgrund waren, damals dieses Reinheitsgebot überhaupt einzuführen.
Das da bayrische Herzöge aus Gründen der Geschmacksverbesserung dieses Gebot durchgedrückt haben, kann ich mir nur schwer vorstellen. Nein, das hatte handfeste, praktische Gründe: Bier war Flüssigkeitsspender. Trinkwasserqualität damals eher Mangelware. Bier war eines der wenigen Getränke, die „sauber“ waren bzw. sauber bleiben sollten.
Matrose Hofer, ich muss gestehen, dass ich kein Freund des Reinheitsgebotes bin. Das merken Sie sicher. Es schränkt die Biervielfalt für mich ziemlich ein. Mir reicht es halt nicht, das tausendste Pils oder Weizen ohne größere Unterschiede zu schlürfen. Deshalb freue ich mich immer wie ein Kind, wenn ich in Belgien unterwegs bin, oder mal Läden finde, die britisches Bier führen.