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Der promovierte Historiker Christof Krieger leitet das Mittelmosel-Museum in Traben-Trarbach und widmet sich in seiner Forschungsarbeit seit 20 Jahren dem Thema Wein und Nationalsozialismus.
2018 erschien Kriegers Dissertation als Buch unter dem Titel → ,,Wein ist Volksgetränk!‘ – Weinpropaganda im Dritten Reich und wurde bereits in der 2. Auflage veröffentlicht.
Übrigens: Josef Bürckel (1895-1944) im Bild oben gilt als Vater der Deutschen Weinstraße.
Der Captain telefoniert gelegentlich mit Krieger, wenn er Fragen zur Weingeschichte hat und immer wieder fallen dabei wertvolle Bildungshäppchen für ihn ab.
So ergab sich neulich im Gespräch über die Beschlagnahmung französischer Weinlager zur Besatzungszeit durch die Wehrmacht eine Abzweigung Richtung Weinhandel in Deutschland vor und nach der Machtergreifung.
Bis dahin glaubte auch der Captain fest an die Legende, dass jüdische Kaufleute die Warenströme im deutschen Weinbau lenkten, bis die Nazis sie stoppten. Das ist offensichtlich ein Irrtum.
Aus dieser Erkenntnis entstand die Idee zu folgendem Dialog. Auf Wunsch seines Gesprächspartners fand dieses Interview des Captain via E-Mail-Austausch statt und erschien am 9. November 2020, exakt 82 Jahre nach dem Auftakt der Novemberprogrome in Deutschland und Österreich.
CAPTAIN: Die Nazis gingen 1933 in den deutschen Weingebieten mit dem Versprechen auf Stimmenfang, dass sie die Situation der Winzer verbessern werden, die in den Endjahren der Weimarer Republik große Not litten. In ihrer Dissertation wiesen sie nach, dass nach der Machtergreifung nicht mehr davon die Rede war. Mochten die Nazis keine Winzer?
KRIEGER: „Zumindest gilt dies für den Reichsbauernführer und Reichsernährungsminister Richard Walther Darré, der die Winzer entsprechend seiner Blut-und-Boden-Ideologie nicht einmal als vollwertige Bauern anerkennen wollte. So blieb etwa entgegen dem ausdrücklichen Versprechen der braunen Wahlkämpfer, die ausländische Weineinfuhr rigide abzudrosseln, die Weinzollsätze nach Hitlers Machtantritt unangetastet und die Weinimporte stiegen nach 1933 sogar wieder an. 1939 war das Großdeutsche Reich zum größten Weinimporteur der Welt aufgestiegen. Als sich bei den Winzern daraufhin Ungeduld und Enttäuschung breit machte, boten sich die jüdischen Weinhändler als Sündenböcke geradezu an. Man unterstellte ihnen, sich bewusst zurückzuhalten, um die arischen Winzer zu schädigen bzw. soweit mürbe zu machen, dass diese unter dem Mindestpreis verkauften. Die Logik dahinter lautete: Um die Winzernot zu beseitigen, müsse man zuerst die Juden beseitigen.“
CAPTAIN: War es denn tatsächlich so, dass ein Großteil des deutschen Weinhandels in jüdischen Händen lag?
KRIEGER: „Es lag im Interesse der braunen Machthaber, die Zahl der jüdischen Weinhändler und deren vorgeblichen Einfluss auf den deutschen Weinbau möglichst groß erscheinen zu lassen. Folglich sind alle diesbezüglichen Angaben, die nach 1933 in der gleichgeschalteten Presse verbreitet wurden, durchaus mit Vorsicht zu betrachten. Um so bedenklicher ist, wenn solche Zahlen heute ungeprüft aufgegriffen und veröffentlicht werden.“
CAPTAIN: Können Sie Beispiele nennen?
KRIEGER: „Beispielhaft möchte ich hier etwa auf den FAZ-Journalisten Daniel Deckers verweisen, der in einem Weinmagazin 2012 behauptete, dass 1933 ‚annähernd 60 Prozent des Weines, der in Deutschland gehandelt wurde, durch jüdische Hände ging‘. Der Autor Dieter Graff behauptet in einer 2011 erschienenen Publikation der ‚Gesellschaft für Geschichte des Weines‘ sogar: ‚1933 waren 80 Prozent des Weinhandels einschließlich der Kommissionäre, im Erzeuger- wie auch im Verbrauchergebiet, in jüdischen Händen‘. Wohlgemerkt: Beide Veröffentlichungen sprechen hier nicht etwa von der Pfalz oder anderen spezifischen Weinbauregionen, sondern ausdrücklich vom deutschen Weinbau insgesamt. Offenkundig geben beide Autoren hier unreflektiert maßlos überzogene Zahlen der NS-Propaganda wider, die die damalige Winzernot ursächlich einer vorgeblichen ‚Verjudung‘ des Weinhandels zuzuschreiben suchten. Eine Schuldzuweiseung, die 1938 beim Anschluss Österreichs erneut aus der Schublade geholt wurde. Da sprach man dann ebenfalls von 80 Prozent des Weinhandels, der vorgeblich in jüdischen Händen läge. Für die Pfalz und vielleicht ja auch Rheinhessen mag die zuvor zitierte Zahl von 60 Prozent des Weines, der durch vor 1933 jüdische Hände ging, möglicherweise realistisch sein. Wahrscheinlich kommen aber auch da wohl eher 40 Prozent der Wirklichkeit nahe. Doch etwa an Mosel, Saar und Ruwer konnte ich in den rund 180 Winzerorten nicht einmal 10 jüdische Weinhändler namhaft machen.“
CAPTAIN: Also war der Nazi-Terror gegen jüdische Weinhändler gar nicht so schlimm, weil es ja nicht so viele gab?
KRIEGER: „Um jegliches Missverständnis auszuschließen: Ich will den Antisemitismus der Nationalsozialisten und dessen Auswirkungen auf die jüdischen Staatsbürger, die im Weinhandel ihren Lebensunterhalt verdienten, nicht kleinreden. Im Gegenteil. Dass es gerade in der Pfalz und auch Rheinhessen in den Jahrzehnten vor 1933 einen blühenden jüdischen Weinhandel gegeben hat, der von den Nazis zerschlagen und dessen Angehörige mit brutalsten Mitteln aus ihrem Gewerbe gedrängt und in nicht wenigen Fällen später bestialisch ermordet wurden, steht außer Zweifel. Ich glaube sogar, durch die rückblickende Fixierung auf den Holocaust wird rasch übersehen, welches Unrecht und welche menschliche Qualen den Betroffenen gerade auch in den Anfangsjahren des Dritten Reiches zugefügt worden sind, wo vormals angesehene Bürger jäh aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wurden und zudem von jedem dahergelaufenen SA-Burschen angepöbelt oder sogar tätlich angegriffen werden konnten. Aber die Legende von der vorgeblichen Marktbeherrschung des jüdischen Weinhandels hält einer Überprüfung nicht stand.“
CAPTAIN: Wie steht es denn mit der Behauptung, dass die Nazis die Juden 1933 sofort aus dem Weinhandel ausgeschaltet hätten?
KRIEGER: „Richtig ist zwar, dass auch im Weinfach jüdische Berufsangehörige meist noch im Frühjahr 1933 ihre Vorstandsposten in den einschlägigen Standesvertretungen räumen mussten. Die legislativen Maßnahmen des NS-Regimes zur Ausschaltung respektive zum Verbot oder zur Arisierung jüdischer Gewerbebetriebe setzen allerdings erst später im Nachgang der Reichspogromnacht ein. So berichtete etwa der Regierungspräsident in Koblenz im Dezember 1935 an das Reichs- und Preußische Innenministerium in Berlin mit zwiespältiger Befriedigung, dass ‚der jüdische Weinhandel, der in früheren Jahren eine große Menge Trauben aufgekauft hat, in diesem Jahre überhaupt keine Angebote abgegeben‘ habe, so dass ‚ein gewisser Ausfall an Käufern eingetreten sei, für den ein Ausgleich zunächst nicht gefunden werden konnte‘. Und noch im Monat darauf, also im Januar 1936, berichtete der Landrat in Zell dem Koblenzer Regierungspräsidenten, ‚dass noch immer ein großer Teil arischer Firmen mit Juden Geschäfte macht.‘ So sei ‚beispielsweise bei der Polizeiverwaltung Zell im Verlaufe einer Vernehmung festgestellt worden, dass das staatliche Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Trier noch ganz kürzlich ein Fuder Wein an die jüdische Weinhandlung Bender in Zell verkauft hat.‘ Mit Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Trier ist natürlich nicht die noch heute bestehende Schule, sondern das gleichnamige Weingut gemeint. Auch die Staatspolizeistelle Koblenz gestand noch am 5. Februar 1936 offiziell ein, dass ‚es nicht gelungen sei, die Juden völlig aus dem Weinhandel auszuschalten.'“
CAPTAIN: Woher kommt diese offensichtliche Fehleinschätzung über die Macht des jüdischen Weinhandels vor der Nazizeit?
KRIEGER: „Diese entstand vor allem im Zusammenhang mit den ersten Veröffentlichungen zur Entstehungsgeschichte der ‚Deutschen Weinstraße‘, wo als Grund für die ungewöhnliche Werbeinitiative des pfälzischen Gauleiters Josef Bürckel stets auf die vorgeblich bereits 1933 einsetzende behördliche Ausschaltung des jüdischen Weinhandels durch die Nationalsozialisten verwiesen wurde. Insbesondere auch die erst 2015 vom Südwestfernsehen gedrehte Dokumentation ‚Der Coup des Gauleiters‘ zum 80-jährigen Jubiläum der ‚Deutschen Weinstraße‘ greift ausführlich diese Argumentation auf, wobei anhand eines Fallbeispieles von einer bereits 1934 amtlich angeordneten Geschäftsschließung einer jüdischen Weinhandlung berichtet wird. Nachdem der jüdische Weinhandel mit dem Regierungsantritt Hitlers 1933 umgehend zum Erliegen gekommen sei, so die auch hier kolportierte These, seien die braunen Machthaber gezwungen gewesen, alternative Absatzmethoden zu entwickeln, woraufhin der pfälzische Gauleiter auf die bereits zuvor von Anderen entwickelte Idee zur Einrichtung einer Weinstraße verfallen wäre. So plausibel diese Gründungslegende vordergründig anmutet, so wenig hält diese indes einer näheren Überprüfung stand.“
CAPTAIN: Was bewegt Sie, diesen Irrtum zurechtzurücken und wem ist damit geholfen?
KRIEGER: „Als akademisch ausgebildeter Historiker ist es zunächst einmal grundsätzlich mein Ziel und meine Aufgabe, anhand kritischer Quellenforschung historische Fakten zusammenzutragen und auszuwerten. Dies gilt umso mehr für Themenfelder, die – wie etwa der Weinbau im Nationalsozialismus - von der historischen Forschung bislang weitgehend vernachlässigt worden sind und wo nicht allein das Kapitel des jüdischen Weinhandels im NS-Staat dringend einer wissenschaftlichen Aufarbeitung bedarf. Die Betonung muss hierbei allerdings auf ‚wissenschaftlich‘ liegen. Ansonsten besteht – wie gerade dieses Beispiel anschaulich zeigt – die Gefahr, dass unfreiwillig Nazi-Propaganda in bester Absicht betrieben wird.“
Das Trierer Nationalblatt schrieb darüber am 11. November 1938: „So ist es denn auch in Trier und überall im Trierer Lande im Laufe der Nacht zum Donnerstag und in den frühen Morgenstunden des gestrigen Tages zu spontanen Kundgebungen gegen Juden gekommen, die zum Teil Zerstörung am jüdischen Besitz nach sich zogen. In Trier selbst wurden die Fensterscheiben jüdischer Geschäfte eingeschlagen, die Auslagen durcheinandergeworfen und auch die Einrichtungen zum Teil erheblich in Mitleidenschaft gezogen. … Auch in einzelne Privatwohnungen jüdischer Hetzer und Betrüger ist die Menge eingedrungen und hat auch hier die Wohnungen zum Teil zerstört. … Nicht Unterweltbanden haben Mord und Raubzüge im Schutz der Nacht veranstaltet, sondern eine verständliche und schon lange erwartete und berechtigte Erregung der deutschen Bevölkerung unserer Stadt … hat sich gegen verbrecherische Artfremde gewandt.“ …