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Ein Satz, den der Captain in Deutschland selten (eigentlich nie) hört: „Ich mache mir mal jetzt ´ne Flasche Wein auf“.
Fraglos wird dieser Satz fallen, unter Weinenthusiasten sowieso. Aber obwohl der Captain viele besessene Weintrinker kennt, hat der Captain diesen Satz aus deutschem Munde noch nie gehört. Einfach mal ne Flasche köpfen. Einfach so. Aus reinem Spaß.
Der Captain durchkämmt die Weinforen als aufmerksamer Beobachter. Viele weinbegierige Leute schreiben da über ihre Erfahrungen mit dem besten aller Lebensmittel. Und dennoch sind es seltsam geschlossene Gesellschaften mit ein paar hundert ständigen Teilnehmern in einem 81-Millionen-Einwohner-Land. Wer mal ein italienisches Forum besucht und die Teilnehmerzahl sieht, der weiß, was der Captain meint.
Dem Captain fällt auf, dass die Deutschen in den deutschen Foren, ebenso in den Medien und anderen Lebenslust-Transportmaschinen, einen Anlass suchen, einen Anlass brauchen, ein Flasche Wein zu öffnen. Der simpelste Anlass ist das Wochenende.
Jeden Freitagabend werden unzählige Flaschen abfotografiert und stolz veröffentlicht; Flaschen, die von Freitagabend bis Sonntagmittag geleert werden. Das könnte aber auch Mittwochabend geschehen. Oder Montag. Einen großen Unterschied macht es nicht. Denn es ist nicht anzunehmen, dass der wohltemperierte Weintrinker den Wochend-Vollrausch sucht.
Ein Königreich für einen Grund
Es muss also einen Grund geben, eine gute Flasche Wein zu öffnen. Einen guten Grund. Oder einen belanglosen Grund. Aber einen Grund. Einfach Lust zu haben, scheint dem deutschen Weintrinker nicht gegeben. Die Gründe können vielfältig sein, aber sie hängen meist mit der Wochen- oder Jahreszeit zusammen. Der „Wochenendwein“, der „Terrassenwein“, der „Kaminwein“, der „Spargelwein“, der Wasweißichwein. Gibt es einen Kartoffelwein? Nein? Und das obwohl die Knolle das Hauptnahrungsmittel ist. Ein Chipswein wäre angebracht. Aber zu Chips trinkt man Bier.
Jetzt gerade ist es der Spargelwein. Doch noch nie zuvor war derart zu spüren, dass diese Klassifikation vielen Weintrinkern inzwischen gewaltig auf die Nerven geht. Und so war dieses Jahr das erste Mal Widerstand gegen den Spargelwein zu fühlen, Ablehnung, Verhöhnung. Und das ist gut so.
Es gibt keinen Spargelwein
Denn warum sollte gerade dieses unbestritten interessante und interessant kombinierbare (der Captain hält Spargel alleine für eine unzureichend befriedigende Speise) Frühlingsgemüse einen eigenen Wein benötigen? Ein Spargelwein, sollte es ihn geben, könnte genauso ein Rote Beete- (für Ösis: Rote Rüben) Wein sein. Oder ein Kohlrabiwein, ein Selleriewein, ein Schwarzwurzelwein.
Ein Spargelwein muss – so kann man dann in den Foren lesen – ein Silvaner oder ein Sauvignon sein. Andere sagen, ein Riesling, ein Traminer.
Die Österreicher trinken dann einen Grünen Veltliner zum Spargel. Neulich riet einer zu einem gekühlten Pinot-Noir. Was kommt raus? Man kann also alles zu Spargel trinken. Und das war klar. Es passt, was schmeckt. Und eigentlich passt zu Spargel jeder Weißwein. Das führt den Spargelwein ad absurdum, macht ihn zu einem weiteren dämlichen Anlasswein.
Was macht einen Wein zum Terrassenwein? Dass man ihn nur bei Hitze auf Balkonien trinkt? Dass er leicht und bekömmlich ist?
Ein „lecker Möselchen“ mit 8 % Alkohol und ordentlicher Restsüße? Gut gekühlt? So ein Wein kann auch abends vor der Glotze voll Spaß machen. Und zu ordinären Balsamico-Chips des Schweizer Herstellers Zweifel. Der Captain liebt diese Kombi. Und trinkt auf der Terrasse einen Coche-Dury mit den Maaten. Auch bei 35 Grad im Schatten. Eis im Kühler, ein bisschen Frevel bei der Trinktemperatur. Schmeckt prima.
Das gleiche gilt für den Kaminwein. Wieder „lecker Möselchen“. Aber auch Lynch Bages 1999 aus der Magnum. Mit und ohne Kamin. Scheißegal. Man merkt, worauf der Captain hinauswill. Nicht der Anlasswein ist absurd, sondern der Anlass, einen Anlass suchen zu müssen. Wen interessiert`es?
Sünde und Vergebung
Diejenigen, die Weintrinken zwar im Alltag praktizieren, aber immer noch einen Anlass brauchen, um sich eine Flasche Wein aufzumachen. Und dass hat mit Genuss und Bestrafung zu tun, mit Sitte und Religion. Eine Therapie gegen Anlassweine wäre, den Anlass für Anlassweine einfach zu negieren; aus reiner Lust, aus moralbefreiter Hingabe zu trinken. Und Wein aus dem Bestrafungs-Belohnungs-Kreislauf zu befreien.
Im Süden Europas trinkt man Wein einfach so. Zum Essen. Oder in der Freizeit. Selbstredend gibt es auch Anlassweine, aber das sind dann besondere Weine. Und diese Anlassweine sollte man sich schon wegen der Vorfreude nicht nehmen lassen. Der „Geburtstagswein“ soll bleiben (und im Keller gedeihen); Terrassen-, Kamin-, oder Spargelwein müssen die Bühne verlassen. Sonst bleibt Wein immer etwas Besonderes. Das ist er nicht. Es mag besonderen Wein geben. Wein selber aber gehört zum Leben, wie jeder Genuss, der eigentlich nicht die Welt kostet.
Und deswegen gibt es hier am Schiff auch keinen „Spargelwein“. Der Captain trinkt zu Spargel kalten Cranberry-Saft mit einem Schuss Gin. Das kombiniert gigantisch gut. Keine Ahnung warum.
Der Zahlmeister raucht beim Korrigieren und Verlinken dieser Geschichte die grünliche und sehr leichte Anfängerzigarre Bianco Classic Candela, weil sie irgendwie zum Spargel passt und auch am Vormittag gepafft werden kann.
… wir brauchen auch keinen Anlass für eine Flasche zu öffnen – bei uns ist eher die Frage : was ist kaltgestellt ?!
Ich habe unzählige Flaschen Whisky mit dem Gedanken „Den mach ich mal zu einem besonderen Anlass auf“ gekauft. Wenn ich jetzt so die Regale anschaue, denke ich „Soviele besondere Anlässe wird es in meinem unbedeutenden Leben gar nicht geben“.
Zum Glück habe ich diese Systematik nicht auf Wein übertragen. Hier wird gekauft, worauf ich Bock und Dorscht habe.
Und trotzdem trinke ich meinen Wein am liebsten am lauen Abend auf der Terrasse und er kann gar nicht süß genug sein.
Das bringt meistens einen Moment der Glückseligkeit.
Was ein Quatsch. Diese Weinkategorisierung ist eine Erfindung der Journaille und Marketinginstrument und hat nichts mit dem „anlassbedürftigen Deutschen“ zu tun.
Hallo zusammen,
auf den Kern reduziert ist dies (zu Recht) wieder das Thema, dass „die Deutschen“ (so es den Pauschaltypus denn gibt) eben lieber den letzten Cent für das nächste Auto sparen, als mal beim Genuss „über die Stränge“ zu schlagen.
Einen guten Wein einfach so aufzumachen, also ohne Anlass, erscheint vielen maßlos, ist mein Eindruck.
Meine persönliche Vermutung ist zudem, dass viele Leute einen Anlass vorschieben, weil regelmäßiger Weinkonsum insbesondere im akademischen Umfeld fast schon in Richtung Alkoholproblem einsortiert wird.
Grüße!
Wine Nerd
Gestern mit einem Händler über diesen Artikel und „Spargelweine“ gesprochen. Klassischer Tenor: „Ich muss das machen, weil es Umsatz bringt. Die Leute erwarten das.“
Auf längere Sicht halte ich diese Argumentation für Quatsch, weil „Spargelweine“ an sich nun mal Quatsch sind. Alle machen Qutasch, also mache ich ihn auch, ist halt kein gutes Argument.
man schaue sich doch nur die Kultur in den Büros an…Alkohol ist verboten und geächtet…kaum findet sich ein Anlass (Geburtstag, Einstand, Ausstand, Wechsel, wasauchimmer) wird gesoffen was das Zeug hält…
Das kommt wie eine Ode an den Genuss daher (der ich mich anschließen könnte) … hat zugleich aber mal wieder so etwa Händler-Lobby-mäßiges, nach dem Motto „Wir müssen etwas dagegen tun, dass die Leute nur zu bestimmten Anlässen und dann billiges Zeug trinken!“
Wenn die Leute einfach so trinken, was das Zeug hält, braucht’s kah Anlassgeschäft mehr.
Gefühlte tausendmal diskutiert, aber natürlich sind die Deutschen überweigend Anlaß-Weintrinker. Die als ursächlich hierfür beschriebene mangelnde Lust am Genuss lässt sich, meiner Meinung nach, auf den lustfeindlichen Protestantismus (Essen dient einzig und allein der Nahrungsaufnahme – daher auch das Nord-/Süd-Gefälle) zurückführen und den Umstand, dass Wein als Alltagsnahrungsmittel seit der sog. kleinen Eiszeit durch Bier abgelöst wurde, anders als bspw. in den südl. Ländern.
Andersrum wird ein Schuh daraus… Wenn ich Wein kaufe, brauche ich eine Idee, bei welcher Gelegenheit, ich diesen Wein auf den Tisch stellen soll!
Ich brauche keinen Grund, eine Flasche zu öffnen, aber ich brauche eine Idee, WELCHE Flasche ich öffnen könnte… Ein Plädoyer für den Sofa-Wein: http://shop.vipino.de/pages/weintypen/collections/sofa-wein