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Deutscher Wein: Experimente bitte!

Höher und höher: Christian Ress in einem seiner Weingärten...
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Der Captain freut sich über die tollen Lagenrieslinge und Spätburgunder, die er auf den Kombüsentisch gestellt bekommt. Doch es fehlen Experimente. Dirk Würtz hat jetzt für Balthasar Ress einen Wein kreiert, der Grenzen sprengt. Weiter so!
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Wein ist ein unglaubliches Lebensmittel. Vielfältig, haltbar, lustbetont und – wenn man das glauben will – in Maßen sogar gesund. Doch Wein kennt Grenzen.

Grenzen, die den Winzern und Weinproduzenten vom Gesetzgeber oktroyiert werden. Das hat einen guten Grund. Die vielen Weinskandale der letzten dreißig Jahre haben bewiesen, dass Wein fast grenzenlos manipulierbar ist. Dem Panschen war vor den strengen Auflagen kein Riegel vorgeschoben. So kam es, dass die Winzer nach all den Scherbenhaufen die strengen Auflagen nicht nur begrüßten sondern mancherorts sogar beklatschten. Man stelle sich ähnliche Interventionen bei der Fleischindustrie vor. Und deren Reaktion.

Die strengen Auflagen gehen einigen Winzern sogar noch zu wenig weit und so kommt es in Sachen Rebensaft und seiner Herstellung immer öfter zum Glaubenskrieg zwischen radikalen Anhängern archaischer Weinbaumethoden und den Vertretern der Weinindustrie, die maschinell maßgeschneiderte Weine auf die Flasche bringen, die kaum noch einen Jahrgangsunterschied kennen und so einheitlich wie möglich schmecken, damit man aus ihnen eine verlässliche Marke kreieren kann.

Von Weinmachern für Weinmacher

Zwischen diesen Fronten können sich aber kleine, fast schon unglaublich anmutende Experimente verstecken. Weine, die von etablierten Winzern in einer extrem geringen Stückzahl gefertigt werden und die Branche zum Nachdenken bewegen sollen.

Diese Weine sind eigentlich von Weinmachern für Weinmacher gemacht. Und für ein paar Weinenthusiasten, die Experimente ohne Vorbehalt verfolgen. Ich habe zwei dieser Experimente ausfindig gemacht und möchte das erste heute hier vorstellen. Auch wenn ich weiß, dass nicht jeder interessierte Leser eine Flasche ergattern wird.

Das Profil schärfen und Neues wagen

Der Wein kommt vom Weingut Balthasar Ress aus Hattenheim im Rheingau. Der Rheingau zählte in den letzten Jahren nicht zu den innovativen Regionen des deutschen Weinbaus. Umso überraschender, was Kellermeister Dirk Würtz seit einigen Monaten unter der Obhut von Gutseigentümer Christian Ress veröffentlicht. Etwa gewaltige, auf feine Mineralität getrimmte Rieslinge. Würtz schärfte das Profil von Balthasar Ress, das Weingut zählt jetzt – trotz enormer Zahl abgefüllter Flaschen – zur Avantgarde der deutschen Weinszene.

Würtz, ein versierter Beobachter der deutschen Weinszene, zudem noch als Blogger überregional bekannt und journalistisch tätig, hat für Ress unter anderem auch einen Weißburgunder abgefüllt, den er als einfachen Landwein brandmarken muss, da er in kein Schema regionaler Bezeichnungen passt.

Zudem verwendet Würtz die sonst bei Champagner gebräuchliche Bezeichnung „Blanc de Blancs“, was einen versierten Weintrinker durchaus verwirrt und neugierig macht. Das absolute Weiß – was ist damit gemeint?

Der spezielle Geschmacksmoment

Würtz und Ress ging es bei diesem nur in geringer Flaschenzahl erhältlichem Experiment um einen Geschmacksmoment, den vor allem die Fans großer weißer Burgunder aus Frankreich kennen. Diese einzigartige Eleganz, die aus der Kombination von Erfahrung, Terroir und Holzeinsatz entsteht – im Holzeinsatz sind die Franzosen nach wie vor ungeschlagen. Dieser Moment wird von Önologen gerne als „Diesel“ beschrieben. Damit ist die Cremigkeit des Weins gemeint. Und auch ein leichter, mit dem Alter einhergehender Geruch nach Petrol.

Würtz ließ den spontan vergärenden Saft acht Tage ohne Luftzufuhr auf der Maische. Andere Weinmacher hätten ihn dafür wohl für verrückt erklärt. Danach füllte er ihn ohne jede Schönung und ungefiltert in neue Tonneau-Fässer aus amerikanischer Eiche; kleine Holzgebinde mit einem gewichtigen Toasting (die geschmacksbildende Räucherung der Hölzer), das den Wein in anderen Fällen – wie wir es bei kalifornischen oder australischen Chardonnays als Verheerung kennen – wohl erschlagen hätte.

Bei diesem Wein fanden aber beide Extreme zueinander, standen bald im Gleichgewicht. So entstand ein knochentrockener, in jeder Hinsicht und Erscheinung gewaltiger Wein, der nach Paprika, etwas Mango, Tee und Vanille schmeckt, aber über all den Komponenten eine kühle, sättigende und an Gletschereis erinnernde Eleganz stellt, die in Deutschland wohl kaum ein Winzer je einem Wein aufzwingen konnte.

Dieser Weißburgunder Blanc de Blancs hat nichts mit dem Rheingau, nichts mit der Region und – so sagt Würtz – auch nichts mit der Rebsorte zu tun.

In Sachen Rebsorte widerspreche ich und sage, dass ein Sauvignon oder Muskateller bei gleicher Kellertechnik einen anderen Wein ergeben hätten. Einen Wein, der nicht hätte leisten können, was der zur Neutralität neigende Weißburgunder möglich machte.

Doch die eigentliche Provokation, die dieser Wein und seine beiden Schöpfer auslösen, ist das Verwerfen der vielgepriesenen Regionalität. Und dass sie aus perfektem und gesund gereiftem Traubenmaterial einen Wein keltern, der seinen Charakter erst bei der Herstellung im Keller bekommt.

Derartiges gilt bei den Vertretern der neuen Vin-Naturel-Bewegung als Kardinalsfehler des Weinbaus. Als Sünde, die solchen Wein in das Reich der gemachten Weine (also der Industrieweine) verbannt. Der Wein soll von der Natur geformt sein, fordern sie. Und vom Winzer lediglich in die Flasche begleitet.

Dem Pferd die Scheuklappen abnehmen

Würtz und Ress beweisen hingegen, dass man dem Pferd die Scheuklappen abnehmen muss, damit es neue Wege finden kann, damit das Kulturgetränk Wein wieder mehr Freiheit und Bereicherung erfährt.

 

Datum: 24.4.2013 (Update 21.1.2015)
 

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