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Der Weingut-Retter

Pfälzer mit Mission: Christoph Hinderfeld
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Der Captain trank einen grandios-disruptiven Frankenwein von der Rebsorte Gelber Muskateller. Aus dem Betrieb des Finanzexperten Christoph Hinderfeld, der sich auf die Sanierung von Weingütern spezialisierte. Er dürfte bald mehr zu tun bekommen.
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Gestern telefonierte der Captain mit einer Winzerin im Rheingau, die ihm von einem verlustreichen Geschäft berichtete. Weil jetzt gerade Füllzeit ist und im Keller Platz für die kommende Lese geschaffen werden soll, geht ein großer Teil des Lagerbestands, der normalerweise in die Flaschen gluckern würde, als sogenannte Fassware an die Weinindustrie. Wobei „Fassware“ für Außenstehende fast schon romantisch klingt. Die Realität ist brutaler. Tatsächlich kommt ein großer Tankzug auf den Hof gefahren und bringt den 2019-Jahrgang zu Aldi Nord. Die ganze Mühe im Weinberg war umsonst. Das gute Zeug wird mit namenloser Massenware verquirlt und landet für 4 Euro im Regal. So schaut’s aus.

Keine schöne Einleitung für eine neue Wein-Entdeckung, aber das hältst du aus. Beim Captain gibt’s eben kein weichgespültes Weingesülze. Jetzt aber zum Wein, dem herrlichen Mainstockheimer Gelben Muskateller aus einer Rebsorte, die unter Kitschverdacht steht, aber diese Erwartung hiermit grandios enttäuscht. Liebevoll gelesen, gekeltert und abgefüllt im Weingut Dr. Heigel in Zeil am Main, wo das Anbaugebiet Franken an seine Ostgrenze stößt. Und so schmeckt dieser Wein: Im Glas kräftiges Gelb. In der Nase würzig nach Birnenschale, ein bisschen Zigarettenrauch, Boskoop-Apfel, Orangenschale, Muskat. Im Mund knochentrocken (also fränkisch-trocken), herrlich würzig, erdig und zartbitter. Ich schmecke eine harte Birne, Sternanis, feste grüne Weintrauben, unreifen Pfirsich, Brennnesseltee. Das klingt karg und ist es auch, aber genau dies ist der Zauber dieses Weines, der sich jedem Kitschverdacht (unter dem seine Rebsorte generell steht) konsequent entzieht und dabei großartig zeigt, was Muskateller kann, wenn man ihn komplett entkleidet. Dieser Wein ist weder leicht (13,5% Vol.), noch anschmiegsam, sondern ein Lehrstück für fortgeschrittene Weingenießer und dafür lobenswert.

Das Weingut Dr. Heigel gehört einem Mann (und seinen Kapitalgebern), den man als Weingutsretter bezeichnen könnte, weil er a) von Jugend an mit Wein hantierte und einfach viel davon versteht, und b), weil er mit Geld umgehen kann. Solche Leute dürften bald noch viel gefragter sein, als sie ohnehin schon sind, glaubt der Captain, und muss wohl nicht erklären warum. Siehe Einleitung oben.

Christoph Hinderfeld ist multipler Unternehmer und Gründer der → DWE Weingüter Entwicklungs AG, einer Kapitalgesellschaft in Wachenheim/ Pfalz, die Betriebe kauft, saniert und weiterverkauft, wenn sich ein Interessent findet. Eine Art BlackRock der Weinszene. In Berlin gehört Christoph die → Arminius-Markthalle im Stadtteil Moabit, die für die einen als gelungenes Beispiel wiederbelebter, historischer Bausubstanz gilt und für die anderen als erschreckendes Mahnmal der Gentrifizierung herhalten muss. Man kann’s nicht jedem recht machen. Auch kleine Bierbrauereien, die aus eigener Kraft den Wandel nicht schaffen, hat Hinderfeld im Fokus.

Der Captain fragte Christoph: Wie ist die Lage in den Anbaugebieten? Hinderfeld: Es ist ruhig. Man wartet traditionell, bis gar nichts mehr geht und die Probleme unübersehbar sind. Die Einbindung in lokale Strukturen behindert den pragmatischen Umgang mit betrieblichen Herausforderungen. Der Captain übersetzt das Managersprech aus der Finanzwirtschaft: Der Winzer fürchtet Klatsch im Dorf und Gesichtsverlust, weshalb er die Krisenbewältigung scheut, bis es zu spät ist.

Ich beende dieses bedrückende Szenario mit einem Zitat von mir selbst, das ich mitten im Lockdown an die Winzer schrieb: Es sind harte Zeiten angebrochen, aber du erzeugst ein Produkt, das die Laune hebt. Deine Weine werden jetzt dringend gebraucht. Sei stolz und blicke guten Mutes in die Zukunft! Es gibt 1.000 Gründe, jetzt zu verzweifeln, aber nicht diesen: Du bist Winzer! Das tippt der Captain aus voller Überzeugung und macht jetzt weiter mit der einzigen Maßnahme, die wirklich hilft: trinken.

 

Datum: 15.7.2020
 

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