X
Newsletter
X
X
Login
Passwort vergessen?


Konto erstellen

Das Ende der Molekularküche

Kommentare
Ähnliche Weine
Ähnliche Artikel
Der Captain hat gerade keine Lust über Wein zu schreiben. Und auch nicht über Politik und Gurken. Doch er zeigt Genugtuung über das Ende der Molekularküche. Denn die hat uns das Kochen verlernt.
Anzeige

Juan Amador muss sein Restaurant in Langen bei Frankfurt schließen. Für die meisten Matrosen wird das keine Rolle spielen. Und die meisten deutschen Feinschmecker werden von Amadors Entschluss, seine Art Küche in einem seiner drei anderen Restaurants fortzuführen auch eher teilnahmslos aufnehmen. Amador war längst nicht mehr greifbar. Immer unterwegs, Botschafter einer Kulinarik, die man eng mit der Molekularküche in Verbindung bringen kann. Auch wenn Amador das immer in Abrede stellte.

Wie konnte das so schnell gehen? Was sind die Gründe dafür, dass die vor zwei Jahren noch so hochgerühmte Molekularküche zuerst dem Comeback der Küchenklassik und dann einer neuen Regionalküche weichen musste? Die Molekularküche hat zehn Jahre gebraucht, um ein echter Hype zu werden. Und etwas über ein Jahr, um von der Bildfläche zu verschwinden. Ihr bester Vertreter, der Katalane Ferran Adriá, hat das am schnellsten erfasst und sich rechtzeitig von der Bühne verabschiedet. Kluger Mann.

Die Molekularküche war – kurz zusammengefasst – eine Küche, die von zwei Physikern (Nicholas Kurti und Hervé This) und zwei Köchen (Ferran Adriá und Michel Bras) entwickelt wurde. „Die Molekularküche setzt Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Untersuchung biochemischer, physikalischer und chemischer Prozesse bei der Zubereitung von Speisen und Getränken um, die mit der Änderung von Texturen einzelner Produkte oder allgemein mit den Wechselwirkungen zwischen physikalisch-chemischen Prozessen und Veränderungen eines Produkts zu tun haben“, sagt der Autor und Chemiker Peter Barham in seinem Buch über diese Küchenrichtung. Und so kompliziert wie das klingt, so kompliziert war die Molekularküche auch.

Eine Aufführung, ein Theaterstück

Sie war eine Aufführung, ein Theaterstück. Der Captain kann sich noch gut erinnern, als er bei Adriá zehn Streifen fast farbloses Gelee vorgesetzt bekam. Jeder Streifen schmeckte nach einem anderen gegrillten Gemüse. Das war gigantisch. Ebenso gigantisch war eine heiße Wurst vom Kraken, die zur kleinen Pralinen gebunden ein kaltes Basilikumeis enthielt. Was für eine Gaumenfreude. Der Hammer!

Die Molekularküche war notwendig. Sie löste in den 1990er Jahren die müde gewordene Nouvelle Cuisine ab, die seit den frühen Siebziger Jahren in unzähligen regionalen Abwandlungen weltweit das vornehme Essen prägte.

Die Nouvelle Cuisine wiederum löste die seit fast 150 Jahren dominierende Hochküche nach Auguste Escoffier ab. Jene Küche, die Frankreich als kulinarischer Nabel der Welt definiert hatte. Doch das wollte man am Ende der Wirtschaftswunderjahre nicht mehr essen. So waren Reste von Escoffier noch bis in die 1980er Jahre im Londoner Restaurant „Grill“ des vornehmen Savoy-Hotels zu besichtigen: fette Pasteten aus Blätterteig und feinem Fleisch, trübe Brühen mit Wachtelstücken, große Spieße mit Kartoffelkroketten, die wiederum mit Leber gefüllt waren, Eisbomben mit Schokoladenglasur. Escoffiers Küche und die Molekulargastronomie trennen gerade 30 Jahre, zwischen ihnen liegen aber Jahrhunderte. Das zeigt die Notwendigkeit der Molekularküche. Sie war das andere Extrem. Genauso herausfordernd, luxuriös und provokativ, wie die elaborierte Gastronomie à la Escoffier.

Beide Küchen haben uns das Kochen verdorben. Niemand kochte wie Escoffier. Und keiner wie Adriá. Es waren Theaterstücke; Escoffier die Inszenierung der Maßlosigkeit, die von den Franzosen im Film „Das große Fressen“ beerdigt wurde, Adriá ein moderner Theatermacher, der Experimente zulässt – und auch Obszönitäten, so lange diese symmetrisch aufgestellt werden und dabei gut aussehen.

Konnte keiner kochen

Die Nouvelle Cuisine konnte man immer nachkochen. Deswegen ist sie der eigentliche Gewinner im Wettstreit der Küchen. Es ist für uns kein Problem, ein gutes Stück Fischfilet zu kaufen, es auf der Haut zu braten und die andere Seite ständig mit heißem Fett zu beträufeln. Es ist kein Problem, Kartoffeln mit Quark zu füllen und dann im Bräter zugedeckt in Olivenöl und Meersalz zu rösten. Es ist kein Problem, für eine Suppe Karotten und Ingwer zu kombinieren (ein klassisches Gericht der so genannten Fusionsküche, die Verbindung der Nouvelle Cuisine mit dem Multikulturellen). Die Nouvelle Cuisine hat uns geprägt. Bewusst die Älteren. Unbewusst all unter Vierzig. Die Molekularküche wird uns nichts mitgeben, außer den Schokokuchen, der innen heiße Schokolade trägt, die auf Anstich dekorativ herausrinnt.

Nein, ein bisschen mehr wird schon bleiben. Etwa das Anrichten als Cappuccino im Tumblerglas. Oder das Räuchern am Tisch unter dem Glassturz. Aber es wird keine Küche sein, die man zu Hause nachkochen will. Und das ist der größte Nachteil. Man kann auch sagen, dass die Molekularküche am Untergang des Kochens schuld ist; daran, dass so viele Herde heute kalt bleiben.

Denn viele Menschen sehen zwar fasziniert zu, was Starköche wie Ferran Adriá, Heston Blumenthal, oder auch Juan Amador da fertigen – vor der Kamera oder im Restaurant selbst. Nur selber machen will das keiner. Zu viel Aufwand.

Selber machen

Selber machen, wenn überhaupt, wollen die Leute das, was Jamie Oliver kocht. Oder Tim Mälzer. Deswegen sind diese beiden Köche so viel bedeutender als die Avantgarde der Molekularküche. Zu Zeiten der Nouvelle Cuisine gab es da keine Teilung: Bocuse selber stellte sich ins Fernsehstudio und erklärte den Zusehern, wie man ein Kalbsfilet mit Morcheln und wildem Spargel macht, wie einfach gute, aber auch besondere und kulturell hochwertige Küche geht.

Und das können weder Oliver, Mälzer oder die anderen Kochshow-Kinder: Lust auf das Besondere machen. Und gleichzeitig nachvollziehbar bleiben. Vielleicht können das dann die Vertreter der „Neuen Regionalen“. Denn irgendwann muss der Herd auch wieder heiß werden. Täglich. Und es muss nach gutem Essen riechen. Und nicht nach Grünkohl oder Mikrowellenpizza. The Revolution will not be televised.

 

Datum: 30.5.2011 (Update 2.9.2014)
 

Aktuelle Weinempfehlungen