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Brancaia: die dunkle Seite der Toskana

Mystisch beleuchtet: Weinmacherin Barbara Widmer.
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Der Captain trinkt einen okkulten Chianti-Classico, der ein bisschen Angst macht, wenn man die dunkle Tiefe mancher Weine der Toskana nicht gewohnt ist.
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Manchmal reißt sich der Captain ein Bein aus, um ein gutes Winzer-Foto zu veröffentlichen, wenn er über einen Wein schreibt. Heute ist meine Auswahl größer. Warum das so ist, erfährst du gleich.

Dieses Glück ist selten. Bei seiner Fotorecherche wird er gelegentlich auf Facebook fündig, wo es lebensnahe Schnappschüsse gibt. Manchmal auf Instagram. Fast nie auf den Webseiten der Winzer, wo es meist nur verkrampfte Ich-schau-jetzt-mal-ganz-heroisch-Fotos gibt. Ist in Deutschland besonders schlimm. In Frankreich gibt es gar keine Fotos, außer Blätterwerk und ein bisschen Horizont, in Österreich oft sehr charmantes Bildmaterial. Dort herrscht offenbar ein entspanntes Verhältnis zur Selbstdarstellung.

Geradezu ideal ist es, wenn das Weingut von einem Werbefachmann gegründet wurde. Der denkt die Vermarktung der Produkte und ihrer Hersteller gleich mit. Im Fall des Fast-schon-Chianti-Classico-Klassikers Brancaia (gegründet 1981) trifft das haargenau zu.

Der Zürcher Bruno Widmer war Europa-Chef des Werberiesen Young & Rubicam und Pionier der strategischen Planung, als noch wild draufloskreiiert wurde. Hauptsache kreativ. Während eines Familienurlaubs in der Toskana kam plötzlich die Idee: Kaufen wir uns ein Bauernhaus!

Erst als er merkte, dass zur Immobilie auch ein paar Hektar Rebflächen gehören, beschloss Widmer Winzer zu werden, aber richtig. Ein blutjunger önologischer Berater (heute berühmt: Carlo Ferrini, Spitzname: „Mr. Merlot“) wurde engagiert, 1983 die ersten Trauben gepresst und Fässer bei einem benachbarten Winzer befüllt (naja, nicht bei irgendwem, sondern bei Mazzei) und bald schon gewann ein Wein des Hauses eine wichtige Auszeichnung. Was für eine Bilderbuchkarriere!

Es geht noch weiter: Widmers Tochter Barbara, die als Jugendliche die Sommer im zweiten Wohnsitz der Familie verbrachte, infizierte sich ebenfalls mit dem Weinvirus und studierte Önologie. Heute ist sie Chefin der auf drei Betriebe angewachsenen Brancaia-Gruppe, deren Flaschen man dank des vom Vater erdachten Designs schon von Weitem erkennt.

Eine davon ist der Chianti Classico Riserva von Brancaia aus viel Sangiovese- und etwas Merlot-Trauben, die in den Nachbargemeinden Castellina und Radda wuchsen, eine berauschend schöne und sehr hügelige Gegend mit atemberaubenden Höhenunterschieden, durch die der Captain immer wieder mit einem ganz kleinen Mietwagen steuert, damit er in den engen Gassen der Dörfer nicht hängen bleibt. Es ist ein ungewohnt dunkles Geschmacksbild, fast schon okkultisch, das man bei Weinen von hier nicht immer, aber regelmäßig auf der Zunge spürt. Eine mystische Tiefe, erdig und ein bisschen Angst einflößend wie die Vorstellung von einem schwarzen Loch im Raum, wenn man nicht darauf vorbereitet ist. Ich mag diesen Geschmack. Und du vielleicht auch. Dieser Wein ist ein moderner Chianti Classico aus 80% Sangiovese und 20% Merlot, der 16 Monate im Barriquefässern reifte, davon ist die Hälfte neu. Dunkles Rubinrot im Glas. In der Nase viel Sauerkirsche und Marzipankonfekt mit dunklem Schokoladeüberzug, dann Kakaopulver, Lakritze, Fliederblüten. Im Mund pikant-würzig, erdig und dunkelfruchtig. Ein ziemlich mystischer Wein mit okkultem Charakter. Die Tannine schmecken weich, die Säure rassig. Ich schmecke dunkle Kirsche, Brombeere, etwas Sachertorte, Blutwurst, Thai-Basilikum und frage mich, was man dazu essen soll. Nun? Auf jeden Fall keine leichte Kost. Scharf angebratenes Fleisch (wegen der souveränen Säure) und eine dunkle, würzige Soße, die gut zur Umami-Charakteristik dieses weichen Edel-Brummers passt.

So, jetzt noch ein paar Worte zum verwirrenden Begriff „Riserva“, der (ähnlich wie → in Spanien die Reserva) mit der Reifezeit zu tun hat. Ein Chianti Classico Riserva muss mindestens zwei Jahre lang im Holzfass reifen und danach nochmal drei Monate in der Flasche. Außerdem enthält er mehr Alkohol. Das ist der offizielle Teil. Der inoffizielle ist die gelebte Praxis, dass Riserva-Weine aus sorgfältiger selektionierten Trauben besserer Weinlagen hergestellt werden. Fazit: Ein Riserva kostet deutlich mehr als ein Non-Riserva. Und das nicht nur, weil er länger herumlag. Apropos Geld: Noch mehr kosten die erst 2013 eingeführten Weine der Klasse „Gran Selezione“ aus noch hochwertigeren Trauben. Kritische Beobachter meckern, dass die Gran-Selezione-Idee ein Marketing-Gag ist, um Weinfans noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen.

 

Datum: 26.9.2020
 

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