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Bordeaux 2010: He, Leute – geht´s noch?

Das ist Jeannie Cho Lee, eine wichtige chinesische Weinexpertin. Sie will es schlank. Und kriegt es fett. Warum?
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Hallo - Ihr Weinmacher, Winzer, Önologen - oder wie auch immer ihr euch gerade nennt. Geht's noch? Captains Kollege Helmut O. Knall kriegt einen Wutausbruch in Bordeaux, wo er gerade junge und alte Weine verkostet. Was soll der Scheiß?

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Bordeaux 2010, Präsentation 2011. Alles da, was in der Weinwelt Rang und Namen hat. Diese Veranstaltung ist ein wichtiger Indikator dafür, wie es in einer der wichtigsten, wenn nicht „der“ wichtigsten Weinregion der Welt weitergeht.

Da steht man schnell neben einer schnieken PR-Lady, die einem die Vorzüge der neuen Rüttel- und Sortierpulte mit den Worten erklärt: „Das geht jetzt vollautomatisch, da wird kein Mensch nach ein paar Stunden müde und übersieht eine unperfekte Beere…“. Nur allerfeinstes Beerchen kommt in unseren Wein – ja super. Warum sind dann die Weine so was von süß bis marmeladig? Warum jammert dann jeder über die hohen Alkoholgrade?

Und warum sitzen wir dann abends bei Weinen aus den 1960ern bis 1980er, die so was von gut sind. Mit nur 12 bis 13 Prozent Alkohol! Mit toller Struktur und Balance, keine Spur von überreif und Marmelade. Damals waren mindestens 50, ja 60 Hektoliter pro Hektar Ertrag völlig normal – eigentlich nicht viel – heute rühmen sich die Winzer unter 35 Hektoliter zu ernten, also den Ertrag zugunsten der Qualität extrem nieder zu halten. Und die dann – wie oben erwähnt – die Trauben auch noch zu selektieren. Wer hat denn beim legendären 1947er Cheval Blanc auch nur eine Beere aussortiert? Wer beim 59er Margaux? Oder beim 82er Palmer? Eben. Niemand!

War früher alles besser? Stimmt!

Waren denn die damals völlig ahnungslos? „Deppad“, wie man in Österreich sagt? Oder seid ihr es gerade heute? Sorry, die Frage drängt sich auf.

Eigentlich war ich schon im Bett, ist ja immerhin schon drei in der früh und heute muss ich noch Pauillac, St. Estephe und St. Julien verkosten. Aber die Gedanken kreisen einfach. Mag sein, dass die grandiose 1960er Magnum von Lascombe daran Schuld hat. Aber wenn mein mexikanischer Kollege und ich diese zweidrittelvolle Magnum ohne Probleme mit Genuss leeren konnten, dann stellt sich die Frage, ob wir das in 50 Jahren – würden wir da noch leben – auch mit einem 2010er könnten? Und ich sage: Nein. Weil wir schon nach der Hälfte völlig besoffen wären. Auch wenn das noch toll schmecken würde. In 50 Jahren.

Warum also dieser Konzentrations-Wahnsinn? Warum erzeugt ihr immer mehr Weine ohne Ecken und Kanten? Warum werden die Weine immer gleicher?

Und die ganze Welt will es haben, wie es früher war? Stimmt!

Bordeaux, genauso wie deutscher Riesling, oder von mir aus Brunello, hat seine Stilistik über Jahrzehnte, man könnte sogar Jahrhunderte sagen, entwickelt. Und lange genug beibehalten. Und diese Stilistik, diese Typizität, diese Ecken und Kanten, die will der Wein-Liebhaber. Warum wird plötzlich Wein gemacht, weil irgendwer glaubt, dass irgendein wichtiger Markt das so haben will? Ich verstehe es einfach nicht.

Denn in Italien erklärte man mir in den letzten zehn Jahren, dass diese flüssigen Mon-Cherie-im-Pelzmantel-Weine in den USA ja so gefragt seien. Und dann blieben sie auf ihren Weinen sitzen. Kein Wunder, denn die amerikanischen Importeure erzählten mir immer schon, dass sie die klassischen, durchaus säurebetonten italienischen Weine suchen.

Warum ist es dann nicht so? Gute Frage!

Jetzt erzählt man mir hier in Bordeaux, dass man die Stilistik an asiatisches Essen anpassen müsse. Und dann sitze ich beim Dinner neben chinesischen Importeuren, die genau die „alte“ Bordeaux-Stilistik suchen. Wer bitte erzählt den Weinproduzenten immer das falsche?

Wer ein ordentliches Steak will, nimmt doch auch Rind und nicht Forelle, nur weil die Asiaten angeblich lieber Fisch essen. Und aus Reis macht doch auch niemand ein Kartoffelpüree. Wein an irgendwelche Moden anzupassen hat noch nie funktioniert. Bitte hört auf damit. Aber ich fürchte, keiner will auf mich hören.

 

Datum: 8.4.2011 (Update 2.8.2011)
 

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