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Deutschlands Küchenchefs haben ihre Michelin-Sterne für 2014 bekommen. Die Revolution der deutschen Küche bestimmen längst die Köche selbst. Und dabei zählt das Erbe der Franzosen kaum noch. Endlich!
Die Küchenkultur deutscher Spitzenköche ist etwas Erhabenes, das Werk ausgefeilter Präzisionshandwerker. Eine Show hoch dekorierter Protagonisten. Doch abseits dieser Manege zimmern junge Kochfanatiker und kulinarische Quereinsteiger an der Neuausrichtung der deutschen Restaurantkultur.
Und diese Neuausrichtung entsteht hauptsächlich in Berlin, wo man erfrischend ideologiefrei kocht. Auch in anderen Teilen des Landes, selbst im hartnäckig frankophilen Südwesten, macht sich ein Aufbruch bemerkbar, erobern neue junge Köche die Herde, Küchenchefs, die weder der immer noch tonangebenden Nouvelle Cuisine folgen, noch der längst abgehalfterten Molekulargastronomie etwas abgewinnen können. Und sie blättern auch nicht in den Kochbüchern der derzeit extrem angesagten skandinavischen Spitzenköche. Es braucht keine Vorbilder mehr.
Dabei kann dann etwas Exaltiertes entstehen, wie die geniale Farben und Gemüseküche von Andree Köthe und Yves Ollech aus Nürnberg. Oder die fein abgestimmten, verblüffend einfachen und dennoch außerordentlich erlebnisreichen Kreationen von Marco Müller in Berlin. Man kann sich, wie Michael Höpfl in Berlin, von seinem Chef täglich die besten Produkte des Brandenburger Umlands anliefern lassen, man kann das Kochen aber auch spirituell verstehen, wie das Ludwig Cramer-Klett und sein Küchenchef Robert Kettner im Szenerestaurant Katz Orange tun. Sie wollen mit ihrem Essen einfach nur Glück erzeugen, das von innen kommt.
Völlig befreit. Und bei sich selbst angekommen.
Und man kann sich völlig frei an allen Küchenkulturen der Neuzeit bedienen, wie das Axel Krause in Deidesheim tut. Ihm ist es egal, woher das Produkt kommt und welche Technik er anwenden muss: Hauptsache die Kreation wird unverwechselbar und trägt seine Signatur.
Oder man bleibt brutal regional, wie der gerade mal 21jährige Küchenchef Harald Irka in der österreichischen Steiermark. Seine Zutaten stammen aus einem Umkreis von maximal 50 Kilometer.
Diesen neuen deutschen und deutschsprachigen Köchen ist eines gemeinsam: Sie haben einen Sturschädel, der sie stets auf Schiene hält, suchen nicht zwanghaft den Applaus der Tester und Medien. Denken und Schmecken stehen sich nicht mehr im Wege.
Restaurants und Köche auf Seite 2. Wegen eines technischen Defekts können die Fotos leider nicht hochgeladen werden. Alle Bilder zu dieser Geschichte finden Sie auf unserer facebook Seite.
Axel Krause, Ketschauer Hof, Deidesheim.
Axel Krause (33) kocht erst seit ein paar Wochen im Ketschauer Hof. Der kürzlich verstorbene Hotelbesitzer und Werbeunternehmer Achim Niederberger hat dem Pfälzischen Weinort Deidesheim mit einigen kulinarischen Projekten einen modernen Anstrich verpasst und Krause angeworben, weil dieser für einen eigenen und völlig introvertierten Küchstil steht, der auch deutsche und lokale Küche zu berücksichtigen weiß. Krause kochte zuletzt maßgeblich bei Kevin Fehling, dem jüngsten Drei-Sterne-Koch Deutschlands. In Fehlings Restaurant „La Belle Epoque“ bei Travemünde wird aber – wie der Name schon sagt – einer frankophilen Luxusgastronomie gehuldigt, die sich immer nach Vorbildern orientieren muss. An diesem Ort ist nichts anderes möglich.
In Deidesheim aber schon. Etwa Blumenkohl „polnische Art“. Oder Rehrücken mit Sellerie, Lakritz und einem Gel aus Kirschblüten. Doch Krause gesteht: „Ohne Luxusprodukte kann und will ich nicht auskommen. Vor allem, wenn es die Kombination verlangt“.
Und so setzt er billiges Kinnfleisch an eine teure Carabiniero-Garnele. Oder verwandelt den bekannten Caprese-Salat in ein Dessert. „Alles soll verblüffen“, meint Krause. Und man muss mutiger kochen, darf niemals stehen bleiben und glauben, man sei mit seinen Kreationen am Ende.
Sein Fazit: „Eine gute Küche ist stets eine authentische Küche“. Das gilt für selbst Kreiertes genauso, wie für mitgenommen Verfeinertes. In diesem Sinne will nur Krause herausfordernd kochen. Alles andere interessiert ihn nicht.
Michael Höpfl, Pauly Saal, Berlin.
Berlin, so hört man oft, ist ein kulinarisches Jammertal. Doch weit gefehlt: Gerade in Berlin entsteht gerade eine völlig vorbildfreie Spitzengastronomie, die sich um alles Modische und Moderne nur einen Dreck schert. Und das ist prächtig so!
So ist ein Restaurant wie der Pauly Saal nur in Berlin möglich. Hier kocht Michael Höpfl (28) eine brandenburgisch-pommersche Gutshausküche, die von Besitzer Stefan Landwehr angeregt wird. Gutshausküche, das heißt: viele Töpfe und Pfannen mit großen Stücken Fleisch oder Fisch.
Und weil man die Ausrichtung sehr ernst nimmt, holt Landwehr die Zutaten direkt aus der Umgebung seines Landhauses ab. „Mir schießt ein Jäger das Wild, ein Fischer bringt mir seinen Fang und ein Züchter lädt mir halbe Schweine und Kälber in den Lieferwagen“, erzählt Landwehr, der in Berlin auch noch den Grill-Royal betreibt.
So muss Höpfl nur wenig zukaufen und kann in der Vorbereitungsküche aus dem Vollen schöpfen. Auch das Brot wird hier selbst gebacken und Würste selber gemacht. Ein eigener Raum beherbergt nur Einmachgläser mit eingelegten Früchten und Gemüse. Autarkes Handeln einer autarken Küche in einem der schönsten Restaurants des Landes. So einzigartig kann es das nur in Berlin geben.
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Harald Irka, Saziani Stub’n, Straden, Steiermark.
Harald Irka ist der jüngste Spitzenkoch Europas. Er kocht in den ländlich-eleganten Saziani Stub’n im südoststeirischen Straden. Und er kocht schon immer dort, hat nirgendwo anders gekocht, ist bei keinem berühmten Koch in die Lehre gegangen, hat nie eine Spitzenküche in Paris oder Kopenhagen von Innen gesehen. Das hat einen einfachen Grund: Harald Irka ist 21 Jahre alt. Und hat angefangen, wo er heute werkt. Als Autodidakt.
Wie kommt so einer auf ein großartiges Gericht wie Tortellini aus gehobeltem Kürbis mit marinierten Flusskrebsen, Senf, Flusskrebsbutter, Limettentasche und Ingwer-Vinaigrette? Oder auf knuspriges Kalbsbries in Kamillentee mit Raps und eingelegten Pfifferlingen? Irka kratzt sich kurz am Kopf und gibt die einfachste aller Antworten: „ich hab´s halt probiert. Und wenn die Kombination passt, so sag ich, dann passt eh alles.“
Irkas subtlies Schaffen verdanken wir dem Weingut Neumeister, das die Saziani Stub’n besitzt. Und der Weitsicht von Albert Neumeister, der Irka nach dem Abgang seines alten Küchenchefs einfach mit 19 Jahren zum Herr der Lage machte. Und niemals am Talent des damaligen Teenies zweifelte. Auf eines hat Irka aber gleich von Beginn an bestanden: „Alle Zutaten müssen aus der Umgebung kommen. Denn was anderes brauch ich nicht.“
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Andree Köthe und Yves Ollech, Essigbrätlein, Nürnberg.
Das Essigbrätlein in Nürnberg war einmal ein ganz kleines Wirtshaus. Und das ist es geblieben, auch wenn das Lokal zwei Michelin-Sterne besitzt. Hier kochen Andree Köthe (46) und Yves Ollech (42), ein kongeniales Duo, das keine Scheinwerfer sucht.
Köthe und Olech gehen auch kaum auswärts essen, besuchen nur selten andere Kollegen und sind extrem bodenständig geblieben. Sie richten ihre aromatische Küche vor allem nach Farben aus. Andre Köthe sagt: „Alles, was eine Farbe hat, muss sich irgendwie kombinieren lassen.“ Etwa Erdbeeren mit Tomaten. Oder gelber Paprika mit Pfirsich.
Von dieser bewunderten und bestaunten Ideologie haben Köthe und Olech aber längst etwas abgelassen und kochen heute befreiter denn je eine schmackhafte Küche, die auch mit einfachsten lokalen Zutaten perfekt zurecht kommt. Das Köchepaar provoziert die Tester, denn manchmal kosten die Zutaten einer Speise nicht mehr als einen Euro. Und Luxusprodukte kommen sowieso so gut wie nie vor.
Die Küche des Essigbrätlein ist eine Gewürz- und Gemüseküche. Gemüse war hier schon ein Thema, bevor so mancher deutsche Spitzekoch sündteure Gemüsemenüs auf seine Karte setzte.
Gerade wegen der Gemüse entdecken immer mehr Feinschmecker die grandiose Gabe von Köthe und Olech, eine geradlinige und einfache Kulinarik zu etablieren, die trotzdem ein einzigartiges Geschmackserlebnis darstellt.
Robert Kettner und Ludwig Cramer-Klett, Katz Orange, Berlin.
Ludwig Cramer-Klett (36) hat das ruhige Auftreten eines Mannes, der sich seiner selbst und seinem Tun sicher ist. Vor knapp zwei Jahren eröffnete er in Berlins Mitte das Szenerestaurant Katz Orange, sein erstes und bislang einziges gastronomisches Projekt. Das gestylt-schlampige Lokal, ein perfekter Stilmix, ist immer ausgebucht.
In Cramer-Kletts Kochwerkstatt arbeitet Robert Kettner (36), der lange Jahre die Küche des Paris-Moskau leitete. Kettner ist ein ruhiger Kreationist, er folgt der spirituellen Idee Cramer-Kletts. Das klingt nach übertrieben viel Geist und wenig Körper. Doch gemach: die Küche des Katz-Orange ist nicht sektenhaft verkopft.
Denn Cramer-Klett will im Katz-Orange etwas Umfassendes schaffen, einen Platz für Seele, Geist und Körper, die seiner Meinung nach nicht getrennt wahrgenommen werden dürfen. „Nahrung wird heute bestenfalls nur als Produkt der Kulinarik verstanden“, sagt Cramer-Klett, „und nicht als Lieferant des Wohlbefindens“. Deswegen geht es ihm und Kettner auch nicht um eine vordergründige Kreativität, sondern um das Wirken der Speisen und die richtigen Zutaten im gegebenen Umfeld. Selbstredend heißt das vor allem lokale Küche.
Da kann ganz einfach perfekt Einfaches bei rauskommen, wie ein Zitronen-Thymian-Küchlein mit einem Salat von Weingartenpfirsichen. Oder ein ewig lang gegarter Braten eines Duroc-Schweines, der – fein gewürzt – unter der Gabel zerfällt. Und weil man in Berlin wenig Abstand kennt, serviert man auf Nachfrage auch hausgemachte Fritten dazu.
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Marco Müller, Rutz, Berlin.
Und noch einmal Berlin. Und noch einmal ein Küchenchef, der unbefangen das kreieren und kochen kann, was er für richtig hält.
Marco Müller geht mit der Präzision seines Stils so weit, dass er für seine Speisen sogar eigene Teller anfertigen lässt. Und er wagt sich an eine Kreation von der Kartoffel, die vor allem aus einem Löffel Kartoffelpüree besteht, das keine Überraschung in sich trägt außer einfach nur großartig zu schmecken. Cremig, ohne zu rinnen. Fest, ohne stabil zu sein. Betont schmackhaft, ohne dabei die notwendige Neutralität zu verlieren, die das Püree besitzen muss, wenn es mit Zutaten harmonieren soll. „Wenn Du kein perfektes Kartoffelpüree kannst“, sagt Müller, „kannst Du sowieso einpacken.“
Das Banale von seiner Banalität zu befreien ist einfach. Das Banale aber gleichzeitig im Gerüst zu lassen, das Korsett sogar enger zu schnüren, das ist große Kunst. Und Müller (44), seit zwei Jahren Sternekoch, schafft das mit Bravour.
Das zeigt sich auch bei einer bretonischen Sardine, die Müller entgrätet, rollt und mit Avocado in einem Tomatenfond serviert. Und wenn Müller Steinpilzrisotto mit Parmesan und Perigordtrüffel macht, dann kann man sicher sein, dass dieses Gericht verblüffend anders zu Tisch kommt.
Das Rutz hat sich vor Müllers Zeit vor allem als Weinbar einen Namen gemacht. Diese Kombination zweier Restaurantkonzepte ist auch heute noch gültig: Sommelier Billy Wagner gilt als ebenso eigensinniger Kopf wie Müller. Und beide sind Teil dieser neuen, revolutionären, deutschen Kulinarik, die zurecht nicht nach links und rechts schaut, wenn sie die Straße überquert.
Dieser Text enstand in Zusammenarbeit mit dem Männermagazin GQ. Alle Fotos zu dieser Geschichte finden Sie hier.
Hochwertige Zutaten, handwerklich erstklassige Verarbeitung und am besten auch noch – von mir aus mit ein paar Ausreissern – regional und saisonal. Das macht ein gutes Restaurant aus. Alles andere ist unerträgliches Lifestyle-Geblubber, welches sich leider auch durch diesen Artikel zieht. Denn wer braucht schon „billiges Kinnfleisch an einer teuren Carabiniero-Garnele“ oder ein „gestylt-schlampiges Lokal“ als „perfekten Stilmix“.
„Wenn Du kein perfektes Kartoffelpüree kannst“, sagt Müller, „kannst Du sowieso einpacken.“
Das Banale von seiner Banalität zu befreien ist einfach. Das Banale aber gleichzeitig im Gerüst zu lassen, das Korsett sogar enger zu schnüren, das ist große Kunst.
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Hab ein sehr gutes Kartoffelpüree als ganz normaler Kassenpatient vor 2 Wochen im Krankenhaus-Mehrbettzimmer serviert bekommen. Es gab auch ein überraschend gut schmeckendes Eischaum-Omlett in weißer Sauce. Kein Witz, wenn man es am wenigsten erwartet, schmeckt es am besten. 🙂
Weil es gerade so schön passt, hier noch eine Anekdote aus der Rubrik „Vom Fachmann für Kenner“ von Titanic-Online.
http://www.titanic-magazin.de/fachmann/2013/november/#c19570
Titel: Sauce à la Chef
Ich stand mit meinem Vater in der Küche, es sollte Nudeln mit Tomatensoße geben. Nachdem das Mett und die Zwiebeln fertig angebraten waren, fehlten noch die Tomaten. Mein Vater, eigentlich ziemlich versiert in der Küche, fragte mich: »Kannst du die passionierten Tomaten holen?« – Als ich aus dem Keller wiederkam, brachte ich nicht bloß die passionierten Tomaten mit, ich hatte auch noch einige leidenschaftliche Karotten, vor Ehrgeiz glühende Zucchini und fanatisches Basilikum, um die Sache abzurunden.
Ernst Jordan
Hallo nach Berlin,
Ihre beiden letzten Berichte sind unter aller Sau.
So sagt man bei uns.
Frage: wollen wir uns über Kunst und Architektur
oder aber über Essen&Trinken unterhalten?
Ein ernst zu nehmender Gastrokritiker ist aus Ihnen
noch lange nicht geworden.
Christa Mondorf
Darüber haben nicht Sie zu entscheiden, sondern jene Leitmedien, die mich beschäftigen. Ihre Meinung steht Ihnen zu, Gewicht kann ich nicht erkennen. Oberflächliche Kritik ohne detailliertes Aufzählen der Beschwerdegründe werden an Bord nicht gerne gesehen. Kunst und Architektur kommen in beiden Geschichten nicht vor..
Korrektur: „zu beurteilen“. Nicht „zu entscheiden“
Kann ja alles sein, ich war vor 2 Jahren in der Weinbar Rutz, wir bestellten das Menü “ rette die deutsche Esskultur “ Oder so ähnlich .
Also jetzt mal ehrlich sowas peinliches habe ich bist jetzt selten erlebt. Ambiente armselig , das Menü auch.
Auch wenn es nur die Weinbar war, sowas geht gar nicht.
Würde mich mal interessieren welche PR Maschinerie hinter dem Laden steht .
Eine gigantische. Milliarden schwer..
Nichts für ungut, aber der Artikel ist nicht sonderlich tiefgründig. Da werden tatsächlich maßgebliche Küchenchefs – Essigbrätlein! – mit anderen zusammengewürfelt, die das bei weitem nicht sind. Im Rutz wird sicher sehr gut gekocht, aber nicht wirklich stilprägend. In der Baiersbronner „Hütte“, der in Tonbach, sitzt dagegen einer, der massiv einen Stil geprägt hat. Wie Wissler. Wie Elverfeld. Ob Krause mal einen Stil prägen wird, schauen wir dann, wenn er mal ein, zwei Jahre im Ketschauer Hof gekocht haben wird. Die klassische französische Küche ist übrigens mitnichten tot, sondern sie kann, wenn sie behutsam weiterentwickelt wird, mehr Komplexität auf dem Teller schaffen, als es die Modernisten sich träumen lassen. In Frankreich machen das gerade einige vor. Adressen liefere ich gern.
Mich hat in letzter Zeit – die Captain-Favoriten kenne ich ebenfalls – Thieltges besonders beeindruckt, obwohl ich mich über Jahre geweigert hatte, in dem etwas überkommemen Ambiente zu sitzen. Aber kochen kann der Mann, ui,ui. Und Frau Brandstetter ist eine vorzügliche Sommelière. Also alles nicht so einfach.
Richtig Herr Fassbender! Es lebe die zeitgemässe Französische Küche.