Wie wird ein Kellner aus Buenos Aires Betriebschef von einem Traditionsweingut in Rheinhessen? Ist doch logisch: indem er am Schilift in Neuseeland eine Salzburgerin kennenlernt.
Auf der Südinsel im fernen Neuseland arbeitete Agustin Novoa (Jahrgang 1983) in einem Weinhotel und traf beim Freizeitsport die Liebe seines Lebens. Heute sind die beiden verheiratet und leben im beschaulichen Oppenheim, wo Novoa die Produkte des Weinguts Bürgermeister Carl Koch zubereitet. Von dort kommt ein betörend-eleganter Chardonnay, der fast nichts kostet.
Aber nicht nur die richtige Frau fand Augustin am anderen Ende der Welt, sondern auch die Liebe zu seinem heutigen Beruf: winemaker. Deshalb zog es die beiden zurück nach Argentinien, wo Novoa in Mendoza Weinbau studierte.
Im Zickzack-Kurs gings dann weiter über den Globus. Im Rahmen eines Studentenaustauschs verschlug es Novoa nach Udine/ Friaul, um dort seine Weinbau-Kenntnisse zu vertiefen, dann weiter nach Deutschland, um im Keller der Domäne Assmannshausen (gehört zum staatlichen Riesenweingut Kloster Eberbach) zu walten.
Als Elisabeth(die Salzburgerin vom Schilift) einen Job in London bekam, zog Novoa einfach mit und suchte sich eine passende Tätigkeit in England. Was macht man dort als Önologe? Antwort: Weinberatung.
Ja, wirklich: Südengland mit seinem milden, vom Golfstrom geprägten Klima und außerordentlich kalkhaltigen Böden (Stichwort: die weißen Klippen von Dover) verfügt über eine steil aufstrebende Weinszene, in der kundige Helfer gesucht werden. Novoa entwickelte einen köstlichen Chardonnay (der Captain durfte probieren) aus → englischen Trauben, die in Surrey gelesen und in London (!) gekeltert wurden.
Als Elisabeth aus beruflichen Gründen zurück nach Deutschland wollte, suchte Augustin einen Job in der Nähe und stieß bei der Online-Recherche auf eine Stellenausschreibung von Carl Koch, wo Kellermeister Heiner Maleton zu neuen Ufern aufbrach und ersetzt werden musste.
Agustin Novoa: „Oppenheim ist klein und vergessen, Was ich aber sofort sah, ist das Potenzial der Weinlagen und die Schönheit der Stadt.“
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Ein bisschen Geschichte über das Weingut: In der Löwenapotheke zu Oppenheim fing alles an. Dort gab es eine kleine Chemiefabrik, die erste der Welt, wo Chinin hergestellt wurde. Hier wuchs Carl Koch auf, der spätere Weingutsbesitzer und Bürgermeister von Oppenheim, dem wegen seiner Verdienste der Beiname „Patriarch mit sozialem Gewissen“ angeheftet wurde. Das Weingut mit langer Tradition liegt westlich vom Rhein zwischen Mainz und Worms.
Oppenheim zählt als traditioneller Weinbauort. Dort steht man etwas im Schatten der Ortschaften Nierstein und Flörsheim-Dalsheim, die mit hochambitionierten Spitzenbetrieben wie dem Weingut Keller, der Sektmanufaktur Raumland und legendären Lagen wie dem Roten Hang zu Recht große mediale Aufmerksamkeit genießen.
Doch mit den unterschiedlichen Bodenformationen und der Flussnähe ist der Weinbau in Oppenheim aufgrund der abwechslungsreichen klimatischen und geologischen Bedingungen nicht minder spannend.
Seinem neuen Betriebsleiter gibt Carl-Koch-Eigentümer Paul Berkes (übernahm mit 12 das Weingut aus einer Erbschaft und ist heute 23) alle Freiheiten und packt neben der eigenen Ausbildung zum Önologen mit an.
Das zahlt sich aus, denn ALLE WEINE dieses alten Hauses werden von Novoa auf eine Weise zum Glänzen gebracht, die selten ist – stilistisch kühn, von Traditionen ungebremst und atemberaubend delikat. Mein Abendwein Oppenheimer Herrenberg Chardonnay von Bürgermeister Carl Koch kostet nur 7,50 Euro.
Ich empfehle dringend, sich ein paar Flaschen von diesem Leckerbissen zu sichern. Du wirst es garantiert nicht bereuen. Im Glas mittleres Gelb. In der Nase Brioche, Toffee, türkischer Honig, kandierte Kirmes-Äpfel, Honiggürkchen. Im Mund feinwürzig nach weißem Pfeffer, Kumquat, Naschi-Birne, am Gaumen Macadamia-Nuss, frische Dattel. Unheimlich elegant, fein und burgundisch. Milde Säure, superfeine Süße und diskrete Bitternoten. Kaum zu fassen, wie wenig dieser Wein kostet.