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Wen soll ich wählen?

Shanna Reis, Jägerin und Winzerin in Rheinhessen. Foto: Manuel Fischer/ Navanet
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Was denkt eine junge Winzerin über die Wahl? Der Captain sprach mit Shanna Reis (27), die vor zwei Jahren das Weingut ihrer Eltern in Rheinhessen übernahm.
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Ein → Youtube-Video lässt die etablierte Politik ziemlich dumm dastehen und plötzlichen reden alle über das, was junge Menschen bewegt. Der Captain bewundert den blauhaarigen Rezo und seinen Rant über verlogene Politiker und hält die beißende Kritik am Monolog des jungen Informatikers für ziemlich substanzlos und daneben.

Dabei blieb der eloquente Herr noch ausgesprochen höflich. Falls jemand den Captain um seine Meinung zur Politik befragte, dann würde er den Berliner Maler Max Liebermann zitieren: „Ick kann janich so viel fressen, wie ick kotzen möchte!“ Gut, dass keiner wissen will, wie der Captain denkt.

Vielleicht ist da schon interessanter zu wissen, wie jene Winzer denken, die unter den Lesern des Captain keine kleine Gruppe bilden. Und was sie wählen:

Die deutschen Winzern wählen bei dieser Europawahl mehrheitlich die CDU/CSU mit 32,8%. Das zeigt eine aktuelle Umfrage des Captain unter fast 1.200 Winzern. Mit 20% folgen die Grünen und mit 19,2% die FDP. Die AfD liegt mit 11,8% leicht über dem aktuellen Wert der Sonntagsfrage unter allen Bürgern. Weit abgeschlagen ist Die Linke mit 2,4%. Die SPD ist bei Winzern unbeliebt: Nur 0,8%.

Um der Frage nach der politischen Einstellung noch tiefer auf den Grund zu gehen, machte der Captain Platz für eine kluge junge Winzerin aus der Rezo-Generation: Shanna Reis, die mit 25 das Weingut ihrer Eltern (coole Eltern!) in Rheinhessen übernahm und seither leitet. Shanna, der auf → Instagram über 22.000 Menschen folgen, stellt sich am besten selber vor:

Der Captain lernte Shanna und ihr Weingut bei einer Jagdveranstaltung im letzten Sommer kennen und war beeindruckt. Da stand jemand und führte das Kommando wie ein alter Hase.

Das Weingut Reis & Luff zählt (noch) nicht zu den hippen Adressen, die rauf und runter abgefeiert werden. Knapp 20 Hektar Rebfläche, man arbeitet konventionell. Hornkiesel, Reinzuchthefen, Verzicht auf Schwefelung – nichts dergleichen gehört hier zum Programm. Was nicht heißt, dass Shanna all dem abgeneigt wäre. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist.

Das erste Projekt nach der Übernahme war ein Gute-Laune-Wein, der dem Captain sofort gefiel. Vom Namen her eine Provokation: Orangewine Sylvaner. Auf der Maische vergoren und entsprechend charakteristisch in Farbe und Geschmack. Aber geschwefelt. Darf man das? Shanna Reis: „Natürlich darf man das. Die Definition von Orange Wine lässt alles offen.“

In der Nase zuerst Quitte und mit etwas mehr Wärme reife Birne und eine Handvoll Studentenfutter: Rosine, Mandel, Haselnuss. Das riecht nach Party. Und die stellt sich im Glasumdrehen ein. Ich schmecke gelbe Früchte, einen Spritzer Limettensaft, gebratene Banane und nussige Noten. Frucht und Bitterstoffe sind ordentlich ausbalanciert, die Säure kitzelt angemessen. Ein Wein, der sowohl zu Gegrilltem passt, als auch zum sinnbefreiten Abhängen. Wenn die Bezeichnung Terrassenwein jemals passt, dann hier.

Shanna, wen gehst Du am Sonntag wählen? Ich weiß es noch nicht. Wir wählen hier in Rheinland-Pfalz ja auch die Bürgermeister und Gemeinderäte. Da tun sich große Diskrepanzen zwischen den kommunalen Kandidaten, die man kennt, und den Programmen auf Landesebene auf. Man weiß nicht wirklich worauf man sich letztendlich einlässt.

Fühlst Du Dich von der Politik verstanden? Nein, schon gar nicht bei den wirklich wichtigen Fragen. Umweltschutz und Klimawandel empfinde ich als drängende Themen. Da müsste etwas Restriktiveres kommen, damit wir noch eine Chance haben die Klimaziele einzuhalten. Die Grünen wären vielleicht meine Partei, aber die haben ein Problem mit der Jagd. Ich besitze Land, lebe aber in einer Mietwohnung. Mieterschutz und Mietpreisbremse sind zum Beispiel wichtig, aber auch das Eigentum muss geschützt werden. Ich bin zerrissen und sehe keine Kraft, von der ich mich repräsentiert fühle. Genau das höre ich auch im Freundeskreis. Alle sagen, irgendwas muss man ja wählen, aber keine Partei wirkt überzeugend.

Bürokratie und merkwürdige Vorschriften machen Winzern zu schaffen. Neuerdings ist es bei Strafe verboten, sich ohne Ganzkörper-Schutzanzüge im Weinberg zu bewegen, nachdem Spritzmittel ausgebracht wurden. Die ganze Branche spottet darüber, wie das im Hochsommer umgesetzt werden soll… Ja, da hat jemand in Berlin nicht richtig mitgedacht.

Dabei bezahlt jeder Winzer seine Pflichtgebühr an den Deutschen Weinbauverband, der angeblich Eure Interessen in Berlin und Brüssel vertritt. Haben Eure Lobbyisten versagt? Ich bekomme von deren Arbeit wenig mit und fühle mich teilweise allein gelassen.

Bürokratie tötet Wein

Wie ist das als junge Frau im Weinbau, ist die Gleichbehandlung angekommen? Es kommt auf die Situation an, aber oftmals wird uns zu wenig zugetraut. Alltagssexismus ist leider immer noch weit verbreitet.

Immerhin gibt es ja die Organisation Vinissima – Frauen im Wein. Bist Du Mitglied? Ich denke darüber nach. Allerdings ist es nicht ganz leicht, da reinzukommen.

Wie erlebst Du als Winzerin die Herausforderungen der Zeit? Ganz deutlich im Wein. Im letzten Sommer konnte man das Gefühl bekommen: Jetzt ist der Klimawandel wirklich da. Die Typizitäten von Riesling, Silvaner, Müller-Thurgau verändern sich, wir als Winzer müssen sehen, wie wir damit künftig arbeiten können. Schon möglich, dass wir uns von denen verabschieden und über Ersatz nachdenken müssen. Ich bin sowieso ein Fan von Chardonnay und Sauvignon Blanc, diese Rebsorten könnten eine Chance bieten. Immerhin – unsere Cabernet Sauvignon- und Merlot-Trauben reifen in den letzten Jahren immer besser aus.

 

Datum: 24.5.2019 (Update 20.9.2019)
 

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