Wie kam es zum Glykolskandal von 1985? Der Chemiker Otto Nadrasky aus Grafenwörth (Niederösterreich) hatte festgestellt, dass sich mit Diethylenglykol (DEG) Wein im Extrakt erhöhen lässt. Die Idee stammte angeblich von einem burgenländischer Winzer, der ihm von einem nicht näher definierten Glykol berichtete, mit dem in Deutschland gearbeitet wurde. Nadrasky will dann mit diversen Glykolen im Labor experimentiert haben und blieb bei der Variante Diethylenglykol hängen. Er wusste, dass bei Analysen nicht danach gesucht wurde und er somit ein probates Mittel hatte, um einfache Weinchen gehaltvoller zu gestalten. Schnell fand er Abnehmer bei exportorientierten Winzern, die plötzlich Beerenauslesen und Trockenbeerenauslesen preiswert in deutsche Regale zu schicken begannen, wo sie für wenige Mark verkauft wurden. Begonnen wurde damit schon Ende der 1970er-Jahre. Auch deutsche Kellereien waren früh involviert, wie diverse glykolhaltige Weine ab 1979 deutlich machten. Entdeckt wurden sie erst, als der Skandal richtig hochkochte. Das war im Frühjahr 1985. In einem Finanzamt fielen im Rahmen der Betriebsprüfung eines Weinguts große Mengen Diethylenglykol auf, die steuerlich abgesetzt werden sollten. Das brachte Ermittlungen ins Rollen. Der Nachweis von Glykol im Wein gelang Ende Januar 1985. Am 23. April machte der damalige Landwirtschaftsminister Günther Haiden (SPÖ) den Weinskandal öffentlich. Dass damals in Österreich sowieso jede Menge Kunstwein produziert wurde (was Otto Nadrasky vor laufender TV-Kamera ausplauderte), fiel unter den Tisch. Die Hysterie in Österreichs Weinszene war groß, die Angst um die Zukunft ging um. Es gab Betriebe, die ihre Keller verbarrikadierten, weil sie fürchteten, dass Kollegen ihre Weine mit Frostschutzmittel infizieren würden, um sie mit in den Abgrund zu ziehen. Besonders arm dran waren die Winzer aus Rust, weil viele der betroffenen Weine aus dem damals noch so betitelten Gebiet „Rust Neusiedlersee“ kamen, das alle Flächen rund um den Binnensee umfasste. Rust schob viel Frust, weil keinen der Erzeuger der Freistadt auf dem Panscher-Index stand. Deutsche Winzer zeigten zunächst spöttisch mit Fingern auf das Nachbarland und witterten schon Morgenluft für ihren Export, weil einige Länder den Verkauf österreichischer Weine verboten oder sie aus den Regalen entfernen ließen – und standen bald selbst am Pranger. Denn in immer mehr Abfüllungen deutscher Weine wurde DEG entdeckt, überwiegend im Bereich unter 1 g/l. Der Rekord blieb einem burgenländischen Winzer vorbehalten, der mit über 60 g/l Glykol im Wein aufflog. Dass in Deutschland Wein auf breiter Front in Misskredit kam und in der Presse über Wochen hinweg Schlagzeilen machte, hatte verschiedene Gründe. Einer davon war, dass beim Direktvertreiber Pieroth an der Nahe jede Menge Glykolweine festgestellt wurden. Zur Eigentümer-Familie gehörte Elmar Pieroth, Wirtschafs-Senator in Berlin (CDU). Medien witterten politische Einflussnahme auf Untersuchungen in Rheinland-Pfalz. Zwei Worte sorgten zudem dafür, dass der Skandal im Sommer 1985 täglich in den Medien präsent war: Gift und Frostschutzmittel. In letzterem ist giftiges Ethylenglykol enthalten. Aber die Substanz ist mit Diethlenglykol nicht identisch. Doch Schlagzeilen wie „Wein mit Frostschutzmittel vergiftet“ oder „Frust durch Frost“ waren willkommenes Futter für die Boulevard-Medien. „Gift“ war noch häufiger in der Presse nachzulesen, vor allem Der Spiegel trumpfte gewaltig auf, ohne sich genau zu informieren, welche Gefahr von Glykol im Wein ausging. Man plapperte nur nach, was mahnende Politiker von sich gaben. Das Bundesgesundheitsamt in Berlin gab auf Nachfrage im August 1985 zu, dass Glykol im Vergleich nur etwa viermal so gefährlich wie Alkohol im Wein sei. Gesundheitliche Schäden durch DEG im Weinglas wurden nie bekannt. Der einzige, der aus dem Leben schied, war ein niederösterreichischer Glykol-Nutzer, der sich nach seiner Verurteilung das Leben nahm. Langfristig profitierte Österreich von dem Skandal, denn eine neue Winzer-Generation nutzte den Schock, um hohe Qualitätsansprüche umzusetzen. Deutschland brauchte länger, um sich zu erholen. Am längsten brauchten die Richter, um Urteile für die Weinvergehen zu fällen. Das Pieroth-Verfahren, bei dem es um 5,6 Millionen Liter Wein ging, wurde im April 1996 gegen Zahlung einer Geldbuße von einer Million Mark eingestellt. Die Verfahrenskosten beliefen sich auf rund 10 Millionen Mark.