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Mein Supertoskaner aus Bulgarien

Ist der super, Michel Rolland?
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Ein widersprüchlicher Rotwein mit wenig Alkohol und elegant-konzentriertem Geschmack erzählt die Geschichte des Super-Önologen Michel Rolland.
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Das ist die Geschichte einer Emanzipation. Und die Geschichte eines Meisters, der seine Lehrjungen gewähren lässt, damit sie selbst ein Meisterwerk schaffen. So geschehen in einem Niemandsland des Weinbaus. Oberflächlich betrachtet.

Kenner wissen inzwischen, dass Bulgarien eine kleine und feine Ansammlung von Spitzenweingütern vorzuweisen hat, die interessante Tropfen produzieren. Eine davon ist die Castra Rubra Winery.

Dieser Artikel erzählt auch die Geschichte der modernen Weinwirtschaft und wie sie neue Berufe schafft. Zum Beispiel den des freien Weingutsberaters, auch flying winemaker genannt. Diese fliegenden Weinmacher sind die Roland Bergers der Weinszene. Ihr Name ist eine Anlehnung an die flying doctors in Australien. Das sind Ärzte, die mit dem Flugzeug unterwegs sind, um die riesigen Distanzen zu ihren Patienten zu überwinden.

In Australien wurde der Begriff des „flying winemaker“ Ende der 1980er-Jahre geprägt. Damals suchte man in Frankreich gut ausgebildete Kellertechniker aus der ganzen Welt zur Unterstützung bei der Weinlese. In Australien und Neuseeland (auf der Südhalbkugel ist Frühling, wenn es in Europa herbstelt) hatten die jungen gut ausgebildeten Önologen gerade Zeit und so reiste man in die französischen Weinregionen, um sich dort das Einkommen aufzubessern.

Heute bezeichnet man als flying winemaker ganz allgemein einen freiberuflichen Önologen, der von Kunde zu Kunde reist, um sein Wissen anzuwenden. Diese mobilen Weingutsberater kommen aus allen Anbauregionen der Welt. Der berühmteste von ihnen ist ein Superstar der Weinwelt. Er heißt Michel Rolland. Sein Foto steht hier ganz oben.

Der Winzersohn (Jahrgang 1947) ist inzwischen so erfolgreich, dass er mehrere Weingüter in seiner Heimatregion Bordeaux besitzt, aber auch weltweit Beteiligungen an florierenden Betrieben hält. Schon zu Beginn seiner sagenhaften Karriere beriet er berühmte Châteaux wie Tropolong Mondot und Angélus. Rolland hat natürlich nicht nur Bewunderer. In den Augen seiner Kritiker steht Rolland für die Globalisierung des Weingeschmacks. Die von ihm betreuten Weine schmecken alle ähnlich, heißt es. Und sie sollen den Geschmacksvorlieben eines engen Freundes entgegenkommen. Dieser Freund ist der mächtigste Weinritiker der Welt. Muss ich erwähnen, wie der heißt? Na gut: Robert Parker.

Rollands Wirken so darzustellen, ist wohl grob vereinfachend und hält einer sorgfältigen Überprüfung kaum stand. Sein knapper Kommentar zu diesem Gerede: „Das ist nur Neid.“

Unbestritten ist allerdings, dass Rolland den Weltweingeschmack im Premiumsegment deutlich beeinflusst hat. Auf Wikipedia (auch so eine Quelle, der man nicht vorbehaltlos trauen darf) gibt es eine lange Liste aller Bordeaux-Weingüter, die unter dem Einfluss von Rolland stehen. Weine, die unter seiner Anleitung entstanden, sind in der Regel konzentrierte, kraftvolle und fruchtbetonte Tropfen von samtigem Charakter.

Winzer, die mit Rolland gearbeitet haben, singen ein Loblied auf den Weinzauberer und rühmen sein Cuvéetier-Talent, das auch der berühmte Weinkritiker James Suckling („Wine Spectator“) bestätigt. Suckling gesteht Rolland außerdem zu, dass er stets bestrebt sei, einem Weingut seine individuelle Note zu belassen.

Rolland besucht seine Kunden etwa drei bis vier Mal pro Jahr, egal, wo sie sitzen: Cahors, Napa Valley oder Piemont. Aber bei der Weinlese ist er nie dabei. „Das ist Aufgabe des Winzers“, meint Rolland. Und fügt hinzu: „Ich mache die Strategie, entwickle den Weinstil und kreiere die Cuvée.“

Bei so viel Geschreibsel über Wein werde ich durstig. Gottseidank steht eine Flasche Rotwein vor mir, bei dessen Geburt Michel Rolland vor ein paar Jahren mitgeholfen hat. Es ist der Rotwein Zahir vom Weingut Castra Rubra (=rote Festung) im südbulgarischen Thrakien nahe der griechischen Grenze.

Bevor ich aber näher auf den Zahir (enthält Sangiovese) von Castra Rubra eingehe, möchte ich euch ein paar andere Tropfen des Weinguts vorstellen, allen voran den Castra Rubra, der von Rolland persönlich definiert wurde.

Die Geschichte des bulgarischen Weinbaus ist uralt. Doch leider haben Planwirtschaft und Kommunismus seinen Ruf so nachhaltig ruiniert, dass man froh über ehrgeizige Projekte wie Castra Rubra sein muss. In beiden Deutschlands vor der Wende war bulgarischer Wein ein gerne gekauftes Massenprodukt ohne Identität.

Heute treiben moderne Unternehen wie das Weingut Enira des deutschen Bordeaux-Winzers Stephan Graf Neipperg oder der beeindruckende Betrieb des Italieners Edoardo Miroglio (wo ich selbst einmal einen fantastischen Sekt probierte) den bulgarischen Wein im Premiumsegment nach vorne. Auch Castra Rubra ist mit dabei.

Dort werden auf ca. 250 Hektar eigener Fläche und 400 Hektar gepachteten Weinbergen mit bis zu 40 Jahre alten Rebstöcken eine ganze Palette von Rebsorten angebaut, von Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Merlot, Chardonnay bis zur ur-italienischen Traube Sangiovese. Dazu weiter unten mehr. Die High-tech-Kellerei wurde 2006 mit viel Geld aus der Finanzwirtschaft und dem Fördertopf der EU (vielen Dank auch für das deutsche Steuergeld) gegründet. Mit dem Ziel, leistbare Premiumweine zu produzieren. Dafür wurde auch Michel Rolland engagiert. Rolland und das örtliche Önologenteam leisteten ganze Arbeit.

Von Anfang an sammelte Castra Rubra mit seinen Weinen internationale Anerkennung. Die Liste der eingeheimsten Medaillen ist lang. Unter dem Endruck dieser Erfolge regte sich unter den Önologen des Weinguts Anton Dimitrov und Plamena Kostova der Ehrgeiz, selbst einen Wein zu entwickeln, der für Gesprächsstoff sorgt. Man ließ sich zwar von Rolland auf die Finger schauen, bastelte aber an einer eigenen Cuvée. Heraus kam im Jahr 2010 der Zahir aus den Rebsorten Cabernet Sauvignon, Merlot, Sangiovese und Alicante Bouschet. Zahir bezeichnet auf Bulgarisch eine Kraft, die einen nicht mehr loslässt. In der Nase Schwarzkirsche, Himbeere, Cassis, süßlicher Pfeifentabak und frisch gepflückte Hagebutte. Im Mund herrlich fruchtig, rund, mittelschwer (nur 13 Volumenprozent Alk) und dabei hochkonzentriert. Im Abgang dezente Süßlichkeit und ein Hauch Karamell – der Wein reifte 16 Monate lang in neuen französischen Barriques. Die Tannine sind butterweich und am Gaumen bleibt ein würziger Nachgeschmack zurück.

Was für ein Wein der Widersprüche! So wenig Alkohol aber trotzdem großer und weicher Wumms. Wie haben die das hinbekommen?

Cabernet Sauvignon und Merlot – das ist inzwischen auf der ganzen Welt nichts Besonderes mehr. Aber ein Wein mit Sangiovese außerhalb Italiens? So etwas bekommt man nicht oft eingeschenkt. Der Sangiovese-Anteil im Zahir schwankt von Jahrgang zu Jahrgang. Der 2013er zum Beispiel setzt sich so zusammen: 35% Cabernet Sauvignon, 31% Merlot, 19% Sangiovese und 15% Alicante Bouchet.

Sangiovese hat ordentlich Säure und Tannine, ist sehr strukturiert und das Rückrad berühmter Weine wie Brunello di Montalcino, Chianti Classico, Chianti, Morellino di Scansano oder Vino Nobile di Montepulciano. Die Rebsorte ist aber auch in vielen Tropfen enthalten, die in den 1970er-Jahre für eine Rebellion gegen das Wein-Establishment standen, die berühmten Supertoskaner. Allen voran der legendäre Tignanello, den Winzer Piero Antinori zusammen mit seinem Önologen Giacomo Tachis (1933-2016) entwickelte und damit einen bis heute gefragten Weinstil kreierte.

Für die vollmundigen Supertoskaner gelten allgemein zwei Kriterien: Verwendung internationaler Rebsorten, wie sie hauptsächlich in Bordeaux-Weinen zu finden sind (mit oder ohne einheimischen Trauben), und der Ausbau in Barriquefässern. Man könnte den Zahir als Supertoskaner aus Bulgarien bezeichnen. Vielleicht hatten die Jungs von Castra Rubra genau das im Sinn.

 

Datum: 24.1.2020 (Update 25.8.2021)
 

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