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Rosé-Literatur

Wanderer, kommst du nach Spätburgunder...
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Was kommt dabei raus, wenn man Schriftstellern Wein schickt? Antwort: LITERatur. Autorin Grace Keller (ist natürlich ein Künstlername) trank einen erdbeerfruchtigen Rosé aus Rheinhessen und schrieb los.
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„Hier müssen wir lang, bieg ab!“ Wie aus dem Nichts kam ihre Stimme. Sie hatte aufgeregt mit den Händen gerudert und er riss das Lenkrad mit einem Ruck herum.

Nicht, dass es so schlimm gewesen wäre, eine Schleife zu fahren. Aber sie waren müde, sie wollten ankommen. Irgendwo.

Seit Stunden saßen sie nebeneinander. Sie hatten geschwiegen, jedenfalls die meiste Zeit. Ein bisschen Musik, zwei, drei kurze Pausen an der Raststätte. Ein Espresso hinter der Grenze, das war Tradition.

Die ersten Male waren sie ohne Auto gekommen. Tage vorher ist sie nervös gewesen, hatte alles Mögliche und Unmögliche in die beiden Rucksäcke gestopft und leise geflucht. In jedem Jahr schien der Sachenberg größer zu werden, es reichte nie. Einmal musste er sich oben drauf setzen, damit sie die Schnallen schließen konnten. Das Taxi wartete und hatte bereits gehupt. Der Fahrer wirkte amüsiert als sie endlich einstiegen. Vielleicht bildeten sie sich das aber auch nur ein. Sie sahen abgehetzt aus und schwitzten, bevor es überhaupt erst richtig losging.

Als der Wecker sie aus dem Schlaf holte, war die Sonne schon gewandert. Sie beeilte sich, er ließ sich Zeit. Er liebte es, beim Frühstück in der Süddeutschen zu blättern und sie machte sich darüber lustig. „Du bist so cliché!“ rief sie, schon aus Prinzip. Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, ihre Empörung wirkte gespielt. Er nahm sich vor, sie ein wenig warten zu lassen.

Oft genug war es genau andersherum. In einem Sommer war er in der Stadt geblieben und sie hatte ihm jeden Tag ein Geräusch geschickt. Er musste raten, was es war. Es war schon etwas her, er hatte alle ihre Nachrichten aufgehoben. Am liebsten mochte er die „Stille“. Es war das einfachste, und das komplexeste Geräusch zugleich.

Als sie losgingen steckten sie im Vorbeigehen noch schnell die Vesper ein, die Lorot für sie bereitet hatte. Frisches Brot mit viel Butter, den kräftigen, nach Heu und Himbeeren duftenden Rosé. Dazu Munster, einen Kanten Speck und eine ganze Tüte voll duftender Pflaumen aus dem Garten. „Faites bonne chère!“ hatte er ihnen nachgerufen.

Sie keuchten, als es steiler wurde. Schweiß tropfte über seine Stirn, rann ihm in die Augen, in den Kragen. Weiße Rinnsale würden sich dort bilden, die Sonnencreme würde die Falten seines Hemdes verkleben.

Er lief dicht hinter ihr. Sie roch immer gut, er liebte ihren Duft. „Ein Hirschkäfer“, rief sie und kniete sich mitten auf die Straße, ohne sich auch nur umzusehen.

Im letzten Jahr hatten sie für diesen Abschnitt den Bus genommen. In den vielen Kurven war ihr schlecht geworden. Es war so schlimm, dass sie aussteigen mussten und sie sich weigerte, zu beenden, was sie sich vorgenommen hatten. Was blieb ihnen übrig, sie hatten abgebrochen und sich nach einer Bleibe für die Nacht umgesehen. Vor ihnen lag ein Hof, sie konnten im Heu schlafen, in einem der festen, schweren Tücher, mit denen das geschnittene Gras von den ganz steilen Hängen geholt wurde. Er erinnerte sich an die Nacht. Es war still und dunkel. Viel dunkler, als sie es aus der Stadt kannten. Sie hatten den Wein in der Zisterne gekühlt und tranken, aßen von Lorots Vesper. Sie lehnte sich zurück. Fast moussierend kitzelte der Rosé ihren Gaumen, schmeckte nach Himbeeren, roten Johannisbeeren, Eisenkraut. Dicht beieinander liegend spielten sie, den Geräuschen etwas zuzuordnen, das sie kannten. Der schwere Duft des Heus machte sie träge und hellwach zugleich. Er mischte sich mit dem Wein, verschmolz mit der Umgebung, mit ihrem Duft.

Er streckte seine Hand nach ihr. Sie war wie weichgezeichnet. Ganz weich. Ganz leicht. Am frühen Morgen liefen sie weiter. Hatten die Wanderung fortgesetzt, als wäre nichts geschehen.

Über die Autorin: Grace Keller ist Designerin, Goldschmiedin, Bloggerin, Werbetexterin, liebt gutes Essen, lebt als alleinerziehende Mutter in Berlin und heißt in Wirklichkeit ganz anders.

 

Datum: 17.2.2018 (Update 14.5.2022)
 

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