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Kaiserstuhl: Kann man Landschaft schmecken?

Spürt ihr den Vulkan im Glas?
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Wein riechen und schmecken kann ein irres Kopfkino auslösen. Das zeigt ein nobler Spätburgunder vom Kaiserstuhl.
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Vor mir steht eine Flasche Spätburgunder von Franz Keller am Kaiserstuhl in Baden. Aus der Nobel-Klasse des Hauses, die sich „Selection“ nennt. Preispunkt: 50 Euro. Auf dem Etikett prangt stolz der schwarze Adler. So heißt übrigens auch das populäre Gourmetrestaurant des Weinguts. Ein Doppeladler, falls mich meine alternden Augen nicht täuschen.

Der Kaiserstuhl, ein alter Vulkan, der nicht mehr raucht, ist Hitzepol Deutschlands. Nirgendwo sonst werden im Durchschnitt so warme Temperaturen gemessen wie hier. Die Böden sind basisch und heizen sich schnell auf. Das poröse Vulkangestein lässt das Regenwasser schnell abfließen. Zu viel Feuchtigkeit ist ein Weinkiller. Allzuviel Trockenheit aber auch. Dafür gibt es hier jede Menge Lössboden, der wiederum Wasser speichert. So viel zu Geologie und Klima. Aber was spüre ich im Glas? Nase rein und tief Luft geholt.

Unser Hirn hat im Lauf der Jahrzehnte unfassbar viele Gerüche gespeichert und verbindet sie mit bestimmten Bildern und Erlebnissen. Man kann seinen Geschmackssinn sogar trainieren. Indem man zum Beispiel im Park eine Handvoll trockener Blätter beschnüffelt. Oder beim Kochen an jeder einzelnen Zutat schnuppert. Schon bald werdet ihr merken, dass Ihr nicht nur mehr und besser riecht. Eure ganze Wahrnehmung wird sich verbessern und euch abenteuerliche Bilder auf die Hirnrinde zaubern, wenn ihr in ein Glas guten Weins hineinriecht.

Lest hier einen Artikel, den mein Kollege Patrick Hemminger über Das Riechen und Probieren von Wein geschrieben hat:

Wie verkostet man Wein wie ein Profi?

Zurück zum Spätburgunder Selection S von Franz Keller. Was spüre ich? Ich stehe auf einer frisch geteerten Landstraße im Sommer. Die schwere Walze ist vor circa einer Woche darübergefahren. Der Belag ist jetzt hart und mit feinem Sand bedeckt. Noch mal eingetaucht. Jetzt ein neues Bild. Ein alter Holzdachboden, wieder Sommer. Durch die Ritzen schneidet die Sonne dünne Laserstrahlen. In der Ecke hängt Speck, unten steht ein alter Traktor, aus dessen Getriebe schwarzes Öl auf den staubigen Betonboden tropft. Ich finde Riechen manchmal viel spannender als Trinken. Was man danach im Mund hat, ist bisweilen leider nicht mehr der Rede wert. Aber beim Selection S von Franz Keller ist das natürlich anders.

Der erste kleine Schluck. Da ist ein feines Gitter reifer Tannine in meinem Mund. Geübte Weinkenner nennen das Struktur. Ich schmecke feine Mineralik, nein, eher kühle Salzigkeit. Und was sehe ich, wenn ich die Augen schließe? Eine karge Vulkanlandschaft (!). Eine einzige graue Geröllhalde aus bröckeligem Gestein unter einem wolkenverhangenen Himmel. Mir ist kalt. Ich kann den Berg buchstäblich schmecken, auf dem der Wein gewachsen ist. Es gilt jedoch als pure Einbildung, dass man Gestein im Wein schmecken kann, wie man inzwischen weiß. Ein Stück Vukangestein (sei es noch so mikroskopisch klein), wandert nicht von der Rebwurzel durch den Stock in die Traube. Das, was wir schmecken, sind Reize, ausgelöst durch das Zusammenspiel rasender Ione, die Signale an unsere Sinneszellen abgeben. Abgesehen davon bedeckt eine bis zu 30 Meter dicke Lössschicht den Kaiserstuhl. Bis auf einige blanke Stellen wohlgemerkt.

Aber ich schweife schon wieder ab. Zurück zum Wein. Ich nehme den nächsten Schluck. Und sehe ein verlassenes Zimmer. Da gibt es ein Nachtkästchen. Ich ziehe die Schublade auf, drin liegt eine angequetschte Mon Chéri-Praline, die jemand dort vergessen hat. Also etwas Staubigkeit, dunkle Schokolade, eingelegte Schwarzkirsche, Trockenheit. Kühle, Kargheit, Feierlichkeit. Ein Bild, entstanden aus chemischen Reizen und Erinnerungen. Ist das nicht faszinierend?

 

Datum: 1.10.2020
 

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