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Rhône: Wollt ihr mich vergiften?

Schickes neues Weingut von Delas Frères.
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Der Captain trinkt köstlichen roten Alltagswein von der Rhône und erklärt einen beliebten Trick der Weinvermarkter.
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Sorry, die Betreffzeile dieser E-Mail riecht stark nach clickbating und das ist sie auch. Manchmal kann der Captain seine berufliche Herkunft (Boulevardjournalismus) nicht verbergen. Aber halt: Für den kleinen Gag bekommst du jetzt auch einen richtig guten Alltagswein serviert, der nicht viel kostet. Inklusive eines Häppchens Weinwissen.

Ja, einen hervorragenden Alltagswein von der Rhône, der nicht viel kostet und als vielseitig einsetzbarer Speisewein taugt. Und was die dramatische Überschrift betrifft – die ergibt auch gleich Sinn.

Zunächst jedoch zur Herkunft des leckeren Tropfens: Rhône. Diese mythische Anbauregion hat schon alles hervorgebracht. Vom Kopfwehgetränk (eher von der südlichen Rhône) bis zum mehrere Tausend Euro teuren Edelwein (meistens von der nördlichen Rhône). Der Hersteller meines Abendweins Côtes du Rhône Saint-Esprit heißt Delas Frères und blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Das Weingut gehört heute der Roederer Group mit gleichnamigem Champagnerhaus, einer weiteren Champagnermarke, die → Deutz heißt, dem Weingut Ramos Pinto in Portugal, Domaines Ott in der Provence und Roederer im Anderson Valley, Kalifornien.

Wer sich ein bisschen mit der Rhône und ihrem komplizierten System von Appellationen (Weinlagen) beschäftigt, kennt die Qualitäts- und Preisunterschiede dort. Und über allem schwebt der sagenumwobene Fels namens Hermitage, der gigantische (und manchmal auch ein bisschen lahme) Rot- und Weißweine hervorbringt. Nicht zu verwechseln mit der viel größeren Appellation Crozes-Hermitage nebenan, die nicht ganz so angesehen ist.

Appellation ist alles in Frankreich und nicht nur dort, weshalb sich zurzeit in Deutschland auch Nobelwinzer und Genossenschaftskellereien kräftig an den Haaren reißen, weil eine Weinrechtsnovelle ansteht, die den Herkunftsgedanken stärker in den Fokus der Weinvermarktung rücken will, was wiederum den Massenherstellern nicht passt, die gerne weiterhin mit klingenden Lagennamen Traubensäfte unsicherer Herkunft verkaufen möchten. Dazu ein anderes Mal mehr. Ist ziemlich komplex und viel Arbeit für den Captain das aufzudröseln, damit es jeder versteht.

Zurück zum Côtes du Rhône Saint-Esprit, der jetzt richtig gut zum Thema Lagenwein passt, weil er eben keiner ist, aber so klingt. Kenner merken schon, auf welchen Pfad ich dich gerade führe, denn ein echter Lagenwein von der nördlichen Rhône kann niemals unter 10 Euro kosten. Das ist sogar in Deutschland (diesem Paradies für Preis-Leistungs-Trinker) eher selten. Der Name Saint-Esprit ist ein netter Trick, der diese Flasche in die Nähe eines Lagenweins rücken will. Es gibt nämlich keine Appellation dieses Namens, nur ein Städtchen namens Pont-Saint-Esprit etwa 100 Kilometer südlich von Tain-l’Hermitage, wo Delas Frères zu Hause ist. Die Trauben meines Côtes du Rhône Saint-Esprit kommen aus der Côtes du Rhône AOC, also dem gesamten Anbaugebiet Rhône mit rund 84.000 Hektar Rebland. Zum Vergleich: ganz Deutschland verfügt über knapp 105.000 Hektar Weinland.

Wahrscheinlich gab es noch kein Google, als der Côtes du Rhône Saint-Esprit erfunden wurde, denn in der 1.500-jährigen Geschichte von Pont-Saint-Esprit gab es nur ein einziges denkwürdiges Ereignis: eine Massenvergiftung durch Brot im August 1951. Ich zitiere aus Wikipedia: Sieben Personen starben, 50 wurden (wegen Halluzinationen) in psychiatrische Kliniken eingewiesen, weitere 250 Personen litten unter mehr oder weniger schweren Vergiftungssymptomen. Die Einwohner der Stadt gerieten in Panik und es gab langanhaltende und weitreichende Spekulationen über die Ursache der Katastrophe. In einem 2008 erschienenen Buch wurde die Behauptung aufgestellt, dass es sich um einen Feldversuch der CIA gehandelt habe, in dem die Wirkung von LSD und dessen Verwendung als Waffe getestet werden sollte.

So, jetzt verstehst du auch meine reißerische Betreffzeile, die in der Rückbetrachtung fast schon seriös wirkt, oder? Dann kann ich ja zur Verkostung des Côtes du Rhône Saint-Esprit aus viel Syrah und ein bisschen Grenache schreiten: In der Nase frisch nach Brombeere, Roter Beete, Kokosraspeln, Veilchen und Handcreme. Im Mund mittelgewichtig und fleischig-fruchtig wie der Biss in eine Wassermelone. Ich schmecke Granatapfelsaft, dunkle Kirschen, Orangenschale, schwarzen Pfeffer und genau das richtige Quentchen Extraktsüße, um als universaler Speisebegleiter neben jedem Teller bella figura zu machen. Richtig schöner Gute-Laune-Rotwein.

Vor wenigen Jahren wurde bei Delas ein neues Weingutsgebäude errichtet, entworfen von einem renommierten → Architektenbüro. Es besteht aus Sandsteinblöcken (Foto oben), die mit einer Computerfräse zurechtgeschnitten wurden und in ihrer Anordnung ganz augenscheinlich von den Weinterrassen des Hermitage-Felsens inspiriert sind. Aber das ist nur eine Vermutung, die nicht von meinem saftigen Preis-Leistungs-Bringer ablenken soll, den ich dir als Zwischendurch-Wein oder für die große Festtagstafel empfehle, wenn viele Leute am Tisch sitzen, für die man nicht die ganz großen Granaten aus dem Keller zaubern will, weil es nicht nötig ist.

 

Datum: 30.9.2020
 

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