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Prosecco Ruggeri: Rotkäppchens Wolf

Paolo Bisol, Ruggeri-Chef und Rotkäppchens Angestellter.
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Wie geht es dem großen Rotkäppchen in der Krise? Alles (noch) halbwegs paletti, heißt es. 2017 kaufte der deutsche Sektgigant Rotkäppchen das noble Prosecco-Weingut Ruggeri. Jetzt präsentiert der Konzern einen neuen Italo-Sprudler mit viel Frische-Knack.
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Die deutsche Weinbranche (und nicht nur die) ächzt und stöhnt. Es gibt 1.000 Gründe zu klagen. Aber wie geht’s Rötkäppchen in der Krise? Immerhin ist das Unternehmen der größte deutsche Weinhersteller.

Eben kamen die aktuellen Bilanzzahlen raus: 2019 stieg der Umsatz um 2,7 Prozent auf 1,114 Mrd. Euro. Noch besser lief der Verkauf, der um 11,7 Prozent auf 310 Mio. Flaschen kletterte. Auch wenn diese Marktmacht einigen aufstößt: Das Rotkäppchen schreibt eine der beeindruckendsten Erfolgsstories der jüngeren deutschen Wirtschaftsgeschichte. Lies hier, was Deutschlands bester Sektmacher Volker Raumland über die riesige Konkurrenz sagt:

Rotkäppchen darf nicht Sekt heißen!

Dabei müsste das Rotkäppchen eigentlich Dornröschen heißen, denn es wurde aus der Konkursmasse der untergegangenen DDR vom eigenen Management und der Familie Eckes-Chantré (Granini) herausgekauft, aufgepäppelt und ist heute ein mittelständisches Familienunternehmen mit fast 1.000 Angestellten. Weil der Captain ein ziemlich neugieriger Captain ist und in der aktuellen Berichterstattung über das Rotkäppchen nicht viel über die Krisenbewältigung zu lesen ist, rief er im Unternehmen an und bekam folgende Informationen:

  • Die Firma plant kurzfristig keine staatliche Hilfe zu beantragen. Auch Kurzarbeit sei bis auf weiteres kein Thema. Zitat: Als Familienunternehmen werden wir das durchstehen, solange es geht.
  • Durch den Zusammenbruch des Gastronomiegeschäfts wird es Einbrüche geben. Vor allem beim Tochterunternehmen Geldermann. Ansonsten ist man gut aufgestellt, weil die Supermärkte offen bleiben. Zitat: Wir sind voll lieferfähig.
  • Da vermutlich das Ostergeschäft ausfällt, weil es (wenn überhaupt) nur kleine Familienfeiern gibt und auch keine Erstkommunions-Feiern stattfinden, rechnet man dennoch mit Einbußen im Verkauf. Zitat: Die Produktion läuft mit kleinen Einschränkungen trotzdem weiter.
  • Ein kleiner Lichtblick ist der Onlineverkauf von Wein durch die Unternehmenstochter Ludwig von Kapff. Zitat: Das Geschäft hat sich in den letzten zwei Wochen verdoppelt.

Was nur wenige wissen: Neben der Sektmarke Geldermann und einem Joint Venture mit dem Weingut Markgraf von Baden gehört auch ein renommierter Prosecco-Hersteller zum Premium-Portfolio des Rotkäppchens: Ruggeri.

Wer ist das und wie schmeckt das wichtigste Produkt dieses Hauses? Dein Captain weiß Bescheid.

Denn kurz nachdem die dunklen Wolken der Corona-Pandemie auch über der Weinwelt aufgezogen waren und klar wurde, dass die größte Weinfachmesse der Welt (ProWein in Düsseldorf) abgesagt wird, bekam der Captain hektisch eine Flasche Schaumwein von einer PR-Agentin zugeschickt: Sensation! Bitte berichten! So ungefähr tönte das Begleitschreiben. Es handelt sich nämlich um den ersten Valdobbiadene Prosecco Superiore DOCG „Extra Brut“, hergestellt von Ruggeri.

Aha. Und was soll daran besonders sein?

Die Begründung steht im Kleingedruckten der italienischen Weinbürokratie, die der deutschen im Ausmaß ihrer Absurditäten um nichts nachsteht: Erst seit August 2019 erlaubt das Regelwerk des Prosecco Superiore DOCG die offizielle Zulassung für die Geschmacksstufe „Extra Brut“. Wie bitte, ein Verbot behinderte den weltweiten Drang erfahrener Weingourmets zu immer trockeneren Schäumern? Korrekt. So war es.

6 Monate später präsentiert Ruggeri als erste Kellerei ihren extra-bruten Prosecco Superiore DOCG. Wie war das so schnell möglich, der Produktvorlauf für so einen Schäumer müsste doch viel länger sein? Wegen Hefelager und so. Es ging, weil die schlauen Ruggeri-Gründer namens Bisol schon seit der Jahrtausendwende einen Schäumer dieses Typs im Programm hatten, ihn aber aus weinrechtlichen Gründen nicht Prosecco nennen durften. Das einzige, was noch zu tun war: neue Etiketten drucken und Marketingstrategie austüfteln.

Leider hatten die Bisols nicht immer so viel unternehmerischen Weitblick. Oder einfach Pech. 2017 mussten sie ihren Familienbetrieb, der seit den frühen 1950er-Jahren existierte, abstoßen. Die Bisols gelten als Qualitätstreiber des Prosecco und haben wesentlich Anteil an der Verfeinerung des sogenannten Tank-Gärverfahrens, das man auch Charmat-Martinotti-Methode nennt. Genau deshalb schlug der deutsche Sektriese Rotkäppchen-Mumm zu, als Ruggeri auf den Markt kam. Nach der Übernahme durch Rotkäppchen durfte die Familie Bisol in der Firmenleitung verbleiben.

Ja, Ruggeri ist ein think tank der Tanks und dafür bekannt, hervorragend ausgebildete Prosecco-Macher ins Berufsleben zu schicken. Hat das Rotkäppchen seinen Wolf adoptiert, weil der ihm zeigt, wo der Bartl den Most holt? Unternehmens-Sprecher Ulrich Ehmann zum Captain: Durch den Kauf von Ruggeri findet ein interessanter Wissens-Transfer statt. Wir lernen viel dazu.

Schmeckt Rotkäppchen-Sekt bald ein bisschen nach Prosecco? Das fragt sich der Captain rhetorisch und öffnet die brandneue Flasche Prosecco Valdobbiadene Superiore Extra Brut DOCG Saltèr von Ruggeri aus dem Most von blumig-fruchtigen Glera-Trauben, ein bisschen Verdiso (mittelgewichtig, floral) und Perera (typische Birnen-Aromatik). Die fruchtige Mischung lag 60 Tage im großen Stahltank und wurde mit mageren 4,5 Gramm Zucker (pro Liter) aufgepeppt: Im Glas glänzendes Hellgelb, sehr lebendige Perlage, die in dünnen Fäden aufsteigt. In der Nase kühle und florale Fruchtnoten, dann Fruchtfleisch von Pfirsich und Birne, Pampelmuse, leichte Kräutrigkeit. Im Mund: mittelfeine Perlage, Säure und Bitternoten sind weich, feine Blüten-Aromatik. Ich schmecke viel gelben Apfel, Birne, Hollunder. Dann etwas Tannennadeln und ein bisschen Salz. Wer Fruchtigkeit, Frische und dezente Würze mag, ist mit diesem Prosecco gut bedient.

Der in der Regel leichte Prosecco wird fast im ganzen Nordosten Italiens aus Glera-Trauben hergestellt, die zarte Aromen von Jasmin, Orangenblüten, grünen Äpfeln, Birnen, Zitronen und exotischen Früchten vermitteln. Andere Sorten wie zum Beispiel Chardonnay und Pinot Grigio dürfen im Umfang von bis zu 15% beigemischt werden. Glera ist berühmt für extrem lange und goldgelb leuchtende Trauben, die wie missglückter Christbaumschmuck wirken. Noch was für den Weinkenner-Smalltalk: Prosecco (oder Prosek) ist ein Vorort von Triest, in dem eine slowenische Sprachminderheit lebt. Nach ihm wurde das Getränk benannt.

Was heißt eigentlich Prosecco DOCG und worin liegt der Unterschied zu Prosecco DOC? DOC heißt „kontrollierte Ursprungsbezeichnung“, während DOCG „kontrollierte und garantierte Ursprungsbezeichnung“ bedeutet. Letztere ist strenger überwacht. Die DOCG-Richtlinien sehen vor, dass amtlich bestellte Verkoster den Prosecco vor der Abfüllung probieren. In der Region Conegliano Valdobbiadene DOCG gibt es mehr als 150 Hersteller, die zusammen ein Schutzkonsortium gegründet haben: Consorzio per la Tutela del Prosecco di Conegliano e Valdobbiadene. Asolo DOCG (entspricht Superiore-Qualität) verfügt über ein eigenes Konsortium mit 94 Herstellern. Die im Vergleich zum Prosecco DOC wesentlich kleineren DOCG-Produktionsgebiete liegen nebeneinander und ca. 50 Kilometer von Venedig entfernt. Die Qualitätspyramide des Prosecco sieht so aus:

1.Valdobbiadene Superiore di Cartizze DOCG
2.Valdobbiadene Prosecco Superiore Rive DOCG
3.Conegliano Valdobbiadene Prosecco Superiore DOCG
4.Asolo Prosecco DOCG
5.Prosecco Treviso DOC
6.Prosecco DOC

Noch mehr Prosecco-Fakten und wie gut auch günstiger Prosecco schmecken kann, berichtet der Captain hier:

Was genau ist Prosecco?

Wie funktioniert das Tank-Gärverfahren bei Schaumwein? Im Gegensatz zu Champagner und Franciacorta DOCG wird Prosecco in der Regel nach der sogenannten Charmat-Martinotti-Methode hergestellt, bei der die sekundäre Gärung nicht in der Flasche, sondern in großen Edelstahltanks stattfindet, wodurch die Herstellung deutlich günstiger wird und die Mindestproduktionszeit 30 Tage beträgt. In dieser Phase fressen Hefebakterien den Zucker im Wein und erzeugen natürliche CO2-Bläschen und Alkohol. Danach wird die Hefe herausgefiltert und der Schaumwein in Flaschen gefüllt. Wer diesen Prozess nicht meisterhaft beherrscht, muss technische (also künstlich erzeugte) Kohlensäure nachpressen. Das wiederum macht die Perlage grob und mindert den Trinkspaß. Top-Prosecco liegt bis zu 9 Monate auf der Hefe. Die DOCG-Regeln für Prosecco erlauben aber auch die Anwendung der traditionellen Flaschengärung wie in der Champagne, die in Italien Método Classico heißt.

Und was bedeutet der Zusatz „Superiore“ im Reich der Prosecco DOCGs? Die Trauben eines Prosecco Superiore DOCG wachsen ausschließlich auf Hanglagen in den hügeligen Anbaugebieten Conegliano Valdobbiadene (6.860 Hektar) und Asolo (1.783 Hektar). Die Steilheit der Hügel bedeutet, dass vom Schnitt bis zur Ernte sehr viel von Hand gemacht wird. By the way: Die allerfeinsten Prosecco-Trauben kommen aus dem höher gelegenen Cartizze-Gebiet mit seinen wertvollen und quasi unverkäuflichen Lagen. Cartizze-Prosecco schmeckt nussiger, etwas breiter und mineralischer. Nur 25 Winzer verfügen hier über Rebstöcke. Ruggeri gehört dazu. Auch deshalb dürfte sich der Ankauf des Drucktank-Pioniers Ruggeri (füllt ca. 2 Mio. Flachen pro Jahr) für Rotkäppchen-Mumm gelohnt haben. Der entsprechende Schäumer kostet → um die 20 Euro. Nicht mehr? Nein, zu lange haben die Prosecco-Winzer der Flutung mit billigen Imitaten und echtem Schrott zugesehen. Davon hat sich das Anbaugebiet noch lange nicht erholt.

Übrigens, in der kleinen Asolo Prosecco DOCG darf man schon länger extra-bruten Prosecco herstellen und auch so nennen. Dieses kleine Detail wird in der Ruggeri-PR diskret verschwiegen. So viel zu den Marketing-Tricks der Weinbranche.

 

Datum: 1.4.2020 (Update 2.4.2020)