Heute am Morgen sprach der Captain lange mit der Managerin eines alteingesessenen Bremer Weinhandelshauses über das Subskriptionsgeschäft mit blutjungen Bordeaux-Weinen und wie es angesichts dreier hervorragender Jahrgänge hintereinander an Fahrt aufnimmt.
Weine subskribieren heißt bestellen, bezahlen, aber noch nicht erhalten. Das macht nur Sinn, wenn die Ware knapp ist und die Preise steigen. Wer subskribiert, bleibt von Lieferengpässen und eskalierenden Preisen verschont. Dieses Business war in den letzten Jahren etwas ins Stocken geraten, heißt es. Aus einfachem Grund: Die Preise stagnierten, fielen teilweise sogar. Jetzt ziehen sie wieder an.
Die Dame berichtete außerdem, wie erstaunlich trinkreif viele dieser jungen Weine jetzt schon sind. Sie hält das für einen klar erkennbaren Trend, ausgelöst durch moderne An- und Ausbaumethoden, welche elendig lange Wartezeiten (bei Spitzenweinen aus dem Bordelais sind 10 Jahre ganz normal) bis zur Reife überflüssig machen.
Dieser Beobachtung kann sich der Captain nur anschließen, denn so ein schnell gereifter Bordeaux-Brummer liegt bei ihm heute im Glas. Es ist der in mehrfacher Hinsicht moderne → Shelby Company Ltd Saint Emilion Grand Cru von Vignobles Bardet, den Winzer Thibaut Bardet in Zusammenarbeit mit den Machern der britischen TV-Serie Peaky Blinders auf die Straße brachte und damit eindeutig junge Nachwuchstrinker ins Fadenkreuz nimmt, die sonst nicht als BDX-Publikum auffallen: Klassische Bordeaux-Blend vom rechten Ufer aus 61% Merlot und 39% Cabernet Franc, die 14-16 Monate im Eichenfass reiften und dann als Assemblage für weitere 3-4 Monate in den Betontank gelegt wurden. Im Glas blutrot und leicht trüb. In der Nase Linzer Torte (Mürbeteig und Gelee von Roten Johannisbeeren), Schwarze Johannisbeere, etwas frisch geteerter Asphalt, Kokosfleisch, Lebkuchenwürze mit deutlicher Kardamon-Note, dunkle Schokolade. Im Mund mittelgewichtig, saftig, würzig und dabei weich durch samtige Tannine. Ich schmecke Schwarze Johannisbeere, Pflaumenmus, Schwarzkirsche, getrocknete Feige, dunkles Nougat. Am Gaumen herbe Kräuterwürze und ein bisschen Orangenschale mit zarten Bitternoten. Dieser zugängliche Wein ist für BDX-Einsteiger und bewusst auf reif getrimmt – ein önologischer Trend, der erklärt werden muss.
Peaky Blinders läuft bei uns auf Netflix und ist ein gewalttätig-romantisches Gauner-Epos, das in den 1920er-Jahren spielt.
Und so sieht es bei den Bardets zu Hause am Fluss Dordogne aus. Man muss ein paar Sekunden warten, bis es hell wird:
Die Trauben für die Peaky-Blinders-Blend wurden im Herbst 2018 gelesen und der fertige Wein liegt schon wie eine Kaschmirdecke auf der Zunge. Nicht dass der Captain regelmäßig in Kaschmirdecken beißt, aber du weißt schon, was ich meine.
Wie ist das möglich? Sabrina Hambloch, die deutsche Exportmanagerin der Vignobles Bardet erklärt: Philippe Bardet betrieb schon in den 1980er-Jahren öko-orientierten Anbau und ließ zwischen den Rebzeilen Unkraut wachsen, als im ganzen Bordelais wegen massenhaften Gebrauchs von Pflanzengiften dort kein Leben existierte. Der findige Winzer entwickelte zwei Geräte, die sogenannte (1) Tribaie, welche Beeren sortiert und reinigt, indem sie Ablagerungen, Blätter und unreife oder angefaulte Früchte entfernt. Mit der (2) Calibaie werden die besten Beeren ausgewählt, indem die kleinsten, zuckerreichsten von den großen Beeren getrennt werden.
Das findet der Captain interessant, ist aber noch nicht ganz zufrieden. Deshalb ruft er seinen Freund an, den globalen Weinberater Jens Heinemeyer aus dem Rheingau, bei dem der Captain immer landet, wenn er önologisch auf dem Schlauch steht. Jens, wie macht man bitteren Wein schneller weich?
Heinemeyer steht gerade im Tiefkeller seines kleinen, aber feinen Pinot-Noir-Betriebs → Solveigs und muss für besseren Handyempfang nach oben. Er sagt: Das ist möglich und sehr komplex.
So etwas sagt Jens immer, wenn er ahnt, dass der Captain gleich etwas nicht rafft. Dann folgt ein Vortrag mit viel Mikrobiologie und Weinbereitung mit dem Fazit: Es geht nicht zwingend um die absolute Menge der Bitterstoffe im Wein, sondern um ihr Mengenverhältnis zueinander und wie man es schafft, dass sie sich gegenseitig ausgleichen. Beim Weichmachen eines Weins muss man das Phenolmuster verschieben, sagt Jens.
Das lässt such durch verschiedene Maßnahmen bewerkstelligen. Ein Beispiel ist die Beigabe von Holzchips in die Maische oder das Einträufeln von Tanninextrakten. Auf diese Weise manipuliert man das Phenolspektrum im Wein und macht ihn weicher. Hinweis auf den Einsatz dieser Methode ist übrigens eine zart-bläuliche Färbung im Wein, verrät Jens.
Aha, denkt der Captain, wieder was gelernt. Übrigens: Bei der normalen (und langsamen) Reifung verbinden sich die Polyphenol-Moleküle zu langen Ketten und wirken auf der menschlichen Zunge weicher. Das liegt daran, dass die humanen Geschmackspapillen diese langen Ketten sensorisch nicht mehr wahrnehmen. Der Wein wirkt weicher, obwohl er das gar nicht ist.
Ende des Vortrages und zurück zum Wein. Der ist in Deutschland (noch) gar nicht verfügbar. Weil der Captain ihn trotzdem trinkenswert findet, kann man ihn direkt in Saint-Émilion bestellen. Leider kostet der Versand über die deutsch-französische Grenze (bzw. auch nach Österreich) richtig viel Geld: 25 Euro für egal wie viele Flaschen. Wer diesen (sensorisch und vermarkterisch) bemerkenswerten Bordeauxwein dennoch ausprobieren möchte, kann ihn via E-Mail bestellen. Einfach an → vignobles@vignobles-bardet.fr schreiben.
Und jetzt noch ein bisschen Weinbildungsprogramm: Was bedeutet „Grand Cru“?Die Bezeichnung kommt aus dem Französischen und heißt „großes Gewächs“. Meistens sind damit die besten Lagen eines Anbaugebiets und die dort hergestellten Weine benannt. Grand Cru wird in den Regionen Bordeaux, Burgund, Champagne und im Elsass nicht einheitlich verwendet.
Manchmal ist ein Wein gemeint, manchmal ein Weingut und manchmal ein ganzes Dorf. Man muss immer beachten, woher der Wein kommt. In Bordeaux werden in der Regel einzelne Weingüter mit dem Prädikat Grand Cru ausgezeichnet. Aber nicht überall.
Als die Weine des linken Ufers in der ursprünglichen Klassifikation des Médoc von 1855 klassifiziert wurden, berücksichtigte niemand die Châteaux des rechten Ufers. Im Jahr 1955 wollten die Winzer der wichtigen Appellation Saint-Émilion ihre Weine bei den Verbrauchern bekannter machen und einigten sich mit den Négociants (Händlern) darauf, eine eigene Klassifikation zu erstellen. Die unterschied sich in vielerlei Hinsicht von der 1855er. Am wichtigsten ist, dass Terroir und Weinberg klassifiziert wurden und nicht das Château. Diese Klassifizierung wird im Schnitt alle 10 Jahre aktualisiert.
Neben den Grand-Cru-Saint-Émilion-Weinen gibt es aber auch die Grand-Cru-Classé-Saint-Émilion-Weine, die theoretisch von besseren Weinbergen stammen. Aber nur theoretisch, denn viele Winzer wollen gar nicht in die Oberklasse Grand Cru Classé aufsteigen, weil damit hohe Kosten verbunden sind. Jeder einzelne Grand-Cru-Classé-Wein muss nämlich sein eigenes Château und einen eigenen Keller haben. Das ist völlig verrückt und unökonomisch für Betriebe, die mehrere Weine herstellen.