Neulich konnte man den Rheingauer Winzer Urban Kaufmann in einem Corona-Wein-Video zusehen und hören. WeinTalk@Rheingau heißt das krisenbedingte Format und wird von einer stets glückseligen Rheingauer Weinkönigin Valerie Gorgus moderiert.
Jeden Donnerstag geht WeinTalk@Rheingau auf Sendung. Nachschauen kann man’s vermutlich bis zum Ende der Welt. Das Netz vergisst nichts. Nun ja.
Am 15. Mai war Urban Kaufmann mit dabei. Neben ihm saß Markus Bonsels vom Weingut Bibo Runge. Angesichts der Fragen der kichernden Weinkönigen schlugen sich beide ganz solide. Wobei in Sachen Weinmarketing und Selbstdarstellung Bonsels eindeutig die Nase vorne hatte. Irgendwie gewann man den Eindruck, der Mann gefiel sich als Selbstdarsteller einfach besser als Kaufmann, der in der Schweiz eine große Käserei leitete, bevor er nach Deutschland ging, um sich dem Wein zuzuwenden. Der wurde von Gorgus zwar nach seinem Hobby (er züchtet Brieftauben) befragt, durfte jedoch kaum eine Antwort geben. Die Weinkönigin hatte nämlich schnell, vielleicht zu schnell, schon den nächsten Wein parat und schien an Antworten aus diesen oder jenen Gründen auch nicht sonderlich interessiert zu sein.
Ein paar schöne Sätze spendierte Kaufmann diesem Format à la After-Dschungel-Camp-Talk aber doch. Als es in den Anfängen des Weinguts nämlich darum ging, den → Namen von Hans Lang in Kaufmann zu transformieren, sagte er: „200 Prozent Wiedererkennung und aufgeräumt.“
Das sei dem Weingut mit seinem Etikett in Signalrot vortrefflich gelungen, fabulierte die Weinkönigin euphorisch und handelte sich von Urban die leise Antwort ein, dass es sich tatsächlich um ein „Schweizer Rot“ handeln würde. Die Unterschiede der Farben sind frappierend und liegen ganz unmittelbar im Detail. Ein Mienenfeld. Um den Kaufmann’schen Wein ging’s auch ab und an. Ob der Name seines Rieslings Tell denn sozusagen ein Anglizismus sei, so nach dem Motto Tell me more, fragte die nonchalante Moderatorin an einer Stelle. Urban Kaufmann blieb tapfer. Der Mann ist Schweizer, nimmt alles blitzgescheit auf und spricht seine Verarbeitung bedächtig aus. Was einigermaßen träge klingt, kann bisweilen von äußerst scharfer Klinge sein. Da wollte Kaufmann die Dame womöglich nicht auch noch mit einem Wein der anderen Art herausfordern und ließ seine ganz besonders trockene Köstlichkeit in weiser Voraussicht gleich zuhause stehen: Kaufmanns brandneuen Orange-Silvaner CHF.
Mit Engelszungen hatte seine Lebensgefährtin Eva Raps (ehemalige Geschäftsführerin des Winzerverbands VDP) ihn damals davon überzeugt, die 25-jährigen Silvaner-Reben nicht mit Riesling zu ersetzen. Urban ließ sie nicht nur stehen, sondern 2018 daraus diesen Orange-Wein entstehen, der für so vieles stehen könnten.
Da wäre zunächst die Genauigkeit, mit der Urban Kaufmann seine Weine in aller Regel begleitet, weil ihm Kontrollverlust ein Gräuel ist. Kein Wunder, dass seine Expertise beim Pinot Noir liegt. Jener Rebsorte, die bei ihrer Entstehung zum Wein penible Aufmerksamkeit verlangt. Jeden Tag, jede Stunde, eigentlich immer.
Keine andere Rebsorte ist bei ihrer Bereitung zu einem Wein nachtragender. Eine kleine hygienische Unaufmerksamkeit im Keller genügt, um einen potenziell großen Pinot zu einem Vesperwein zu verhunzen. Kaufmann würde sich so ein Malheur nie verzeihen. Vermutlich passiert es ihm deshalb nicht.
Nun hat er also – weil es seine Lebensgefährtin so sehr danach dürstete – die Silvaner-Trauben aus dem Jahrgang 2018 wie einen Rotwein zubereitet.
Solcherlei Tropfen nennt man dann Orange-Weine. Nicht zuletzt deswegen, weil auch die Beeren weißer Rebsorten Farbstoffe besitzen und diese während der Maischegärung an den werdenden Wein abgeben. Der Wein färbt sich mehr oder weniger orange. Freilich wird dabei nicht nur die Farbe beeinflusst, sondern noch entscheidender der Geschmack. Denn auch in den Schalen weißer Trauben stecken Gerbstoffe, die peu à peu in den Wein gelöst werden.
Kaufmann mag es eigentlich aufgeräumt, klar, sauber.
Da stellt sein maischevergorener Silvaner eine Gratwanderung dar. Der Wein hat so gar nichts mit jenem Silvaner zu tun, dessen Aromaprofil aus viel Birne und wenig Kräuterwürze festgeschrieben ist. Wenn in Beschreibungen von Silvaner-Weinen dann und wann von Fruchtbomben gesprochen wird, ist Kaufmanns Silvaner, den er nach der Schweizer Franken-Währung CHF taufte, eine wahrhaftige Kräuterbombe:
Er duftet nach Anis, Ysop, Melisse, Salbei. Hildegard von Bingen hätte ihre helle Freude an diesem Wein, der zu ihren Lebzeiten als Allheilmittel noch außer Frage stand. Wenn es doch etwas Frucht sein darf, weht die als angetrocknete Zitrone, Aprikose oder Apfelchip aus dem Glas, will sich aber zu keinem Zeitpunkt festlegen, sondern wandelt sich von einer Minute zur anderen, von einem Schluck zum nächsten. Und genau darin liegt die Faszination hervorragend bereiteter Orange-Weine. Im köstlichen Sinn burschikos gibt sich der CHF dann auch am Gaumen, vereint gerbstoffherbe Textur mit strahlender Säure und einem Garten aus aromatischen Heilkräutern.
Bei so viel Extravaganz im Glas könnte glatt der Eindruck entstehen, dass der Trinkgenuss rasch auf der Strecke und die Flasche halbvoll im Kühlschrank stehen bleibt. Nicht die Bohne! Dass der CHF bis zur Flaschenneige ein nicht nur spannender, sondern auch delikater Trunk ist, hat auch damit zu tun, dass Kaufmann ihn mit der gleichen peniblen Handwerkskunst bereitete, die er allen anderen Weinen angedeihen lässt.
In welche Sphären der WeinTalk geraten wäre, wenn Kaufmann den Trunk doch noch ausgeschenkt hätte, wissen wir nicht. Was wir an dieser Stelle aber unbedingt wiedergeben möchten, ist, dass Eva Raps gut daran tat, ihren Mann am Ausreißen der alten Anlagen zu hindern. Und zweitens, drittens, viertens und so weiter, dass der Silvaner eine Rebsorte ist, die auch in Riesling-Hochburgen wie dem Rheingau kein Blatt vor den Mund nehmen muss.
Bei ihrem CHF haben Eva Raps und Urban Kaufmann alles auf eine Karte gesetzt. Die heißt Orange. Das Blatt ist gut. Aber noch lange nicht alles, was der Silvaner auch im Rheingau noch in petto hat. Trumpf Riesling. Nimm dich in Acht.
Axel Biesler ist gelernter Winzer und Sommelier. Er schreibt für verschiedene Fachzeitschriften. Von 2013 bis 2017 betreute er als Verkostungsleiter Köln den Falstaff Weinguide Deutschland. Seit der Ausgabe 2019 verantwortet Biesler die Region Rheingau im Gault & Millau Weinguide. Wenn seine Leidenschaft sicherlich den deutschen Gewächsen gilt, so hält Biesler seine Sinne doch stets für die gesamte Weinwelt offen. Er lebt, trinkt und schreibt in Isernhagen bei Hannover.