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Molitors Nicaragua-Experiment

Nicaragua ist schön. Aber ich habe jetzt Bock auf Riesling.
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Ratet mal, was passiert, wenn ein Weltklassewinzer auf einen Whiskyprofi trifft? Dann gibt es Wein. Aber einen ganz besonderen.
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Was wäre die Weinwelt ohne ihre verrückten Winzer und Weintrinker, ohne die bunten Vögel?

Ohne die fanatischen Weinmacher, die neue Wege gehen und jenseits aller ökonomischen Vernunft Jahre ihres Lebens in etwas reinstecken, das vielleicht nie jemanden interessiert?

Oder jene Spinner, die ein Vermögen für ganz bestimmte Flaschen ausgeben und dann glücklich wie ein Kind vor dem Glas sitzen, sodass sich manche in der Familie fragen, ob es denn nicht langsam Zeit für ein Entmündigungsverfahren sei, bevor das ganze Geld weg ist?

Solche Weinverrückte sind zum Beispiel der Moselwinzer Markus Molitor und Whisky-Agent Carsten Ehrlich aus Limburg an der Lahn.

Ihnen und allen anderen bunten Weinvögeln ist dieser Artikel gewidmet.

Kennern braucht man Markus Molitor nicht mehr vorzustellen.

Molitorweine (und ganz besonders seine Rieslinge) gehören zum Feinsten, das Deutschland in die weite Welt hinausschickt. Oder selber trinkt.

Zum Weingut gehören 25 verschiedene Weinlagen mit eigenen Böden, Mikroklimata und Sonnenausrichtung, die Molitor mit seinen Leuten beackert (ausnahmsweise passt hier das arg strapazierte Verb aus der Landwirtschaft) und streng voneinander getrennt vinifiziert.

„Jede Lage, sogar jede Weinbergsparzelle hat einen ganz eigenen Charakter – vergleichen Sie es mit Familienmitgliedern: Auch in der Familie haben alle viele Gemeinsamkeiten und doch ist jeder auf seine Weise ganz individuell, und somit einzigartig und unvergesslich.“

Markus Molitor

Der Irrsinn (oder Ehrgeiz) von Molitor besteht darin, jede Lage als Solitär zu betrachten und entsprechend zu behandeln, um ihr Wesen möglichst konturiert in die Flaschen zu bringen.

Am besten, wir lassen den Meister selbst erklären:

Weil diese Weine sich jeder etablierten Klassifizierung (inklusive der des Premiumwinzerverbands VDP) entziehen, hat Molitor kurzerhand sein eigenes System entwickelt.

Gottlob ist es gar nicht so schwer zu begreifen.

Es gibt Kabinettweine, Spätlesen und Auslesen, wie in vielen anderen Weingütern auch. Auf den Flaschen steht die Herkunft, zum Beispiel Bernkasteler Badstube.

Die Kapsel signalisiert durch die Farbigkeit den Süßegrad. Weiß = trocken, graugrün = feinherb, gold = edelsüß.

Bei den Auslesen geht Molitor noch weiter und lässt sie über 4 weitere Stufen springen. Wenn sie das schaffen. Er vergibt null bis drei Sterne. Je nachdem, wie gelungen er den jeweiligen Wein aus dieser Lage findet. Wie sind Extrakt, Substanz, Druck, Grandezza? Jeder Jahrgang wird neu bewertet.

Das ist ganz schön mutig. Wer sich selbst benotet, bekommt früher oder später ein Glaubwürdigkeitsproblem. Das kennt man ja aus der Finanzwirtschaft.

Stimmt. Aber bei Molitor funktioniert das Prinzip eben.

Kommen wir zum Verrückten Nr. 2: Carsten Ehrlich.

Der Mann handelt mit Whisky und Rum und kommt dabei ziemlich rum. Nach Schottland, Irland, Mittelamerika und Asien, wo für das gute Zeug besonders großzügig gezahlt wird.

Man muss sich dieses Geschäft so vorstellen: Da gibt es die Erzeuger, also Brennereien. Darunter Hunderte kleine Betriebe, die absolute Spitzenbrände liefern. Das Feinste vom Feinsten. Die beliefern in der Mehrheit den Handel nicht direkt. Denn dazwischen hat sich eine fast schon geheime Bruderschaft etabliert, die sogenannten Agenten. Diese Agenten bekommen aus einem Pool ihre Fässer zugeteilt, die sie dann weiterverkaufen. An Handelsfirmen oder Vermarkter, die ihr eigenes Label draufkleben.

So einer ist Ehrlich.

Natürlich muss man in diesem Beruf eine gewisse Leidenschaft für alkoholhaltige Getränke empfinden, über eine feine Zunge verfügen und grundsätzlich von Entdeckerneugier getrieben sein.

Es war also nur eine Frage der Zeit, bis Ehrlich ans Thema Wein andockte.

Und damit anfing, Wein anders zu trinken.

Nicht so, wie viele Weintrinker Wein trinken. Er tastete sich in Gesellschaft kundiger Menschen an die großen Tropfen ran. Betreutes Trinken könnte man das auch nennen.

Der eine hat einen Keller voller Raritäten bis in die 1930er-Jahre zurück. Der andere bringt immer wieder mal ein Fläschchen aus dem Sauternes mit. Und ein Dritter feierte seinen 80igsten Geburtstag mit dem Besten von der Mosel.

So entdeckte Ehrlich das Universum Molitor.

„Molitor ist ein Winzer mit großartiger Individualität. So etwas schätzen wir aus der Whiskywelt sehr. Diese Einzellagen-Vielfalt ist grandios und wird niemals langweilig.“

Carsten Ehrlich

Es kam, wie es kommen musste. Irgendwann standen sich Molitor und Ehrlich gegenüber. Zwei Welten, die vieles gemeinsam haben. Zum Beispiel das Ding mit den Fässern.

Lest hier meinen Artikel darüber, wie Carsten Ehrlich die gesamte Ausbeute einer berühmten Weinlage aufkaufte:

Schatz, ich habe bei Molitor einen Jahrgang gekauft

Man lernte sich besser kennen, kostete sich gemeinsam durch die Jahrgänge, probierte von diesem und von jenem Hang.

Und dann wurde eine Idee geboren.

Schon länger lassen sich die hippen Whiskybrennereien gebrauchte Fässer aus den Weinregionen kommen. Wahrscheinlich fingen die Schotten von Balvenie damit an, als sie ihren Schnaps in Portweinfässer legten. Auch Sherryfässer sind sehr beliebt. Andere hantieren mit Fässern aus dem Sauternes. Oder leeren Rieslinggebinden.

Aber andersrum? Das gab es vermutlich noch nie.

Wein ins Whiskyfass legen. Oder in ein Rumfass aus Nicaragua. Wo der dunkelbraune Saft aus Zuckerrohrmelasse seine Spuren hinterlässt. Wer weiß, was dabei herauskommt? Markus Molitor fand diese Frage jedenfalls interessant.

Riesling aus dem Holzfass – heutzutage juckt das ja keinen mehr. Als vor ein paar Jahren im Weingut Von Winning (Pfalz) damit angefangen wurde, war der Aufschrei noch groß. Auch bei Molitor war man immer offen für das Wagnis.

Aber Riesling im Rumfass – muß das denn sein?

Mein erster Gedanke, als ich von diesem Experiment hörte, war: Das kann nicht gut gehen. Wie soll denn so ein eleganter Riesling schmecken, wenn er für viele Monate in einem Fass für Zuckerschnaps lag?

Davon muss ich eine Probe haben, dachte ich mir. Und bekam auf Nachfrage prompt eine geschickt. Carsten Ehrlich hat für die wenigen Flaschen von dem einen Barrell (225 Liter) extra ein Etikett drucken lassen. Mit einem Schmetterling drauf – das Logo seiner Whiskyfirma.

„Die Idee kam mir in Asien. Dort stehen sie auf hochwertigen Whisky und Rum und edlen deutschen Riesling.“

Carsten Ehrlich

Der Wein schimmert goldgelb. Aus dem Glas steigen dezente Noten von Jod und kalter Räucherkammer. Dann eine frisch aufgeschnittene Honigmelone.

Im Mund ein exotischer Früchtekorb. Man kann gar nicht genau sagen welches Obst. Sehr üppig und dennoch frei von jeder Primärfruchtigkeit. Allmählich drängen sich wollüstige Karamellnoten nach vorne. Die Säure bleibt auffallend sanft, eher ein Säuerchen. Hat das mit dem Rum zu tun?

Ich denke an Ernesto Cardenal, den Dichter und sandinistische Ex-Minister Nicaraguas und seine Gedichte. Er verfasste zornige Schimpftiraden gegen den Klassenfeind. Aber auch bittersüße Oden.

Gestern sah ich Dich auf der Straße, Miriam, und
ich sah Dich so schön, Miriam, dass
(Wie erklär’ ich Dir, wie schön ich Dich sah?)
Du, Miriam, Dich weder so schön zu sehen vermagst noch
Dir vorzustellen, dass Du so schön für mich sein kannst.
Und so schön sah ich Dich, dass mir scheint,
keine Frau ist schöner als Du,
und kein Verliebter sieht je eine Frau
so schön, Miriam, wie ich Dich sehe,
und nicht Du selber, Miriam, bist vielleicht so schön.
Warum kann nicht wirklich sein solche Schönheit,
wie ich Dich sah auf der Straße, gestern
oder wie heute mir scheint, Miriam, dass ich Dich sah?

Ein Dichter bei uns im Kabinett – das wäre nett. Julie Zeh statt Andrea Nahles. So etwas würde mir gefallen.

Zurück zum Wein. Was ist nun mit der Säure, hat das Fass den Wein glattpoliert?

Bei Molitor winkt man ab: Ach nee. Die Trauben wurden extrem reif von den rund 50 Jahre alten Stöcken geholt, als die Kerne schon braun waren. Das macht den Wein so rund.

Ich kann mir gut vorstellen, wie ich ein Stück reifen Cheddar-Käse mit seinen typischen Karamell-Schmelz auf der Zunge zergehen lasse. Und dann einen Schluck von diesem Wein nachspüle.

Aber Rum? Nein, davon spüre ich nichts.

Im Abgang kommen plötzlich noch ein paar rauchige Whisky-Noten um die Ecke und heften sich frech an meinem Gaumen fest.

Was ist denn das jetzt, hat sich Herr Ehrlich vor lauter Begeisterung im Fass geirrt?

Irrtum, alles paletti.

Ich trinke noch einen Schluck und noch einen und krame mein altes Büchlein raus und lese das Gedicht „Nationallied für Nicaragua“. Da steht:

DAS LEBEN IST SUBVERSIV
oder
DIE LIEBE IST DER AGITATOR

Ernesto Cardenal

Wer weiß, vielleicht haben die Weinverrückten Ehrlich und Molitor mit ihrem Nicaragua-Experiment etwas losgetreten, das uns eines Tages staunen lässt.

 

Datum: 10.9.2017
 

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