Kremstal: Käse im Kopf?

Hute steht ein Wein aus Österreich am Verkostungstisch des Captain, der die Artenvielfalt feiert. Es ist ein → Gemischter Satz. Weißt du überhaupt, was ein Gemischter Satz ist?

Der Gebrauch des Begriffs Gemischter Satz ist deutschen Winzer untersagt, obwohl die auch so etwas herstellen können. Aber ich glaube, dass nicht alle, die Gemischten Satz erzeugen, sich daran halten. Bei manchen Vorschriften muss man sich auch wirklich fragen, welchen Sinn sie ergeben, außer zu zeigen, was hartnäckiger Landwirtschafts-Lobbyismus zu leisten vermag.

Artur Toifl, der Weinmacher dieser wilden Mischung, hat bei einem Winzer gearbeitet, der (im Gegensatz zum Großteil seiner österreichischen Kollegen) auch in Deutschland bekannt ist, weil er entsprechend viel dafür tut (ebenfalls im Gegensatz zum Großteil seiner österreichischen Kollegen): Fred Loimer im Kamptal. Der Captain glaubt, dass Loimers Popularität ein anschauliches Beispiel für die faszinierende Beziehung zwischen Ursache und Wirkung in der Weinwirtschaft ist und empfiehlt deutschen wie österreichischen Winzern das Tun dieses Branchenteilnehmers zu studieren.

Von Loimer ging Artur Toifl im Jahr 2006 zum Weingut Thiery-Weber im Kremstal, wo er (neben vielen anderen) den Wein „Wolferl“ kreierte. Das Kremstal ist eine merkwürdige Weinregion. Die 2.368 Hektar Rebfläche ergeben ein ziemliches Durcheinander. Erstens geographisch, denn der namensgebende Fluss Krems mündet aus dem Norden kommend in die Donau, aber Kremstal heißt auch die Region südlich der Donau, wo kein Tal mehr ist. Zweitens stilistisch, denn westlich von Krems sind die Weine elegant und mineralisch, östlich dagegen rund und füllig. Das ist jetzt natürlich ein bisschen allgemein dargestellt. Wie immer in der Weinwelt lassen sich solche Postulate durch Ausnahmen widerlegen, was die Weinszene zu einer wunderbaren Bühne für Schreihälse und Wichtigtuer macht. Leitrebsorte im Kremstal ist der Grüne Veltliner, dicht gefolgt von Riesling. Eine typische Kremstal-Stilistik gibt es also nicht, auch wenn man sich mit solchen Aussagen (egal, in welchem Anbaugebiet) keine Freunde macht. Aber darauf ist der Captain sowieso nicht aus.

Das Wichtigste an diesem Wein: Er geht ganz wunderbar zu Käse. Der Gemischte Satz aus spät gelesenen Trauben der Rebsorten Riesling, Grüner Veltliner, Sauvignon Blanc, Gelber Muskateller und Chardonnay landete im Alter von 3,5 Jahren auf der Zunge des Captain, kann also schon als gereifter Weißwein bezeichnet werden. „Wolferl“ (kleiner Wolfgang) nennt man in Österreich eine leicht angetrocknete Traube, die gegen Ende der Lesezeit geerntet wird. Und so schmeckt er: Im Glas glänzendes Goldgelb wie Whisky. In der Nase ein Hauch Alters-Petrol, dann Birne, Banane, Birchermüsli. Im Mund öliger Schmelz nach gelben Früchten mit deutlicher Würze von weißem Pfeffer, der wohl vom Grünen Veltliner kommt. Ich schmecke konzentrierte Noten von Banane, Ananas, Aprikose und gelbem Apfel. Der Schluck liegt ganz schön gewichtig auf der Zunge. Der Alkoholwert 13,5% Vol. überrascht, denn sensorisch ist das kein leichter Wein. Die trockene Machart widerspricht der Bezeichnung Dessertwein, dennoch ist das ein wunderbares Käse-Getränk, weil Extraktsüße, Bitternoten und seine schwere Frucht wunderbare Gegenspieler zu schmelzig-salzigen Fettbomben sind.

Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Artur Käse im Kopf hatte, als er seinen „Wolferl“ aus spät gelesenen und angeschrumpelten Trauben erfand. Aber dieser geniale, schmelzig-ölige Weißwein passt einfach wunderbar zu salzigen Fettbomben, obwohl er gänzlich trocken ist. Übrigens: Das Weingut verschickt derzeit und von Covid-19 motiviert kostenfrei nach Deutschland.