Auf Heinemyer stieß der Captain, als er einen mittelmäßigen, aber trotzdem interessanten Sekt (siehe oben) trank, der die Neugier deshalb weckt, weil seine Herkunft exotisch ist.
Es handelte sich um den Waalem Brut des gleichnamigen Weinbauprojekts auf der Nordseeinsel Föhr, den der Captain im Lager eines Versekters entdeckte und sich griff.
Heinemeyer, dem (wie jedem Religionsführer) ein guter Geschäftssinn zueigen ist, war Geburtshelfer dieses Getränks, das der Captain im Rahmen eines langen Artikels über den Klimawandel im Wein verwurstete:
Dass Heinemeyer auf Föhr eigentlich in Diensten des milliardenschweren Weinliebhabers und schwedischen Pharma-Erben Frederik Paulsen steht (dem unter anderem die österreichische Sektkellerei → Schlumberger gehört), verriet er dem Captain nicht.
Auf diese Fährte kam ich erst durch ein Interview, das Weinjournalist Rudi Knoll mit Paulsen führte, und war erstmal sauer. Karl Kraus schrieb: Ein Journalist ist einer, der nachher alles vorher gewusst hat.
Heinemeyer begann nach dem Weinbau-Studium mit Barriquefässern zu handeln, die waren damals ganz neu in Deutschland, und später mit Wein.
Er lernte schnell: „Zunächst achtete ich darauf Leute anzusprechen, die Geld haben. Aber das war falsch. Man muss Menschen finden, die Spaß an Wein und gutem Essen haben. Bei ihnen spielt Geld eine geringere Rolle und sie zahlen gerne höhere Preise.“
Eine Zeitlang war Heinemeyer an einem Weingut beteiligt, später wollte er totaler Herr im Hause sein und gründete Solveigs, seinen eigenen Betrieb, der so heißt wie die eigene Tochter.
30% der Solveigs-Produktion bleibt in Deutschland. Berlin ist ein wichtiger Markt, weil dort viele Pinot-Noir-Fans sitzen, die von einer neugierigen Gastro-Szene und umtriebigen Kleinst-Händlern inspiriert werden. Mehr als in München, wo man traditionell Italiens Brummern zugewandt ist, und Frankfurt, das als wichtiger Bordeaux-Markt gilt.
Ein Großteil von Heinemeyers Pinots geht jedoch nach Skandinavien.
Wie das? Es hat mit Heinemeyers Forscherdrang im Dienste des Weingenusses zu tun. Ein skandinavisches Biotech-Unternehmen für Molkerei-Hefen, das in einem eigens eingerichteten wine department die mikrobilogischen Prozesse der Vergärung untersucht, wollte wissen, wie Heinemeyer die Spontangärung mit wilden Hefen domptiert, ohne dass die Weinwerdung außer Kontrolle gerät.
Heinemeyer verbringt seither viel Zeit im Norden, hält Kontakt zur Weinszene und berät die vom Klimawandel wachgeküsste Winzerschaft.
In einem Fjord bei Drammen (50 Kilometer von Oslo entfernt) steht sogar eine Rebpflanzung mit Solaris-Trauben für Sekt, dessen Herstellung Heinemeyer betreut. „Am liebsten baue ich professionelle Produktionsstrukturen auf und führe die Leute ins Weinmachen ein, bis sie es selbstständig hinbekommen.“
Auf insgesamt rund zwei Rheingau-Hektar stehen Heinemeyers eigene Pinot-Rebstöcke in der ehemaligen Großlage „Steil“, zu der die Einzellagen Hinterkirch, Höllenberg und Frankenthal gehören.
Im Boden steckt jede Menge Phyllit-Schiefer. Mit chemisch-analytischem Verstand geht Heinemeyer das Weinmachen an, was ihn zu den Ursprüngen zurückführt.
Besonderes Augenmerk legt der Weinmacher auf die Pektine, die das Zellgerüst der Beerenfrüchte bilden. Deren Art der Zersetzung ist später für Textur und Körper verantwortlich und trägt wesentlich zum Stil des Weines bei. Man kann Pektinen sanft beikommen, das dauert und macht Arbeit, oder aber forciert, was wiederum „gestylte“ Weine ergibt.
Rate selbst, welche Gangart Heinemeyer vorzieht.
Der Captain könnte auf viele weitere Details von Heinemeyers Handwerk eingehen, aber eigentlich fehlt im die Lust. Er will lieber trinken.
Aber was? Er probierte sich durchs gesamte Solveigs-Programm, das Weine zu Preisen zwischen 18 und 50 Euro vorhält, eine Halbflasche Trockenbeerenauslese kostet sogar 200 Euro.
Ich entscheide mich für den Hauptwein, von dem reichlich Flaschen vorhanden sind. Insgesamt stößt der Betrieb ja nur 6.000 Buddeln pro Jahr aus. Es ist der spontanvergorene und unfiltrierte Pinot Noir Steil mit 13,0% Vol.
Tiefdunkel und wolkig im Glas. In der Nase konzentriert: volle Kanne Cassis und Kirschsaft, dann ein Haufen abgeschnittener Äste in einem winterlichen Laubwald, Milchschokolade mit Haselnüssen. Im Mund konzentriert, kühl, auf schöne Weise dreckig und voll mineralischer Würze. Ich schmecke Kirschsaft, Orangenschale, schwarzen Pfeffer und spüre viel Druck auf der Zunge. Man kann diesen Wein nur langsam und in kleinen Schlucken trinken und zuckt sofort zurück, so intensiv und herausfordernd ist das Geschmackserlebnis, das die Papillen ans Hirn funken. Das ist ein aufregender Rheingau-Pinot und für dieses sensorische Abenteuer geradezu günstig. Unbedingt karaffieren!