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Seit mehreren Wochen beschäftigt sich die Mannschaft mit explizit experimentellen Weinen. Und sucht noch mehr von diesen.
Selbstredend geht das einfache Trinkvergnügen dabei nicht verloren. Denn das Schiff will trotz aller Avantgarde auch leicht verständliche, vergnügliche und preiswerte Weine vorstellen. Das war unsere erste Aufgabe, als wir vom Stapel liefen. Und eigentlich muss das eine das andere nicht ausschließen.
Trotzdem muss der Captain sagen, dass ihn die deutsche Weinlandschaft zu langweilen beginnt. Ein bisschen zumindest. Viele Winzer machen viel, um nach vorne zu kommen. Aber bei den meisten stagniert die Kreativität, fehlt zunehmend der Mut. Das auch, weil man der Klientel nicht zutraut, Experimente ausreichend zu würdigen. Und diese Einschätzung ist wahrscheinlich nicht falsch.
Der Captain trinkt gerade ein paar alte 2011er-Gutsrieslinge. Und bis auf die üblichen Kandidaten, die schon seit Jahre aus der Reihe tanzen, fällt ihm erneut auf, wie sich die Weine der goldenen Mitte gleichen. Die Kellertechnik scheint überall ähnlich. Das bringt sehr uniforme Weine. Der Captain (Hauptberuf: Fotograf) kennt das aus der Fotografie. Viele seine Kollegen verwenden eine ähnliche Ausrüstung. Das macht die Fotos trotz aller Qualität ähnlich. Der Captain aber kombiniert digitale mit analogen Teilen. Und kriegt ganz andere Bilder hin. Das kann man auch auf den Weinbau umlegen. Das Gleiche erzeugt das Gleiche.
2012: Das Jahr der zwei Fraktionen
Martin Kössler, renommierter und schreibfreudiger Weinhändler aus Nürnberg, war bei der Mainzer-Weinbörse, der traditionell ersten VDP-Verkostung des jüngsten Jahrgangs. Und er sieht 2012 in manchen Bereichen noch uniformer. Zitat:
„Fast schon dramatisch deckt der Jahrgang 2012 den Unterschied auf zwischen jenen Winzern, die sich kompromisslos dem Herkunftsprinzip verschrieben haben und jenen (zu vielen), die unbeirrt auf die Sicherheit der Kellertechnik bauen. Selten zeigte sich mir dieser Unterschied so offenkundig und (persönlich) frustrierend, widersetzen sich doch viele Weine der „Sicherheits-Winzer“ erschreckend selbstbewusst jeglicher Einstufung in die Klassifizierung; Herkunft, Lage und Qualitätsabstufung sucht man in ihnen meist vergebens. Zwar präsentieren sich ihre Weine auf hohem technischem Niveau, sie tun das aber so banal und uniform, dass man sich fragt, ob sich der VDP diesen Zwiespalt der Stile und Philosophien, der mit jedem neuen Jahrgang und jeder überzeugenden Neuaufnahme wie Kranz oder Beurer offenkundiger wird, auf Dauer unkommuniziert leisten kann.“
Gute Frage! Der Captain sieht es ähnlich. Wie kann eine so angesehene Organisation wie der VDP der Stagnation in vielen Mitgliedsbetrieben zusehen? Immerhin steht ein Ruf auf dem Spiel. Der Ruf, nicht nur die besten, sondern auch die progressivsten und interessantsten Winzer des Landes zu vertreten.
Nicht auf den VDP hauen
Nein, auf den VDP soll nicht hingeprügelt werden. Ganz im Gegenteil. Er ist gut und wichtig für die deutschen Winzer (und zwar für alle), weil er die deutsche Weinlandschaft auch im Ausland gut repräsentiert. Und eigentlich fast allein für den guten Ruf des deutschen Weins Verantwortung trägt. Der VDP macht jene Arbeit, die in Österreich von der ÖWM – der österreichischen Weinmarketing – besorgt wird. Er macht das zwar nur für seine Mitglieder, aber er transportiert generell gute Kunde.
Aber gerade deswegen ist die Frage brandaktuell: Wie kann der VDP diesem Niveauunterschied begegnen?
Alleine das Thematisieren wird in den einzelnen Regionalverbänden Ärger machen – sehen sich VDP-Winzer nicht zu unrecht als Elite. Der Captain muss aber sagen, dass inzwischen fast der Hälfte aller VDP-Winzer der Zug zum Großen fehlt. Da ist keine Exzellenz zu erkennen. Martin Kössler schreibt hierzu:
„Tatsache ist, dass sich innerhalb des VDP zwei divergierende Lager gegenüberstehen, die philosophisch und konzeptionell kaum vereinbar scheinen. Natürlich können sie nebeneinander unter dem Dach des VDP existieren, ihre Unterscheidungsmerkmale sollten aber in Stil und Charakter kommuniziert und in den Bewertungen entsprechend respektiert und berücksichtigt werden. Sie in einen Topf zu schmeißen und über einen Kamm zu scheren, scheint mir weder seriös noch angebracht, auf jeden Fall aber problematisch, weil sich die Kriterien für ihre Bewertung grundlegend voneinander unterscheiden. Die divergierende Vorstellung dessen, was deutscher Riesling sein kann und ist, macht der Jahrgang 2012 so deutlich wie nie zuvor.“
Und weiter:
„Auf Seiten des Handels, der Presse und der Winzer scheinen viele die Existenz dieser beiden Lager im deutschen Wein noch gar nicht begriffen zu haben, vielleicht nicht begreifen zu wollen. Dabei bricht dieser Unterschied zusehends auf – als neues, „anderes“ Stil- und Ausdrucksmittel, unterscheiden sich die Rieslinge neuer deutscher Generation doch durch ausgeprägten Herkunfts- und Lagencharakter und einen immer weniger in Erscheinung tretenden Einfluss der Weinbereitung radikal vom maßgeblich durch den Ausbau geprägten Charakter jener „typisch deutschen Rieslinge“, die mit „fruchtigem“ Gletscherbonbonbukett und reduktiv geprägtem Mundgefühl bislang die Vorstellung von deutschem Riesling prägten und dominierten.“
Zwei Richtungen also, zwei Stile, zwei Lebenswege, die sich immer deutlicher als trennend bemerkbar machen. Und schwer unter einen Hut zu bringen sind. Der Captain sieht das genauso. Und nicht nur bei den Weinen des Verbands. Lassen wir Kössler das positiv gesinnte Schlusswort:
„Es ist spannend zu sehen, wie sich die neue deutsche Riesling-Stilistik, die weder „neu“ ist, noch avantgardistisch, sondern traditionell im besten Sinne des Wortes, stilistisch wie qualitativ konsolidiert, wie fundiert und überzeugt ihre Winzer ans Werk gehen und wie souverän sich ihre Weine im Charakter ihrer Herkunft und Machart profilieren. Unser ureigenes Qualitätskonzept in Sachen deutscher Wein, vor rund 20 Jahren zunächst auf der Basis der Suche nach Spontangärern entstanden, hat sich auf dem Markt durchgesetzt, auch wenn es von vielen Marktteilnehmern noch immer nicht verstanden wird. Doch ein Zurück gibt es nicht mehr und die Souveränität besagter Winzer in Stil und Interpretation hat überzeugende Maßstäbe gesetzt, die nicht mehr wegzudiskutieren sind; sie werden den deutschen Wein in seiner Gesamtheit verändern und nachhaltiger profilieren, als wir das heute ahnen. Wer diese Entwicklung verpennt, ist selber schuld. Mainz war dazu angetan, diese Entwicklung einmal mehr zu verdeutlichen.“
Der Captain meint, dass der VDP diskutieren sollte, wohin der Verband steuern will. Wie gesagt: Ein Zurück in alte Zeiten gibt es nicht mehr. Jene, die nicht mithalten können, müssen entscheiden, ob sie dabeibleiben wollen.
Ich glaube, hier liegt ein großes Missverständnis vor. Es darf nicht heißen: „zunehmend fehlt der Mut“ und „inzwischen fehlt der Hälfte der Erzeuger der Zug zum Großen“. Es ist exakt umgekehrt. Inzwischen haben eben immer mehr Produzenten den Mut, heute werden die Weine eben gerade nicht mehr immer uniformer. Dieser Vorwurf ist nämlich schon rund 20 Jahre alt. Aber nur weil es immer mehr Produzenten gibt, die sich dieser Uniformität entziehen, wird deutlich, dass das Banale viel zu lange gefeiert wurde. War ja das deutsche Weinwunder. Wie langweilig das alles wurde, hat (neben einer sehr kleinen Schar einheimischer kritischer Geister) selbst Hugh Johnson schon vor einigen Jahren angemerkt – und musste sich keifende Proteste aus Deutschland anhören. Aber heute fangt Ihr an, draufzuschlagen, wo es in genau die andere Richtung geht? Martin Kössler hat ideologiefrei dargelegt, wie die Situation sich heute darstellt, aber wer seinen Text aufmerksam liest, merkt, dass der Mut auch für ihn die Innovation ist, nicht sein Fehlen, wie Ihr das jetzt bei CC darstellt.
Ich verstehe den letzten Satz nicht. Ich stelle das Fehlen des Muts beileibe nicht als Innovation dar. Mir fällt lediglich auf, dass nach einer Phase dramatischer Innovation (2010-2011) nun eine gewisse Stagnation eintritt. Aber auch nur bei gewissen Winzern. Das würde ich mir mehr erwarten. Und eigentlich geht es um den Abstand der beiden Gruppen, die Lücke, die immer größer wird..
Naja, man kann ja auch als Winzer nicht am laufenden Band dramatisch innoviieren…
Was ich meinte ist, dass der Text (damit meine ich nicht die zitierten Anteile von Martin) den Tenor hatte, den Winzern fehlte seit Neuestem der Mut, so als wäre das früher anders gewesen. Und das, behaupte ich, ist eben doch genau andersherum, weil doch immer mehr Produzenten immer mutiger zu werden scheinen. Dadurch fallen natürlich die, die irgendwann stehen geblieben sind, eben um so mehr auf. Und es stimmt: bei vielen muss man sich fragen, wie lange sie sich das noch leisten können. Allerdings würde ich das nicht nur an der Spontangärung festmachen. Die ist ein Indiz für eine bestimmt Haltung des jeweiligen Erzeugers, die für höhere Qualitäten sorgen kann, der Grund ist sie vielleicht nicht unbedingt, das wäre zu einfach, und es gibt gute Argumente, die dagegen sprechen. Das aber nur nebenbei.
Aber ich sehe auch so eigentlich keine Stagnation, was die Entwicklung in der deutschen Winzerszene hin zu charaktervolleren Weinen angeht, ganz im Gegenteil. Ich hatte auch heuer das Gefühl, dass sich da eine Menge bewegt.
„Der Captain meint, dass der VDP diskutieren sollte, wohin der Verband steuern will. Wie gesagt: Ein Zurück gibt es nicht mehr, jene, die nicht mithalten können, müssen entscheiden, ob sie dabeibleiben wollen.“
Glaubt wirklich jemand, dass ein Weingut freiwillig seine „Lizenz zum Gelddrucken“ abgeben wird? Der mittelalterliche Protektionismus (fast) aller VDP-Regionalverbände zeigt doch das Gegenteil auf. Zum Glück gibt es etliche innovative Winzer auch außerhalb des VDP, die durch bezahlbare Weine der Kundschaft ermöglichen, ihre Weinerfahrungen zu erweitern und so auch mal zu höherpreisigen Produkten greifen werden.
Spannender und inspirierender Beitrag.
Mich hat zusätzlich das „wie präsentiere und vermarkte ich den Wein“ interessiert und dazu habe ich mir ein paar Gedanken unter http://www.meiersworld.de/2013/05/01/uschis-pommesbude-und-der-deutsche-wein/ gemacht.
Ich glaube, der Knackpunkt bei Sam und dem Captain ist, dass er sich erst seit CC so intensiv mit deutschem Wein auseinandersetzt, während Marcus Hofschuster das halt schon Jahre tut und das eben schon vor langer Zeit festgestellt hat. Ist aber egal, das Thema ist wichtig, weil die zwei Lager da sind. Oft sogar im selben Weingut, bei einem einzigen Winzer. Und da darf schon Meinung gemacht werden. Immer wieder. Denn die Frage ist bei all dem doch, wie viele Menschen schmecken den Unterschied überhaupt? Gruss. Knalli
Gruß zurück, ich beschäftige mich mit deutschem Wein seitdem ich in Deutschland lebe. Und das lange vor CC..
Ich kann mich auch nur am Mut und der Leidenschaft vieler Winzer erfreuen. Was heute „unmutig“ ist, war vielleicht mal mutig. Es hat einfach seinen Reiz die Wahl zu haben. Mal habe ich wahnsinnig Bock auf das Extreme, mal auf einen „Klassiker“ – wenn die Qualität stimmt, ist beides in Ordnung. Ganz klar, die Spannung, das Momentum, das Faszinierende liegt eindeutig bei den Mutigen und das ist auch gut so!
Unser Fazit zur Mainzer Weinbörse 2013: http://barriquehaus.de/2013/05/mainzer-weinborse-2013/
Ich schrieb vorsichtig in meiner Wochenpost am 17.10.2012:
„Liebe Gemeinde!
Gestern Roussilion Weine probiert.Mein lieber Herr Gesangsverein! Die produzieren ja gnadenlos markante
Weine,vor allem im Rotweinbereich. Mir gefällt die Stilistik der französischen Weinmacher immer mehr,denn
ich habe diese restsüssen Plätscher-plätscher,wir schielen auf den Export Fantas und Blunas der deutschen
und italienischen Weinerzeuger satt.Zwar offiziel trocken,also bis 9 Gramm pro Liter,bei 7 Gramm Säure,aber
Klasse ist das nicht.Und beim Rotwein marschierts Richtung Coca-Cola. Mal sehen,was ich jetzt so lostreten kann,in Sachen Frankreich.“
Aber am meisten stinkt mir das hypertrophe VdP „Elite“ -Nase Hoch samt Hochpreis Theater
Nennt man es Mut, wenn viele das auch machen was sich früher wenige getraut haben?
„Unterscheiden sich die Rieslinge neuer deutscher Generation doch durch ausgeprägten Herkunfts- und Lagencharakter und einen immer weniger in Erscheinung tretenden Einfluss der Weinbereitung radikal vom maßgeblich durch den Ausbau geprägten Charakter jener „typisch deutschen Rieslinge“,
…ich lese das immer wieder und halte diese Grundannahme ehrlich gesagt für falsch. Welcher Wein ist mehr vom Ausbau geprägt? Der „klassische“ deutsche Riesling mit seiner Primärfrucht oder der nach Hefe- und Schwefelnoten riechende Sponti-Riesling, im besten Fall noch durch Holz unterstützt. Nicht falsch verstehen, auch mir gefällt diese Stilistik sehr gut, aber ich kann nicht glauben, dass wir dadurch mehr „Herkunft“ in die Weine bringen, sondern eher wieder mehr Einfluss des Winzers.
Guter Einwand..