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Ich trank Putins Sekt

Sommelier Kiril Alexandrov
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Der Captain trank Putins Sekt, den ihm ein netter Sommelier aus Russland einschenkte. Keine Ahnung, wie es dem jetzt geht.
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[Dieser Beitrag erschien im August 2021 – also lange vor dem Ukraine-Krieg.] Der Captain sitzt in seinem (geborgtem) Luxus-Apartment in Wien, trinkt köstlichen Lugana und schreibt über Sekt (Schampanskoje), der von Weinstöcken auf Putins Mega-Anwesen am Schwarzen Meer stammen soll.

Womit soll ich anfangen?

Natürlich mit dem spektakulärsten Teil. Wie lautet nochmal Samuel Goldwyns Empfehlung an alle Drehbuchschreiber? Ein Film muss mit einem Erdbeben beginnen und sich dann langsam steigern.

Offenbar haben die deutschen Tatort-Autoren noch nie etwas von Produzent Goldwyn (18791974) gehört und gelesen. Nur unsere Weinzeitschriften schaffen es, noch langweiliger zu sein. Die würden einen Text über Putins Sekt mit einem generellen Überblick auf den russischen Weinbau beginnen. Keine Sorge, das gibt es bei mir auch. Steht ganz unten für alle, die das Thema wirklich interessiert.

Putin, der Champagnerschreck. Wie kommt der Captain dazu, einen Schäumer zu trinken, der mutmaßlich aus dem privaten Anbau des Präsidenten stammt?

Das ist schnell erklärt. Neulich war der Captain in einem Tagungshotel bei Alba (Piemont) interniert und probierte vier Tage lang die roten landwirtschaftlichen Produkte der Region Langhe: Barolo, Barbaresco, Dolcetto, Roero und wie sie heißen.

Alles blindverkostet. Die Hersteller wurden erst danach enthüllt. Das ist anstrengend und zugleich lehrsam.

Der Captain war der einzige Weinberichterstatter aus Deutschland, der Rest der Gruppe kam aus ganz Europa. Ein besonders netter Kollege hieß Kiril Alexandrov, Weinjournalist und Sommelier-Ausbilder in St. Petersburg.

Und weil die Russen (Achtung: Klischee) so gesellig sind, hatte Kiril für neugierige Kollegen eine Flasche Putin-Sekt dabei.

Das Getränk (Zero Dosage) wurde aus Pinot-Noir-Grundweinen des Jahrgangs 2016 zusammengestellt und schmeckte gar nicht übel. Schön cremig, feinperlig und von angenehmer Frische.

Der Kaufpreis beträgt umgerechnet 30 Euro. Das ist für diese Qualität ein bisschen hoch gegriffen, aber beim Erzfeind USA kostet vergleichbarer Schaumwein nicht weniger. Da sind wir in Deutschland und Österreich wirklich glücklicher dran.

Schau hier das Video über Putins Palast an. Ab Minute 0:40 sieht man die Weinberge:

Nun, Verkoster aus Russland trifft man nicht an jeder Ecke und so beschloss der Captain Kiril (spricht astreines Englisch) auszufragen:

Was denkst du über Putins neues Anti-Champagner-Gesetz?
KIRIL: „Das versteht keiner. Es gibt keinen Vorteil. Die Importeure sind verzweifelt. Aber diese Regel ist nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt noch viel mehr neue und absurde Vorschriften, die Wein betreffen. Ich habe noch nicht alles gelesen.“

Gibt es viele Weinkritiker in Russland?
KIRIL: „Ja, aber man hat ihnen die Lebensgrundlage unter den Füßen weggezogen. Ich selbst war Chefredakteur einer Weinzeitschrift. Wir mussten zusperren, weil von einem Tag auf den anderen Printwerbung für Alkohol verboten wurde. Das hat mit dem Kampf gegen Alkoholismus zu tun. Bücher über Wein sind erlaubt. Und im Internet darf man für Weine und Spirituosen werben. Fragt sich nur, wie lange noch. Viele Weinjournalisten veröffentlichen jetzt auf Telegram und in Blogs.“

Erkläre uns bitte die russische Weinszene.
KIRIL: „Lange hat sich kein Mensch für russischen Wein interessiert. Was zählte, waren Weine aus den bekannten westlichen Anbauländern, inklusive USA. Es gab fast keine guten Weine aus russischer Herstellung. Inzwischen hat sich das spürbar verändert. Die Qualität ist deutlich gestiegen, getrieben von Önologen aus Frankreich, Italien und Deutschland. Unsere besten Weine kommen vom Kaspischen Meer. Dort, wo auch Putin sein Anwesen hat.“

Gibt es einen Markt für Weine aus Deutschland und Österreich?
KIRIL: „Und ob! Es gibt sogar einen regelrechten Run darauf. Sommeliers fahren voll ab auf Riesling aus beiden Ländern, aber auch Spätburgunder und Blaufränkisch sind hoch angesehen. Beide Länder laden zu sehr guten Fortbildungs-Veranstaltungen für Weinprofis ein. Das DWI (Deutsches Weininstitut) betreibt eine eigene Russland-Abteilung, die sehr aktiv ist. Und Wein aus Österreich ist ein must have in jedem besseren Restaurant von St. Petersburg. Die Österreicher sind bei uns Weltmeister in der Disziplin Weinwerbung.“

Wieder was gelernt. Und wie schmeckt der Abendwein des Captain?

Wie gesagt: Es handelt sich um Lugana. Aber es ist nicht irgendeiner, sondern guter.

Der Lugana Cà Lojera vom Weingut Ca’ Lojera di Tiraboschi Franco direkt am Südufer des Gardasees gelegen, ist ein dichtes und frischwürziges Trinkerlebnis.

Das hat man selten, wenn Lugana auf der Flasche steht: Im Glas helles Gelb. In der Nase zitrig-mineralisch und dabei von enormer Intensität. Ich rieche Zitronenabrieb, Mandarinenspalte, Pfirsich, Kerngehäuse und Bachkiesel. Im Mund substanziell und griffig mit deutlich mineralischem Unterton. Ich schmecke gelbes Kernobst, hochreife Grapefruit, etwas Minze, und genieße die angenehm-raue Textur dieses erfreulichen Weines. Was für eine schöne Mischung aus mineralischer Frische und eleganter Frucht.

Der moderne russische Weinbau konzentriert sich auf eine Region unweit der Halbinsel Krim. Das Gebiet erstreckt sich entlang der trockenen Schwarzmeerküste von südlich von Gelendzhik bis zur Halbinsel Taman an der Südküste des Asowschen Meeres im Norden.

Das älteste moderne Weingut der Region heißt Chateau Le Grand Vostock und wurde 2003 von französischen Weinfachleuten und Bauunternehmern mit französischer Ausrüstung errichtet.

Seitdem sind etwa 20 moderne Weingüter entstanden. Die meisten sind Neugründungen, ein paar sanierte Weingüter stammen noch aus der Sowjet-Ära. Darüber hinaus gibt es etwa 15 Kleinbetriebe, die respektable Weine erzeugen.

Russische Weinkellereien bauen viele Weiß- und Rotweine aus französischen Rebsorten wie Cabernet Sauvignon, Merlot, Chardonnay, Aligoté, Muscat und Sauvignon Blanc sowie aus einheimischen georgischen und russischen Sorten wie Rkatsiteli, Krasnostop Zolotovsky und Saperawi an.

 

Datum: 23.7.2022 (Update 25.7.2022)