Uhlen Laubach Riesling GG trocken
Wo andere ihr mobiles Navigationsgerät im Auto angebracht haben, prangt bei Reinhard Löwenstein auf dem Armaturenbrett eine Buddhafigur. Aber es ist nicht der leise meditierende Buddha mit den geschlossenen Augen und den fein ziselierten Händen, sondern die dicke, sich vor Lachen den Bauch haltende Buddhafigur, die sich über den Betrachter köstlich zu amüsieren scheint. „There is no way to happiness. Happiness is the way.“
Es gibt viele Lesarten zu Reinhard Löwenstein. Die wohl bekannteste ist die des studentenbewegten, revolutionsbegeisterten ehemaligen DKP-Mitglieds, das nach versuchter Weltverbesserung und einigen Kuba-Aufenthalten an seinen Heimatort Winningen zurückkehrt und es den etablierten und grundsätzlich unter Reaktionärs-Verdacht stehenden Moselwinzern mal so richtig zeigt. Das ist, was in den Redaktionsstuben des Zentralorgans der Gymnasiallehrer („DIE ZEIT“) und diversen Sendeanstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks so gut ankommt – eine echte linke Erfolgsgeschichte, schwer antikapitalistisch und jedes 68er-Gutmenschen-Herz zutiefst befriedigend. Fehlt nur noch, dass Löwenstein seine Weine an Bedürftige verschenkt.
Dieser Nimbus des Sozialbewegten ist im heutigen digitalen Zeitalter irgendwie uncool geworden. Wo wie auf Facebook zu Wein fast nur noch der laute Superlativ des „geil“ und „Hammer“ regiert, jeder die tollsten und teuersten Etiketten smartphoned, um sie sinn- und kommentarfrei zu posten, da hat bei dieser Art Schwanzvergleichen ein Winzer, dem aufgeilend dahingeworfene Wortbrocken zu wenig sind, keine Chance. Das ist das Eine.
Das Andere ist eben auch, dass diese Geschichte des Sozialbewegten eben nichts anderes ist als eine Geschichte. Eine, die die alten Medien auf der Suche nach Leserbefriedigung auf den Winzer Reinhard Löwenstein projizierten. Und der hat sich bereitwillig als Projektionsfläche angeboten und ist derart in den Strudel des Gymnasiallehrer-Nimbus geraten. Die Güte seiner Weine, aber eben auch das Spannende des Menschen Reinhard Löwenstein sind dabei in den Hintergrund getreten.
Winzer, Autor, Psychotherapeut, Politikwissenschaftler. Es gibt viele Geschichten, die man Reinhard Löwenstein anhängen kann und bekanntlich macht ein fallender Baum mehr Krach als der wachsende Wald. Was also geschähe, wenn man auf ein Narrativ verzichten und den Menschen in den Mittelpunkt rücken würde? Da wird die Luft dünn, denn wir Weinbegeisterten sind es nicht gewöhnt, auf eine Funktionszuweisung zu verzichten und sei es nur auf die des Winzers und Weinmachers. Wohlan, einen Versuch ist es wert.
Was als erstes auffällt bei Reinhard Löwenstein ist seine Lautstärke. Im persönlichen Gespräch wirkt er ruhig, fast leise. Der Zuhörer muss seine Ohren regelrecht spitzen, um seine Worte hören zu können. Dabei hat Löwensteins Stimme einen leicht monotonen Klang, der an das Aufsagen spiritueller Mantren erinnert. Man ahnt, dass Reinhard Löwenstein keine Lust hat, die alten Geschichten ständig wiederholen zu müssen. Persönliches deutet er nur an, ohne auf Nachfragen zu warten. Geht es jedoch um Ideen und Begriffe, wird er lauter. Sein geliebtes „Terroir“, mit dem er in einem viel beachteten FAZ-Artikel 2003 reüssierte (→ „Von Oechsle zum Terroir“), verteidigt er weiterhin und das lautstark. Da kommt der alte Berserker durch, der sich in den bewegten 70er Jahren des letzten Jahrhunderts an den richtigen und falschen Begriffen abgearbeitet hat.
Nicht wenige erwarteten von ihm → mit seinem Buch zum gleichen Thema „Terroir“ eine persönliche Fortsetzung. Aber sie wurden enttäuscht. Das Persönliche, das Private, das Eigene mochte Löwenstein nicht in den Vordergrund rücken. Fehlende Eitelkeit? Mitnichten. Reinhard Löwenstein ist stolz auf das, was er vollbrachte. Zwar kommt seine Familie aus dem Weinbau, aber Löwenstein hat als Seiteneinsteiger seine Winzerkarriere begonnen. Keine geerbten Lagen, kein übernommenes Weingut. Das wurde seinem Bruder zugesprochen. Reinhard Löwenstein war der verlorene Sohn, der zwar nach Winningen zurückkehrte, aber nicht mit einem rauschenden Fest begrüßt wurde. Stattdessen musste er bei Null anfangen. Das war Mitte der 1980er-Jahre.
Löwenstein war einer der ersten, die Weine wieder ohne technischen Schnickschnack ausbauten. Keine Zuchthefen, keine Kaltvergärung, kein Abstoppen, keine Prädikatsabstufungen. Harmonisch trocken wollte er seine Rieslinge haben, was grundsätzlich vollreifes Lesegut voraussetzte und die Weine bis zum natürlichen Gärende mit etwas Restsüße ausstattete. Für die Traditionalisten war das irritierend. Für die damalige Genuss-Avantgarde eine Offenbarung. Und weil er sich auszudrücken und seine Anschauungen durchaus wortgewaltig vorzutragen wusste, wurde Reinhard Löwenstein einer der Shooting Stars des deutschen Weins der damaligen Zeit. Aber wie allen Säuen, die durchs mediale Dorf getrieben werden, erging es auch ihm: die Karawane zog weiter.
Sein Buch „Terroir“ aus 2009 fand wenig Resonanz. Obwohl es weder abstrakt, noch theorielastig war, fehlte das Persönliche jenseits des Begriffs. Woher kommt diese Weigerung, über sich selbst zu schreiben? Wenn man ihn danach fragt, bügelt er die Frage ab mit dem Verweis, dass er seine Gedanken nicht als Eigen-Marketing verstanden wissen will.
Das klingt nobler, als es in Wahrheit ist. Denn hinter dem Unwillen, billiges Marketing zu betreiben, scheint auch eine Verwundung auf, eine zarte Sensibilität, ganz so, als meinte er, das Persönliche vor gaffenden Blicken schützen zu müssen. Lieber arbeitet er am Begriff, als dass er als Mensch in die Lichtung träte.
Dabei müsste sich Reinhard Löwenstein gar nicht hinter seiner Arbeit am Begriff verstecken, was mehr als deutlich wird, wenn man ihn an einem Lesetag der Ernte 2013 in seinen Weinbergen begleitet. Auf einmal schwingt bei ihm, trotz aller Unbill des Jahrgangsverlaufs der unsicheren Reife, der drohenden Fäulnis und des instabilen Wetters, ein entspanntes Glücksgefühl mit, das sich nicht mehr erklären oder rechtfertigen muss. Auf einmal treten die vielen Funktionen, die man versucht ist, Reinhard Löwenstein anzuhängen, in den Hintergrund. Dann ist er kein Winzer mehr, kein Guru, kein Autor oder Weltverbesserer. Auf einmal emanzipiert sich Reinhard Löwenstein von seinen Rollen und verschmilzt in einer Art schweigenden Dialog mit seinem „Terroir“. Auf einmal will er nichts mehr bewirken und nicht mehr von außen einwirken. Da gibt es keine Bewertung mehr, sondern nur noch Annahme des Seienden und Respekt vor dem Werdenden. Wenn man ihn dann fragen würde, wie alt er sei, würde er antworten: „400 Millionen Jahre“. Und man wäre geneigt zu erwidern: „Wunderbar. Genauso alt wie ich.“
Reinhard Löwenstein beherrscht den lauten dialektischen Dialog, dessen Wesen Zerstörung und Wiederaufbau ist, genauso wie den liebenden Dialog, der eine Art „unio mystica“ darstellt, in der Sein und Wahrnehmung eins, die Worte dafür aber abhanden gekommen sind. Einen Zipfel dieser „chymischen Hochzeit“ kann man erleben, wenn man mit ihm Wein trinkt und er sich in der Begeisterung für dieses dionysische Genussmittel befindet. Dann erhält Wein wieder seine Bestimmung als eine Art Heilsbringer auf dem Weg weg von einer ausschließlich verkopften Gesellschaft hin zur Vermählung mit der Natur. Erleuchtung und Erlösung soll der Wein bringen, Wiederaufnahme in den göttlich-natürlichen Schoß, Emanzipation von Rollenvorgaben und Zivilisationsgrenzen. Kurzum, hätte Reinhard Löwenstein einen dicken Bauch, er würde ihn sich vor Lachen halten. Man muss sich Reinhard Löwenstein als einen glücklichen Menschen vorstellen.
Vor ein paar Tagen kam es mir so in den Sinn „Was macht eigentlich der Löwenstein?“, und dann dieser Beitrag. Danke Markus!
Mir gefällt dieser für CC ungewohnte Ton sehr gut, obwohl er vielleicht etwas mehr über den Autor als über den Portraitierten verrät. Mehr davon…
Reinhard Löwenstein verehrt nicht den Wein, der Wein verehrt… 😉
Und spendiert euch ein aktuelles Foto.
http://weinspitz.tumblr.com/post/59818254716/reinhard-lowenstein-und-pablo-neruda-hier
Auf dem Foto wirkt er auf mich wie ein jüngerer Bruder von Jean Pütz. http://www.buchfreund.de/covers/9081/23126.jpg
Löwenstein trinken? Immer wieder gern. Löwenstein lesen? Wenn es mal überstanden ist, muss es kein zweites Mal sein :-).