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Benzinger: Grau-Burgunder für 50 Euro?

Voker Benzinger und seine kleinen Trauben.
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Der Pfälzer Winzer Volker Benzinger verblüfft mit einem Grauburgunder für 50 Euro. Was kann dieser Wein und ist er sein Geld wert?
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In der Pfalz im Sommer 2019. Der Captain stapft mit Volker Benzinger die langen Rebzeilen des Kircheimer Geisskopfs entlang, der zur Großlage Schwarzerde gehört. Das Gelände neigt sich sanft gen Süden, sodass man einen hübschen Blick in die Gegend hat. Aber zum Rumgucken ist der Captain nicht gekommen. Er ist einem frechen Weinprojekt auf der Spur. Es ist der Grauburgunder „Uva Piccola“ (kleine Traube) für 50 Euro.

Wie bitte: 50 Euro für eine Flasche aus der unhippsten Rebsorte unter der Sonne?

Der Captain bezeichnete neulich die süditalienische Traube Primitivo als Helene Fischer der Rebsorten und kassierte dafür einige Lacher. Selbiges kann man auch über den Grauburgunder sagen, der so vielen Menschen gefällt, jedoch bei Weinkennern für genervtes Augenrollen sorgt. Bei höflichen Weinkennern, wohlgemerkt.

Grauburgunder, diese Nullnummer ohne Säure und Biss, für die sich ungefähr gleich viele Weinkritiker interessieren wie Sozialdemokraten für den Parteivorsitz der SPD, soll von diesem gemütlichen Winzer Volker Benzinger, der mit roten Hosenträgern seine Stöcke abschreitet, auf eine Weise wachgeküsst worden sein, die staunen macht, hieß es.

Volker – wer?

Kein Hipsterbart, kein Podcast, kein E-Auto in der solarbeheizten Garage qualifizieren Volker Benzinger für die Rolle des Pioniers. Kein Blogger feiert den kreuzbraven Familienvater und Opa als Ikone für irgendwas ab. Nebenan wachsen die Beeren von Facebookstar Christoph Hammel, der mit Witz und Talent die vielgescholtene Kategorie Supermarktwein neu definiert. Ihm hätte man diese Provokation zugetraut. Aber nicht diesem Benzinger. Der tat es trotzdem.

Denn Benzinger ist ein Rebell, der dieses Etikett nicht auf der Stirn kleben hat. Solche Leute mag der Captain. Deshalb fuhr er zu ihm hin und hörte zu.

Benzinger denkt viel nach. Über Wein und das, was die Leute von ihm erwarten. Für Benzinger ist ein „schöner Wein“ etwas ganz Bestimmtes: ein Luxusprodukt.

An diesem Luxus tüftelt Benzinger schon seit geraumer Zeit rum. Weine von außergewöhnlicher Machart kommen dabei raus. Zum Beispiel Benzingers Riesling 365. Ein Wein, der exakt auf den Tag ein Jahr lang vergor. Damit der Gärprozess mit wilden Hefen in den kalten Wochen nicht unterbricht, stellte Benzinger eine Friedhofskerze unter den Stahltank. Gleich danach wanderte der 365 in die Flaschen und wurde weggelegt.

Im Glas goldgelber Schimmer. In der Nase erdig und phenolisch. Ich rieche Brioche und Stachelbeere. Im Mund Birne, gelber Apfel, Gartenkräuter und Salz. Dann fällt mir eine feine Süße auf, die vegetabil nach dem Zuckerersatz Stevia schmeckt. Das kommt vom Glycerin, insbesondere bei spontanvergorenen Tropfen ein Nebenprodukt der alkoholischen Gärung. Mich erinnert dieser Geschmack an Champagner ohne Kohlensäure. Aufregend schmeckender Riesling, der aus dem Rahmen fällt, den Traditionalisten um dieses verhätschelte Getränk gerne ziehen.

Ja, dieser Riesling macht Benzinger stolz und er weiß, dass die Fachwelt ein Auge auf jene wirft, die mit dieser deutschen Prinzessin nicht ganz standesgemäß rummachen. So wie früher bei der Klatschpresse alle Lampen angingen, wenn einer aus dem niederen Volk mit der jüngsten Grimaldi-Tochter Stéphanie in die Kiste sprang.

Jedoch viel mehr als am Riesling hängt Benzingers Herz am grundbürgerlichen Grauburgunder, weil er diese wunderbare Alltagstauglichkeit hat. Benzinger: In der Probe ist Riesling fantastisch. In der Menge getrunken zwickt er ein bissl.

Was soll man dem entgegnen?

Die Rebsorte Grauburgunder war Benzinger von Kindheit an vertraut. Als er 14 war, legte der Vater am Geisskopf eine neue Ruländer-Pflanzung an. Ruländer, so hieß der Grauburgunder früher und so heißt er heute noch, wenn ein eher dicklicher Wein gemeint ist. Volker half beim Pflanzen mit. Die Stöcke hatte Papa Benzinger in der eigenen Rebschule gezogen und steckte sie nun in großer Zeilenbreite in den Boden, damit die Sonne jede Beere bescheint und Reife spendiert. Weitraumerziehung nennt man das. Das Ziel hieß Auslese. Es wurde meistens erreicht. Die Formel damals lautete: Reichlich Öchsle = reichlich Qualität. Im heißen Jahr 1976 war sogar eine Trockenbeerenauslese (TBA) drin.

Zuverlässig lieferte die 0,5-Hektar-Parzelle aus dichtem Sand-Stein-Gemisch (kein Kalk), was von ihr erwartet wurde. Wenn mal der Zuckerpegel nicht so üppig ausfiel, landeten die Trauben zusammen mit der Ernte der anderen Weinberge in der Presse.

Mitte der 80er-Jahre (Volker hatte nach der Ausbildung in Geisenheim 1976 das Weingut übernommen) lobte jemand im Feinschmecker den Geisskopf-Wein und schrieb: „Dieser Pfälzer Grauburgunder lässt manchen Pinot Grigio alt aussehen.“ Benziger platzte vor Stolz und beschloss, fortan alles aus dieser Parzelle separat auszubauen. Aber: Obwohl die Trauben Jahr um Jahr interessanter schmeckten, blieb der Berg rechnerisch ein Flop. Die Stammkundschaft zuckte selbst vor der kleinsten Preiserhöhung zurück.

Die Zeit verging und Benzinger, dieser Tüftler und Nachdenker, der nicht einfach nur Winzer sein will, sondern sein persönliches Glück im Besonderen sucht, ging an den Rand des Weinmachens, kreierte eine aufregende Naturweinlinie und leistete sich Verrücktheiten, die er Projektweine nennt. Einer davon ist sein Sauvignon Blanc SANS Fumé. Sans heißt „ohne“ und markiert den Verzicht auf Schwefelzusatz.

Sensationell interessanter Duft, erinnert stark an Pouilly Fumé. Ich rieche Heu, Gänseblümchen, ein bisschen Crema Catalana, dann Laub im Herbst, Brennnessel. Im Mund würzig, sehr saftig und überraschend trocken. Ich schmecke Gala-Apfel, Walnusskerne, grünen Tee, Blutorange und Gartenkräuter. Alles sehr weich und angenehm fruchtig. Einer der besten Naturweine, die der Captain bisher trank.

Zwischendurch warf Benzinger alle Korken über Bord. Es reichte ihm einfach, als jede 10. Flasche seines Weißburgunders aus dem Barrique verdorben schmeckte. Benzinger: Außer Tradition hat dieses alte Stück Baumrinde nichts zu bieten. Ich will dem Kunden ein Produkt verkaufen, über das er sich freut und nicht ärgert.

Benzingers Querköpfigkeit begann sich zu rechnen, als er seine schrägen Weine mutig nach vorne stellte. Wo die alten Stammkunden nicht mitzogen, kamen neue hinzu. Sie bezahlen schmerzfrei. Benzingers Laden begann wieder zu brummen. Aber die Sehnsucht nach dem großen Wurf ließ ihn nicht los. Dann kam die Lese 2017.

Benzinger witterte die Chance, auf die er schon lange gewartet hatte. Seine rumänischen Erntehelfer, die seit Jahren auf die anspruchsvolle Orange-Lese trainiert sind, wies er an doppelt sorgfältig zu selektionieren und zunächst nur die kleinen Trauben vom Geisskopf zu holen. Die Stöcke sind teilweise vergreist und die Leitbahnen im Holz verödet. Da kommt nicht mehr viel Saft durch. Auch der Wuchs ist unregelmäßig. Manchmal hängen oben ganz dicke Beeren und unten kleine. 2017 war sehr trocken, auch deshalb gab es viele kleine Beeren. Am 25.9.2017 holten sie die Trauben mit 104 Grad Oechsle rein und ließen sie nach dem Entrappen für 48 Stunden auf der Maische stehen, dann 12 Tage lang vergären.

1.110 Liter Wein blieben übrig. Die wanderten in zwei Tonneaux zu je 500 Liter und ein gebrauchtes Barriquefass. Ganz bewusst verzichtete der Winzer auf Battonage, also das Aufrühren der abgestorbenen Hefezellen, um mehr Buttrigkeit zu erzeugen. Aber die wollte Benzinger nicht. Und auch nicht den oft mit dem Umrühren einhergehenden biologischen Säureabbau (BSA), also die Umwandlung der scharfen Äpfelsäure in weiche Milchsäure. Nichts sollte diesen Wein zum Schmeichler machen.

So entstand mein Wunderwein

Im Januar 2018 holte Benzinger einen Teil des Weins aus den Tonneaux und legte ihn in zwei neue Barriques, um die Würze zu steigern. Im August wurde leicht geschwefelt und abgefüllt. So entstand der Uva Piccola. Und jetzt kommt die Frage aller Fragen: Ist er das viele Geld wert? Der Captain sagt ja, denn dieser Wein ist außergewöhnlich, edel und ein Meilenstein. Nicht jeder wird ihn mögen. Aber solche, die grenzgängerische Trinkerlebnisse zu schätzen wissen, werden den Kauf nicht reuen. In der Nase Salted Caramel-Eis von Häagen-Dazs, etwas Vanille, Brennnesseltee, nasse Tabakblätter und kühle Mineralität. Er riecht erdig (typisch Grauburgunder) und frisch zugleich. Im Mund das Gefühl von Rotwein und sehr viel herber Würze. Sofort fällt die straffe und Spannung erzeugende Säure als Gegenpart zum warmen Grundton dieser Kräuterbombe auf. Ich schmecke Thai-Basilikum, gelben Apfel, Mirabelle, reifen Pfirsich, eine weiche Banane, etwas Stachelbeere, fermentierte Tabakblätter, Salz. Am Gaumen brauner Honig, eine kalte klare Pilzbrühe, frisch gezupfte Korianderblätter. Erst ganz spät und weit hinten macht sich etwas Süße bemerkbar. Ich muss ständig schnuppern und nippen und traue mich gar nicht, den ganzen Mundraum zu fluten, so delikat und selten ist dieser Geschmack. Bis man zur Verschwendung entschlossen genau das macht und sich ein Strom aufregend kräutriger Aromatik ins Innere ergießt. Was für ein Erlebnis.

Lässt sich dieses Abenteuer wiederholen? Benzinger: Man kann ganz sicher nicht jedes Jahr so einen Wein machen. Der Captain probierte den 2018er aus dem Fass. Er geriet viel weniger dicht und deutlich fruchtiger. Benzinger entschloss sich, auf die Vermarktung zu verzichten. Und 2019? Ein Teil der Trauben ist verbrannt. Ich probiere es trotzdem. Wegen der Trockenheit in diesem Jahr gab es jedenfalls viele kleine Trauben.

 

Datum: 22.3.2020
 

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