Der Captain trinkt Mittagswein, eine alte Sitte, die dem Optimierungswahn konzerngerechter Lebensführung geopfert zu werden droht. Nicht mal VERDI setzt sich dafür ein. Dabei macht die Weinforschung ähnliche Fortschritte wie die moderne Arbeitswelt. Es gibt immer mehr Weine mit viel Geschmack für wenig Geld.
Einer davon ist mein Mittagswein → Geisenheimer Mönchspfad Riesling trocken von 49point9, was ein ziemlich merkwürdiger Name für ein Weingut ist. Noch dazu mitten im traditionsverliebten Rheingau.
Warum das Weingut der beiden wissenschaftsnahen Önologen Micha Sobe und Maik Werner so heißt? Die beiden Kumpels tauften ihren 1-Hektar-Betrieb 49point9, weil ihre Rebstöcke am Rande des 50. Breitengrades im Boden stecken. Ganz in der Nähe vom hochberühmten Schloss Johannisberg in der Gemeinde Geisenheim.
Hier in der Region findet ein großer Teil der deutschen Weinforschung statt. Es gibt eine bekannte Hochschule (wo sich Sobe und Werner kennenlernten) und allerlei Unternehmen, die sich dem önologischen Fortschritt widmen. In solchen Firmen arbeiten die beiden Mikrowinzer. Maik betreibt sein eigenes Analyse-Labor und Micha widmet sich im Auftrag eines französischen Konzerns (der in Geisenheim eine Niederlassung hat) dem weltweiten Vertrieb von Hefen, ohne die im Wein nix läuft. Da kommt eine Menge Weinwissen zusammen, das die Partner in ihre Flaschen stecken.
49point9 verfügt über Reben in den Geisenheimer Lagen Kilzberg und Mönchspfad, insgesamt nicht mal ein Hektar. Leute, die über so wenig Fläche verfügen, nennt man Mikrowinzer. Der Captain liebt solche Projekte, weil sie in der Regel nicht aus dem Geist der Gewinnmaximierung geboren wurden.
Wird der Captain altersmilde und entwickelt sozialistische Tendenzen? Nein. Wo Arbeit reinfließt, soll auch Geld rauskommen.Wenn das Prinzip aber zu einseitig ausgelebt und das Preis-Leistungsverhältnis zum Nachteil des Konsumenten ein Desaster ist, hört sich der Spaß auf. Bei einem grauslich-bitteren 10-Euro-Grauburgunder des Hobby-Historikers Fritz Keller, den der Captain neulich verkostete, war das der Fall. Rote Karte!
Einfach nur fantastisch und dafür geradezu billig ist mein Mittagswein, der oben erwähnte Rheingau-Riesling Geisenheimer Mönchspfad: Im Glas mittleres Gelb, glänzend. In der Nase zunächst deutliche Mineralik wie Kieselsteine in salziger Brandung. Dahinter dezent-gelbfruchtige Noten, die sich langsam durchkämpfen, bis ich rauchig-reife Honigmelone spüre und das Konzept dieses Weins erkenne: hauchdünne Scheiben von Parmaschinken auf Melonenspalten! Ich nehme einen Schluck und schmecke genau diese Mischung. Mürbe und goldgelbe Frucht vs. Mineralik vs. Umami mit sensorischen Inseln aus Salz, die von lebendiger Fruchtsäure umspült werden. Am Gaumen saftig und am Ende ultra-trinkiger Wein, über den man sich nicht lange den Kopf zerbrechen muss, wenn man nicht will. Aber kann, wenn man mag.
Die beiden Macher dieses besonderen Getränks haben ihre Hände am Puls der Weinwirtschaft, beraten Weingüter im In- und Ausland und beschäftigen sich mit dem Produkt Wein bis hin zum kleinsten Bestandteil, weil sie die mikrobiologischen Vorgänge aus dem Effeff kennen. Mit solchen Menschen unterhält sich der Captain (auch) gerne, denn sie kennen Antworten auf Fragen, die nicht von Meinung sondern von Wissen getrieben sind.
Als der Captain (vor CORONA) mit dem Hefe-Experten Micha Sobe an einem Tisch saß und ein paar Gläser Wein leerte, rutschte ihm die unvermeidliche Frage raus, die unter Weinfreunden teilweise fanatisch diskutiert wird: Natürliche Hefen oder Reinzuchthefen? Micha lächelte müde und sprach weise: Wir verwenden beide.
Meinen Mittagswein kannst du via E-Mail bestellen: info@berlinwein.com
Der Versand ist ab der 12. Flasche gratis, darunter kostet er 8 Euro innerhalb Deutschlands. Für den Versand ins Ausland frag einfach nach.