Ich mache mir Gedanken über Sinn und Unsinn von Riesling aus Übersee. So einen Riesling aus der Ferne habe ich gestern Abend nämlich getrunken. Der hat mächtig Eindruck hinterlassen, sodass er mir einfach nicht aus dem Kopf gehen will (ähm, also gedanklich).
Gefunden habe ich diesen Riesling in einer Berliner Weinhandlung. Die Flasche stand weitab von allen deutschen Rieslingen im Regal ganz alleine rum.
Chateau Ste. Michelle ist der Name des Produzenten und der sitzt in den USA. Pazifikküste, Washington State, nicht weit entfernt von der Metropole Seattle. Ein großes und sehr engagiertes Weingut, wie ich höre. Man arbeitete dort mit renommierten Namen wie Antinori (!) und Ernst Loosen zusammen. Letzterer ist einer der bedeutendsten Rieslingmacher von der Mosel.
Das will schon was heißen, wenn Ernie Loosen sich bequemt, ausgerechnet Rieslinge in Übersee zu produzieren – zusammen mit Chateau Ste. Michelle. Loosen hat eigentlich genug hervorragenden Riesling vor der eigenen Tür. Und dennoch zieht es ihn in die Ferne.
Der Captain hat über diese Zusammenarbeit bereits berichtet und den Riesling Eroica vorgestellt:
Ich erwartete zunächst nicht viel von einem Riesling aus Übersee. Da schwingt jetzt diese deutsche Überheblichkeit mit. „Warum Riesling von so weit nehmen, wenn wir selbst die Besten haben?“ So murmelt der Wein-Stammtisch. Und spricht einem Übersee-Riesling wie meinem von Ste. Michelle die Extistenzberechtigung ab. Noch besser wäre gleich ein Importverbot.
Ich will Antworten. Also Drehverschlusss auf und rein ins Glas.
Kräftige, gold-gelbe Farbe, die ich der leichten Reifung des Weines in der Flasche zuschreibe. Ich rieche einen reifen Riesling mit klassischer Petrolnote, die Riesling meist dann zeigt, wenn er mehre Jahre auf Flasche warten durfte. Ich finde diesen Petrolton wunderbar. Es ist eine Reife, auf die ich bei einheimischen Rieslingen meist deutlich länger warten muss. Time is cash.
Ansonsten wirkt der Übersee-Wein fein gemacht. Allerdings mit deutlich mehr Schmalz und Wumms.
Der Alkohol – Träger von Frucht und Saft – liegt bei mageren 12 Volumenprozent. Also kann dieses Schmalz nur von einem höheren Zuckergehalt kommen. Wie wahr: Dieser Riesling ist nicht trocken. Er ist feinherb, sprich restsüß!
Hätte ich diesen Umstand vorher gekannt, würde die Flasche noch im Regal stehen und auf einen anderen Käufer warten. Aber obwohl ich feinherb nicht besonders mag, komme ich mit diesem Riesling verdammt gut klar. Weil er damit seine Reifenoten einbinden kann. Was ihn enorm trinkfreudig macht.
Dennoch stellt sich mir die Frage: Brauchen wir hier überhaupt Riesling, der von so weit hergekarrt wird und die Gewissenhaften unter uns mit verstörender Ökobilanz bedrängt? Wegen der langen Transportwege und so. Ein Pseudoargument. Denn was haben die Transportwege mit dem Wein zu tun? Richtig – nichts.
In Großbritannien beispielsweise ist der Riesling fest in australischer Hand. Deutschen Riesling findet man da in den unteren Regalen der Supermärkte. Dort, wo der pappig-süße Liebfrauenmilch steht und die Preise günstig sind. So mag der Brite seinen Riesling: Übersee = gut. Deutsch = billig. Ja, leider.
Ich bin dennoch für Riesling aus Übersee. Sollen sich doch auch andere Winzer in Übersee an dieser Traube versuchen und Großes zustande bringen. Diese Rebsorte ist so unterschiedlich interpretierbar. Und je mehr Variationen wir davon haben, desto besser. Davon kann der Riesling im Gesamten nur gewinnen.
Warum sollte ich mir Riesling von der anderen Steite der Erde zukommen lassen, nur um zu schmecken, dass er keine Schnitte gegen einheimische hat? Ich kann meine Unlust, diese Erfahrung wieder einmal zu machen, nur schwerlich verbergen. Sowas macht man ein zwei Mal, und dann reichts auch.
Ahoi Frau Arnold,
Ihre Meinung in allen Ehren, aber bei einigen mäßigen Versuchen müssen Sie ja nicht gleich alle Rieslinge aus Übersee verteufeln. Aber so richtig beurteilen, was Riesling ausserhalb Europas kann, ist nicht so einfach. Man kriegt das Zeug ja kaum in Deutschland. Ich werde mich mit Neugier an dieses Thema in nächster Zeit dranhängen. Mal sehen, was Übersee-Riesling in der Königsklasse kann. Der Ste. Michelle war schon mal ganz schön für 10 Ocken.
Nun, ich bin ja sicherlich auch nicht unbedingt der absolute Fan von Übersee-Weinen. Oder anders gesagt: Warum „Ausländer“ trinken, wenn es gute „Deutsche“ gibt. Dennoch sollte man im Stande sein, über den Tellerrand hinaus zu schauen. Ich bin bekennender Riesling-Jünger. Rheingau oder Rheinhessen, wenn ich mineralisch gestimmt bin, Mosel. Dennoch: Einen der besten Rieslinge, die ich je getrunken habe, kam aus Tasmanien. Tasmanien? Ja, die Insel südlich Australiens. Und noch was. Ich trinke eigentlich aus Prinzip kleine Amerikaner. Aber Washington State hat mir eines der besten Chardonnay-Erlebnisse geschenkt. Deshalb würde es mir vielleicht vordergründig keine Freud machen, einen amerikanischen Riesling zu trinken. Eine Chance gäbe ich ihm dennoch, solang diese Königin der Trauben noch immer nicht wirklich für den Mainstream entdeckt worden ist.
Zum Wohle!
Ahoi Herr Fleckenstein,
aber warum trinken Sie Australier und lehnen prinzipiell Amerikaner ab? Aus welchem Grund? Ich habe diese Einstellung schon häufig hören können. Sie interessiert mich.
Eventuell lohnt auch ein Blick nach Kanada. Da gibt es auch durchaus interessante Rieslinge, sowohl trocken als auch restsüß.
Hatte mal das Vergnügen vor mehr als 10 Jahren diese Weine zu probieren und habe das als extrem positiv in Erinnerung. Einziger Manko ist die eingeschränkte Verfügbarkeit der Weine in Europa.
Ahoi,
Kanada soll ja eine Süsswein- bzw. Eiswein-Tradition haben, wie ich hören konnte. Allerdings werden zumeist die Trauben der Eisweine dort in Kühlräume gefroren und dann abgepresst. Quasi künstlicher Frost. Hat was im Prinzip was von der Eichenchipsthematik.
Also ich bin etwas überrascht, das in Kanada die Trauben in Kühlräumen gefroren werden. Kenne das nur aus Kalifornien. Da haben die Hrn. Kracher und Krankl ja ordentlich Parkerpunkte bekommen, für Weine dieser Machart. Aber für Kanada klingt das fast unglaublich, denn das Klima in Ontario (Niagara Region) ist dort eigentlich perfekt für Eiswein, da es regelmässig die erforderlichen Minusgrade gibt, daher ja auch die Ansammlung der meisten Eisweinproduzenten in dieser Gegend, wie ich immer dachte.
Bei restsüß dachte ich aber eher an Riesling late harvest, so irgendwo zwischen Spät- und Auslese angesiedelt, die waren damals echt nicht schlecht, wenngleich heute der trockene Wein sicher eher dem Zeitgeist entspricht. Aber Riesling restsüß kann – auch aus Kanada – großer Stoff sein.
also ich bin der, dem es egal ist woher der wein kommt. klar ist, dass man als deutscher nicht auf internationale rieslinge angewiesen ist. weder österreichische noch elsässer sind da der rede wert. genau so ist es dann halt auch mit anderen ländern. australien hat sensationelle rieslinge im clare valley, ebenso die usa mit grossen teilen von washington. dort ist riesling bei jedem weingut an der tagesordnung, und doch sind sie auch von den deutschen rieslingen sehr begeistert. sie können einfach die qualität (und die eigenheit) der deutschen rieslinge anerkennen. vor allem deren vielfalt an charakteristiken durch die verschiedenen gebiete fasziniert winzer wie sommeliers und restaurateure bis hin zum letztverbraucher.
ich kenne die weine von chateau ste. michelle sehr gut, ein grosses weingut mit gefälligen weinen, die in manchen jahrgängen überragend sein können. besonders ein cabernet sauvignon reserve 2005 ist mir in besonerer erinnerung!! um satte 28 usd stach er eine große anzahl von napa cabernets im bereich bis zu 700 usd aus, und zwar einheitlich bei 14 personen. deren rieslinge sind straight produziert, reifstes traubenmaterial, aber keine botrytis, süffig und doch gehaltvoll mit ordentlicher säure und je nach jahrgang sogar eine halbwegs natürliche restsüsse (manchmal unterstützt man mit schwefeln und temperaturminderung die stoppung der gärung, ok). ohne den scheuklappen als weißwein getrunken einfach nur gut, sonst nix. das gibts auch aus deutschland, ok, aber verteufeln und sagen ich trinke generell keine weine aus den usa ist schon ein bisserl arg nationaltreu!?! und hat sogar anflüge von rassismus.
und bitte bedenken sie als konsument auch wie viele schlechte weine es in deutschland/österreich/europa noch immer gibt! überall auf dieser welt gibts tolle weine und nicht so tolle, also wäre ich der meinung das wir diese der natur abgerungenen erzeugnisse mit dem nötigen respekt behandeln. vielen dank.